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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 58.1922/​1923 (Oktober-März)

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Nr. 8
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Literatur / Personalien / Sammlungen / Ausstellungen / Forschungen / Öffentliche Kunstpflege / Briefe an die Redaktion
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144

Literatur

LITERATUR
Rudolf Oldenbourg, Die Münchner
Malerei im 19. Jahrhundert. I. Teil.
1922, Verlag F. Bruckmann A. = G.,
München.
Der Kampf um die künßlerifche Gleich^
Berechtigung des deutfchen Südens gegen-
über dem Norden iß durch ein wertvolles
Dokument von Bedeutung geklärt wor-
den : durch Oldenbourgs »Münchner Ma-
lerei im 19. Jahrhundert«. Die letzte große
Arbeit auf diefem Gebiet iß von Fr, Pecht
geleißet worden; mit geteiltem Einfatz
und Erfolg. Pechts Schilderung hat den
großen Vorzug des unmittelbaren Er-
lebens von Anfang bis zum Ende,- darin
liegt ihre Stärke und ihre Schwäche. Pecht
ßand zu fehr noch im Getriebe feiner Zeit,
als daß ihn die Strudel der Tagest und
Modemeinungen nicht da und dort fort-
gerißen hätten, fein Urteil demgemäß ein-
zußellen. Oldenbourgs Buch, das der ge-
fchichtlichen Entwicklung der erlten Jahr-
hunderthälfie gilt, behandelt den Stoff aus
objektiver Ferne, mit kritifchem Blick, der
die Entwicklungslinien Itärker herausfieht
und die für die fpätere Zeit wichtigen
Akzente kräftiger betont, alfo die zeit-
genöffifche Malerei aus ihren Urgründen
klarer fchaut, als es Pecht möglich war.
Daher kommt Oldenbourg zu wefentlich
anderen Urteilen und Anfchauungen, zu
neuen Wertgruppen innerhalb des Zeitab-
fchnittes der »Ära Ludwigs I.« Lim diefen
fürßlichen Förderer und Wegweifer in
Kunßdingen krißallifiert lieh die von Ol-
denbourg behandelte erlte Jahrhunderthälfte.
An der Wende vom 18. ins 19. Jahr-
hundert war der Wert der akademifdhen
Schulung in der Kunß noch in voller GeL
tung. Diefe Einteilung, die mit dem Ge-
widit des Barockzeitalters jede neue Kunß-
regung erdrückte, erfuhr eine erfte Um-
Peilung, als in die autochthone Münchener
Kunß die »Pfälzer« und ihre auf Natur-
anfehauung und =fchulung beruhenden
Kunftweifen eintraten. Sie brachten nebft
der unbeliebten Regierung Karl Theodors
eine heftig beargwöhnte neue Kunßauf-
fallung mit und gaben ungewollt den An-
fioß zu einer nadr und nadi völlig neuen
Einkeilung der Kunß hinlichtlich Inhalt,
Form und Farbe. Noch heute wirkt fie

nach und hat in der Malerei der WelL
und Süddeutfchen Leibi und Böcklin und
ihrer Kreife Gipfelpunkte erreicht.
Ludwig I. glaubte, in der Berufung des
Cornelius mit feiner Gruppe die Wen-
düng befchwören zu können, die von
der »Privatgefellfchaft« der »Fächler« ein-
geleitet wurde. Cornelius' impofanter
Ernß und die hohe Ethik feiner Kunß
riß zunächß die Macht noch einmal an (ich ,•
aber das Fehlen einer ßarken Perfönlich-
keit, die der Corneliuslchen Welt Dauer
hätte geben können, bezirkte die hohe Kunlt
des Hauptes der Nazarener mit dem ßoL
zen Zug einer glanzvollen Epifode. Die
»Fächler« bedeuten die Neuentdeckung
des Lebens und der Natur gegenüber den
antiquarifchen und akademifchen Intereflen,
bedeuten eine Befreiung gegenüber den
ftarr gewordenen Idealen der fog. hohen
Kunß, find eine Neubewertung des Per-
fönlichen gegenüber der Tyrannis von
Perfönlichkeiten, die mit ihrem einfeitigen
Gewichte der Entwicklung von Talenten
fich entgegenßellten. Keine größere Span-
nung iß denkbar, als etwa die Gegenfätze
von Cornelius und Spitzweg. Allerdings,
auch die »Fächler« mußten ihr »Genre«
vertiefen, ehe es ihnen gelang, fich durchs
zuletzen, und der Weg zum Sieg iß mit
vielen Erfcheinungen beletzt, die zu ihrer
Zeit volle Geltung nicht erlangen konnten.
Trotz des Widerßandes der um Cor-
nelius gefcharten »Hißorienmaler«, die fich
zwar der Idealität und Ethik ihrer Kunß,
aber nicht mehr ganz des guten Willens
des Königs bewußt waren, ßehen die
»Fächler« mit ihrem Kunßverein als In=-
tereßenfehutzverband gefchloflen und ge=-
wichtig auf dem betriebfamen Boden der
neuen Zeit; denn ihnen fließen von außen
her, von England (Wilkie), von Düflel-
dorf und Hamburg immer neue Kräße
zu. Wenn auch die Kunß des Cornelius
europäifche Anerkennung gefunden hatte,
lo war der Sieg der »Fächler« und ihres
genießerifchen Gefchmäcklertums nicht mehr
abzuwenden. Er war vollkommen in dem
Augenblick, als Cornelius' hohe, ernße
Sittlichkeit in der farkaßifchen und kämp-
ferifchen Kunß Kaulbachs ausmündete.
Den größten Gewinn von der Götter^
dämmerung der idealifiifchen Kunß hatte
 
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