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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 58.1922/​1923 (Oktober-März)

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Nr. 6
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Belling, Rudolf: Skulptur und Raum
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https://doi.org/10.11588/diglit.41225#0112

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Skulptur und Raum'

Problem wurde der Ausgangspunkt des Barock, der in feiner großen Epoche
Formen der Natur in realiltifcher Weife verwertend, Plaftikkörper und Raum-
körper berücksichtigte. Was nach ihm kam, ilt dürftig, und man muß direkt
von einem Vakuum in der Gefchichte der Skulptur fprechen. Was find die
bekannten Namen der Skulptur des 19. Jahrhunderts? Epigonen, Literaten,
Illultratoren, im günftigften Falle gefchichte Modelleure. Was ift die moderne
Skulptur? Von ganz, ganz wenigen abgefehen, bedeutet fie ein hilflofes Nach-
ahmen der Formen fremder unverltandener Kulturen. Ein Zeichen erfchreckender
Geiltlofigkeit, die in Gliederverrenkungen, Ofenröhren, Kopieren von »Neger-
plaftiken« oder Anhäufungen trockener Kuben und Prismen einen neuen Weg,
die neue Skulptur, gefunden glaubt. Es ift bedauerlich, wie viele Menfchen
durch die Sucht, Novateur zu fpielen, und den Glauben, Kunlt machen zu
muffen, nützlichen, lebenswichtigen Betrieben entzogen werden. Wenn doch end-
lich die Erkenntnis käme, daß mit äußerlichen Formveränderungen gar nicht das
Wefentliche getroffen werden kann. Was hat ein moderner fchöpferifcher
Geilt nötig, bei Negern oder aus alten Kulturen Formen zu ftehlen, die doch
aus ganz anderen Gefichtspunkten heraus entltanden. lind das in einer Zeit,
in der wir Automobile, Flugzeug und Eifen=Beton=Kon(truktion haben! Hier
follte man einfetzen und erkennen lernen, daß weder Dreieck, Viereck, Gegen-
ftand oder Nichtgegenltand das Wefentliche treffen können, fondern daß das
Wefentliche feine eigenen Formen fchafft. Die organifche Gefetzmäßigkeit
in der Natur follte zum neuen Studium für die Kunlt dienen. Die Natur
fchafft Formen aus ihren Gefetzen heraus. Das Gefetz ift das Primäre,- die
Form als fichtbare Dokumentation fekundär. Während die BarocNSkulptur
größtenteils der damaligen Kunltauffaflung entfprechend Naturformen anwandte,
find wir heute in der Lage, freier zu fchaffen, wenn wir als Grundlage eben
die organifche Gefetzmäßigkeit der Natur zum Vorbild nehmen. Wenn ich
heute eine Skulptur baue, fo organifiere ich die Formen und laße fie wachfen
wie einen Baum oder einen Menfchen,- fie braucht aber nicht die geringlte
Ähnlichkeit mit einem diefer beiden zu haben. Dabei ilt mir die innere Gefetzt-
mäßigkeit das Wefentliche, die die Form beftimmt und Lieh durch fie manifeltiert.
So ilt auch mein Raumproblem, das ich aus dem Barodc übernommen habe,
zu verliehen. Da ich perfönlich Tradition für unerläßlich halte und gefunden
habe, daß mit allen aufgeltellten Programmen nur Einschränkungen und Fefleln
angelegt werden, verfuche ich feit Jahren ganz bewußt, das folange unerkannte
Raumproblem der Skulptur zu Iteigern, und damit für die junge Kunlt neue
Perfpektiven zu eröffnen. Ich möchte den Raum der Skulptur als »gewichtslofe
Form« bezeichnen, die gebildet und geftaltet wird durch das fie begrenzende
Material. Damit ilt mir jede Freiheit gegeben im Gegenfatz zu den Programm-
künften der . . . ilten. Ob gegenltändlich oder gegenltandslos, ich erlaube
 
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