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Literatur
fchi cb tl ich er Ausführungen zu beurteilen,
aber muß ich Herrn Kuhn für inkompe-
tent erklären, denn tatfäch 1 ich unrichtig
ilt auch Herrn Kuhns einzige fachlich-lite-
raturgefchichtliche Behauptung, daß näm-
lich die Fährmann-Gregorfche Überfetzung
»nur einen ganz kleinen Teil des fran-
zöfifchen Originals darltellt«, und daß dies
»übergangen« wird. Diefe Behauptung ilt
leichtfertig und beweilt einerfeits nur
die volle Unkenntnis des Referenten
auf dem literaturgefchichtlichen Gebiete,
auf dem er fich ein Urteil anmaßt, — diefe
Unkenntnis würde ihm niemand verargen,
folange er fich eines Urteils auf einem ihm
fernliegenden Gebiete enthielte, fie ilt aber
im gegebenen Falle äußerlt bedauerlich —,
andererfeits, daß er meine von ihm »be-
urteilte« Abhandlung überhaupt nicht ge-
lefen hat. Denn in diefer wird natürlich
— und zwar fo deutlich, daß es keinem
Lefer entgehen kann —' auch erwähnt, was
man feit Jeher weiß, daß nämlich Guil-
laumes Gedicht mit Vers 4058 abbricht —
und bis dahin geht auch die Gregorfche
Neubearbeitung, die den Torfo mit ein
paar glücklichen Verfen abfchließt — und
daß alles Weitere, das in den Literatur-
gefchichten etwa unter dem Titel »Rofen-
roman« geht, eine heterogene Fortfetzung
eines fpäteren Dichters ilt. Würde Herr
Kuhn es z. B, auch als »Übergehung«
brandmarken, wenn Jemand unter dem Titel
»Schiller; Demetrius« eben nur diefes Werk
und nicht auch feine Fortfetzung durch
einen beliebigen anderen Dichter brächte,
aber natürlich <wie in meiner Einleitung
ausführlich gefchehen> auf die Unvoll-
fiändigkeit des Werkes und feine Voll-
endungsverfuche durch andere hinwiefe?
Emif Winkler
Erwiderung
Ob der Unterzeichnete fich ein Recht
nehmen durfte, über die literarhiltorilche
Einführung der Rofen-Roman-Publikation
des Mufeion ein Urteil zu fällen, mag
unerörtert bleiben. Zum Tatfächlichen
Jedoch muß folgendes gefagt werden:
Wenn auch Langlois <Les Manuscrits
du Roman de la Rose 1910, S. 235> an-
nimmt, der Rofen-Roman fei fchon viel
gelefen worden, ehe Jean de Meun ihn
fortfetzte und vollendete, fo konnte er doch
nur eine einzige Handfchrift B. N. Fr,
12786 angeben, die allein den erlten
Teil zeigt, und nur eine, B. N. Fr. 1573,
die noch aus derZeit des erltenTeiles
flammt und dann fpäter fortgefetzt wor-
den ilt. Bedenkt man nun aber, daß uns
weit mehr denn 200 Handfchriften erhalten
find, die beideTeile als untrennbares Ganze
aufweifen, fo ilt der Vergleich Prof. Wink-
lers mit Schillers Demetrius nicht recht
überzeugend. Dazu kommt noch ein
Weiteres: Die Beliebtheit des Romans,
die foweit ging, daß in Paris erzählt
wurde, Dante wollte in feiner göttlichen
Komödie »en langaige florentin soulz
aultre maniere de vers rimoiez contre-
faire au vif le beau livre de la rose«
<H. Martin, Le Boccace de Jean sans
Peur 1911. 10>, begann überhaupt erlt mit
der Fortfetzung des Jean de Meun, die den
weitaus größeren Teil — rund 20000 gegen
4058 Verfe — des Gedichtes bildet. Dies
ilt überall zu lefen, Ja Prof. Winkler gibt
dies felblt fogar Seite 15 zu. Noch nach
Erfindung der Buchdruckerkunlt konnte
man bis 1538 nicht weniger als 40 Auf-
lagen zählen, die natürlich beide Teile
als ein Ganzes aufweifen.
Der Unterzeichnete kann es demnach
auch Jetzt mit dem beiten Willen nicht
einfehen, warum ungeachtet diefer Tat-
fachen ein das Bild des Rofen-Romans, fo
wie es vor den Jahrhunderten fieht, völlig
fällchender Torfo in der Publikation des
Mufeion gegeben worden ilt, und warum
Prof, Winkler fich glaubt hierfür einfetzen
zu mülfen. Daß es der Romantik, und
die Fährmannfche Überfetzung von 1839
ilt ein charakteriltifches Produkt der Ro-
mantik, auf dergleichen nicht ankam, zu-
mal fie überhaupt voll Entdeckerfreude
erlt wieder von neuem Befitz von den
mittelalterlichen Schätzen nahm, ilt be-
kannt. Im Anfang des 20. Jahrhunderts
denkt man aber doch ein wenig anders
darüber. Warum nun aber erlt noch will-
kürlich eine Handfchrift zur »Illultration«
genommen werden mußte, die, abgefehen
davon, daß fie volle 150 Jahre nach Guil-
laume de Lorris entltanden ilt, um 13/5
in Paris, 147 illuminierte Folien aufweilt,
von denen die Fakfimilepublikation 117
Literatur
fchi cb tl ich er Ausführungen zu beurteilen,
aber muß ich Herrn Kuhn für inkompe-
tent erklären, denn tatfäch 1 ich unrichtig
ilt auch Herrn Kuhns einzige fachlich-lite-
raturgefchichtliche Behauptung, daß näm-
lich die Fährmann-Gregorfche Überfetzung
»nur einen ganz kleinen Teil des fran-
zöfifchen Originals darltellt«, und daß dies
»übergangen« wird. Diefe Behauptung ilt
leichtfertig und beweilt einerfeits nur
die volle Unkenntnis des Referenten
auf dem literaturgefchichtlichen Gebiete,
auf dem er fich ein Urteil anmaßt, — diefe
Unkenntnis würde ihm niemand verargen,
folange er fich eines Urteils auf einem ihm
fernliegenden Gebiete enthielte, fie ilt aber
im gegebenen Falle äußerlt bedauerlich —,
andererfeits, daß er meine von ihm »be-
urteilte« Abhandlung überhaupt nicht ge-
lefen hat. Denn in diefer wird natürlich
— und zwar fo deutlich, daß es keinem
Lefer entgehen kann —' auch erwähnt, was
man feit Jeher weiß, daß nämlich Guil-
laumes Gedicht mit Vers 4058 abbricht —
und bis dahin geht auch die Gregorfche
Neubearbeitung, die den Torfo mit ein
paar glücklichen Verfen abfchließt — und
daß alles Weitere, das in den Literatur-
gefchichten etwa unter dem Titel »Rofen-
roman« geht, eine heterogene Fortfetzung
eines fpäteren Dichters ilt. Würde Herr
Kuhn es z. B, auch als »Übergehung«
brandmarken, wenn Jemand unter dem Titel
»Schiller; Demetrius« eben nur diefes Werk
und nicht auch feine Fortfetzung durch
einen beliebigen anderen Dichter brächte,
aber natürlich <wie in meiner Einleitung
ausführlich gefchehen> auf die Unvoll-
fiändigkeit des Werkes und feine Voll-
endungsverfuche durch andere hinwiefe?
Emif Winkler
Erwiderung
Ob der Unterzeichnete fich ein Recht
nehmen durfte, über die literarhiltorilche
Einführung der Rofen-Roman-Publikation
des Mufeion ein Urteil zu fällen, mag
unerörtert bleiben. Zum Tatfächlichen
Jedoch muß folgendes gefagt werden:
Wenn auch Langlois <Les Manuscrits
du Roman de la Rose 1910, S. 235> an-
nimmt, der Rofen-Roman fei fchon viel
gelefen worden, ehe Jean de Meun ihn
fortfetzte und vollendete, fo konnte er doch
nur eine einzige Handfchrift B. N. Fr,
12786 angeben, die allein den erlten
Teil zeigt, und nur eine, B. N. Fr. 1573,
die noch aus derZeit des erltenTeiles
flammt und dann fpäter fortgefetzt wor-
den ilt. Bedenkt man nun aber, daß uns
weit mehr denn 200 Handfchriften erhalten
find, die beideTeile als untrennbares Ganze
aufweifen, fo ilt der Vergleich Prof. Wink-
lers mit Schillers Demetrius nicht recht
überzeugend. Dazu kommt noch ein
Weiteres: Die Beliebtheit des Romans,
die foweit ging, daß in Paris erzählt
wurde, Dante wollte in feiner göttlichen
Komödie »en langaige florentin soulz
aultre maniere de vers rimoiez contre-
faire au vif le beau livre de la rose«
<H. Martin, Le Boccace de Jean sans
Peur 1911. 10>, begann überhaupt erlt mit
der Fortfetzung des Jean de Meun, die den
weitaus größeren Teil — rund 20000 gegen
4058 Verfe — des Gedichtes bildet. Dies
ilt überall zu lefen, Ja Prof. Winkler gibt
dies felblt fogar Seite 15 zu. Noch nach
Erfindung der Buchdruckerkunlt konnte
man bis 1538 nicht weniger als 40 Auf-
lagen zählen, die natürlich beide Teile
als ein Ganzes aufweifen.
Der Unterzeichnete kann es demnach
auch Jetzt mit dem beiten Willen nicht
einfehen, warum ungeachtet diefer Tat-
fachen ein das Bild des Rofen-Romans, fo
wie es vor den Jahrhunderten fieht, völlig
fällchender Torfo in der Publikation des
Mufeion gegeben worden ilt, und warum
Prof, Winkler fich glaubt hierfür einfetzen
zu mülfen. Daß es der Romantik, und
die Fährmannfche Überfetzung von 1839
ilt ein charakteriltifches Produkt der Ro-
mantik, auf dergleichen nicht ankam, zu-
mal fie überhaupt voll Entdeckerfreude
erlt wieder von neuem Befitz von den
mittelalterlichen Schätzen nahm, ilt be-
kannt. Im Anfang des 20. Jahrhunderts
denkt man aber doch ein wenig anders
darüber. Warum nun aber erlt noch will-
kürlich eine Handfchrift zur »Illultration«
genommen werden mußte, die, abgefehen
davon, daß fie volle 150 Jahre nach Guil-
laume de Lorris entltanden ilt, um 13/5
in Paris, 147 illuminierte Folien aufweilt,
von denen die Fakfimilepublikation 117