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IV. Fragment.
Viertes Fragment.
Ueber Ideale der Alten; schöne Natur; Nachahmung.
(Fragment, wie's eins seyn kann!)
die Kunst höhens, reineres, edleres noch nichts erfunden undausgearbeitet hat, als die
alten griechisthen Bildsäulen aus der besten Zeit — kann vors erste als ausgemachte Wahrheit
angenommen bleiben! — Nun entsteht die Frage: woher diese hohe, wie man sagt, überirrdische
Schönheit? . . Die Antwort ist zweyfach; entweder — „die Künstler hatten höhere Ideale! sie
„imaginirten sich vollkommenere Menschen! ihre Kunstwerke waren bloß neue Geschöpfe ihrer ed-
„lern Dichterkraft — oder: sie hatten eine vollkommenere Natur um sich, und dadurch ward es
„ihnen möglich, ihre Imagination so hoch zu stimmen — und solche Bilder darzustellen.« —
Die Ernen also sehen diese Werke als neue Schöpfungen, die Andern bloß als dichteri-
sche Nachahmungen schönerer Natur an.
Ich bin von der letztem Meynung, und ich bin gewiß, wie ich'ö von einer Sache in der
Welt seyn kann, daß ich recht habe. Die Sache ist wichtig, und verdiente, von einem Gelehrten-
welches ich nicht bin, demonstrirt zu werden. Ich glaube: sie ist der Demonstration so fähig, als es
etwas seyn kann.
Nur so viel geb' ich der Ueberlegung aller denkenden anheim —- Ganz erschaffen kann
der Mensch überall nichts. Es ist ewiges, eigenthümliches, unmittheilbares Vorrecht des
Wesens aller Wesen, „dem, das da nicht ist, zu rufen, als ob es sey!" — Nachahmen ist des
Menschen ewiges Thun und Lassen; sein Leben und Weben; seine Natur und seine Kunst. Vom
Anfänge seines Menschenlebens an bis an sein Ende ist alles, alles Nachahmung .. Das gemeinste
und das trefflichste, was er thut — und wenn's noch so sehr sein Werk, Geschöpf seiner Hände,
und Gemacht seines Geistes zu seyn scheint. Kein Mensth erschafft sich eine Sprache. Alle
Sprache ist Nachahmung —> Kein Mensch erschafft sich eine Schrift. Alle Schrift ist Nachah-
mung — kein Mensch erschafft ein Bild — alle seine Bilder sind Nachahmungen.
Das
IV. Fragment.
Viertes Fragment.
Ueber Ideale der Alten; schöne Natur; Nachahmung.
(Fragment, wie's eins seyn kann!)
die Kunst höhens, reineres, edleres noch nichts erfunden undausgearbeitet hat, als die
alten griechisthen Bildsäulen aus der besten Zeit — kann vors erste als ausgemachte Wahrheit
angenommen bleiben! — Nun entsteht die Frage: woher diese hohe, wie man sagt, überirrdische
Schönheit? . . Die Antwort ist zweyfach; entweder — „die Künstler hatten höhere Ideale! sie
„imaginirten sich vollkommenere Menschen! ihre Kunstwerke waren bloß neue Geschöpfe ihrer ed-
„lern Dichterkraft — oder: sie hatten eine vollkommenere Natur um sich, und dadurch ward es
„ihnen möglich, ihre Imagination so hoch zu stimmen — und solche Bilder darzustellen.« —
Die Ernen also sehen diese Werke als neue Schöpfungen, die Andern bloß als dichteri-
sche Nachahmungen schönerer Natur an.
Ich bin von der letztem Meynung, und ich bin gewiß, wie ich'ö von einer Sache in der
Welt seyn kann, daß ich recht habe. Die Sache ist wichtig, und verdiente, von einem Gelehrten-
welches ich nicht bin, demonstrirt zu werden. Ich glaube: sie ist der Demonstration so fähig, als es
etwas seyn kann.
Nur so viel geb' ich der Ueberlegung aller denkenden anheim —- Ganz erschaffen kann
der Mensch überall nichts. Es ist ewiges, eigenthümliches, unmittheilbares Vorrecht des
Wesens aller Wesen, „dem, das da nicht ist, zu rufen, als ob es sey!" — Nachahmen ist des
Menschen ewiges Thun und Lassen; sein Leben und Weben; seine Natur und seine Kunst. Vom
Anfänge seines Menschenlebens an bis an sein Ende ist alles, alles Nachahmung .. Das gemeinste
und das trefflichste, was er thut — und wenn's noch so sehr sein Werk, Geschöpf seiner Hände,
und Gemacht seines Geistes zu seyn scheint. Kein Mensth erschafft sich eine Sprache. Alle
Sprache ist Nachahmung —> Kein Mensch erschafft sich eine Schrift. Alle Schrift ist Nachah-
mung — kein Mensch erschafft ein Bild — alle seine Bilder sind Nachahmungen.
Das