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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 39.1996

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Aktuelle Themen
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Siegers, Josef: Die Anforderungen der modernen Arbeitswelt an die gymnasiale Bildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.33062#0064

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*mmer mehr außerhalb der deutschen Grenzen.
Produkte „Made in Germany" gibt es kaum
noch. Sie werden verdrängt durch Produkte
„Made for Siemens usw.". Die hohe deutsche
Exportquote von 12 % des Welthandels täuscht
also ein hohes nationales Fertigungsvolumen
weitgehend nur noch vor.
Diese globale Ausrichtung der modernen Groß-
unternehmen verläuft einerseits so, daß in den
ausländischen Zukunftsmärkten Töchter neu
gegründet werden (globale Lokalisierung nannte
der Sony-Chef Movita die Strategie) oder daß
dort bestehende Unternehmen gleichsam an
Kindesstatt angenommen werden. Eine andere
Entwicklung führt zu einem wechselnden Be-
ziehungsgeflecht von joint-ventures, Allianzen
und Netzwerken größerer Unternehmen. Diese
Entwicklung hat folgenden Hintergrund. Die
Produktzyklen, also die Zeitspanne zwischen
erster Produktidee, Entwicklung zur Serienreife
und Präsentation am Markt, werden immer kür-
zer. Schnelligkeit ist ein immer wichtiger wer-
dendes operatives Ziel. Der Schweizer Manager
Maucher: „In Zukunft fressen nicht mehr die
Großen die Kleinen, sondern die Schnellen die
Langsamen." Gleichzeitig steigen die Entwick-
lungskosten wegen der Komplexität neuer Pro-
dukte immer mehr an. Infolgedessen sind auch
Großunternehmen nicht mehr in der Lage, die
riesigen Kapitalinvestitionen und Forschungs-
entwicklungen allein zu erbringen. Der Begriff
„strategische Allianz" ist zur Zeit in allen Füh-
rungsetagen Tagesthema.
Neben den sog. Weltunternehmen, den Global
Players, bringt diese Entwicklung noch einen
anderen neuen Typ von Unternehmen hervor:
das sog. virtuelle Unternehmen. Das klassische
Unternehmen, das an einem Ort lokalisiert mit
einer bestimmten Belegschaft ausgestattet, be-
stimmte Produkte oder Dienstleistungen schafft,
wird immer mehr durch Unternehmen ersetzt,
die nur aus einer agenturähnlichen Zentrale
bestehen, die ihrerseits weltweit einzelne Ele-
mente ihrer Produkte oder Dienstleistungen in
Auftrag gibt, einkauft, irgendwo die Synthese
<+er Einzelelemente herbeiführt und dann ein
bunt zusammengewürfeltes Ergebnis auf dem

Weltmarkt anbietet, sich vielleicht sogar noch
dafür eines speziellen Vertriebsuntemehmens
bedient. Ein Beispiel: Ein computer-chip einer
kleineren US-amerikanischen Computer-Firma
wird in Texas entwickelt, in London wird die
Finanzierung geplant und abgesichert, auf den
Philippinen wird der chip produziert und in
Japan in einen lap-top eingebaut. Fluide Unter-
nehmen dieses Typs sind lockere, projektbezo-
gene Zusammenschlüsse von weltweit verteilten
Einzelfirmen oder Einzelkämpfem. Die einzel-
nen Akteure stehen in einem schnell ablaufen-
den, interaktiven und informellen Lernprozeß.
Die individuellen Lernfähigkeiten werden
kombiniert, so daß das Innovationsvermögen
der Gruppe größer ist als die Summe der Ein-
zelpotenzen. Nach Abwicklung eines Projektes
oder auch schon nebenher tun sich die Akteure
mit anderen Kooperationspartnern zusammen.
Diese Entwicklung geht einher mit dem, was
die Fachleute Tertiarisierung der Wirtschaft
nennen. Nach klassischem Verständnis verteilen
sich die wirtschaftlichen Aktivitäten in einer
Volkswirtschaft auf drei große Sektoren:
* zunächst auf die sog. Urproduktion, wie
Bergbau und Landwirtschaft, den sog. Pri-
märsektor,
* zweitens auf den Industrie- oder Produkti-
onsbereich, den man als sekundären Sektor
bezeichnet,
* und schließlich auf den Dienstleistungssek-
tor, also den tertiären Bereich, der wiederum
mehrere unterschiedliche Teilregionen um-
faßt.
Die Entwicklungsgeschichte der deutschen wie
auch anderer moderner Volkswirtschaften zeigt
in der Regel folgenden Ablauf: Der früher do-
minante primäre Sektor (1850 machte er in
Deutschland noch 50 % der gesamten wirt-
schaftlichen Aktivitäten aus) ist in seinen Antei-
len immer weiter zurückgegangen und heute zur
Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Der indu-
strielle Sektor, der mit seiner noch prägenden
Bedeutung unserer Gesellschaft sogar den Na-
men Industriegesellschaft verschafft hat, liegt
heute, gemessen an der gesamten Beschäftigung

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