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Voss, Georg [Editor]; Lehfeldt, Paul [Oth.]
Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens (Band 1,1): Kreis Meiningen: Amtsgerichtsbezirk Meiningen (die Stadt Meiningen und die Landorte) — Jena, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.19308#0281
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224

Meiningen, Privatgebäude aus Stein.

Menningen. 224

„Sogleich der erste Blick zeigt, dass es sich hier um die Nachbildung eines Hauses
von reichster architektonischer Entwickelung handelt. Dem Erbauer schwebte offen-
bar ein Architekturbild vor Augen, bei dem das gesammte künstlerische Rüstzeug seiner
Zeit aufgeboten worden war. Aber der Baumeister war doch nicht so tief in das
Wesen seines architektonischen Vorbildes eingedrungen, dass er des Stoffes hätte Herr
werden können. So blieb das Haus ein Architekturfragment, ein sichtbares Zeichen
stolzen Wollens und mangelnden Könnens, hoch fliegender Unternehmung und magerer
Vollendung.

Aber ' das Haus regt die Frage an : wo steht das Vorbild ? Nach mannigfachem
Herumsuchen muss es als wahrscheinlich gelten, dass das sogenannte „Baumeisterhaus"
in Rothenburg o. T., Schmiedegasse 343, als solches Vorbild gedient habe. Dort wie hier
die gleiche Form der Fensterumrahmungen, dort wie hier eine grössere Anzahl Hermen-
Figuren an den Fensterpfeilern der beiden oberen Geschosse. Und ebenso soll wie
dort so auch hier ein Giebel früher das Haus gekrönt haben. Dieser aber ist bei
einem Brand herabgestürzt und hier nicht wieder aufgesetzt worden.

Das steinerne Haus in Meiningen bleibt freilich erheblich hinter dem Rothenburger
Hause zurück. Aber damit würde noch nicht gesagt sein, dass es nicht doch sein
Vorbild dort geholt habe. Zu dieser Auffassung wird man noch mehr gedrängt, wenn
man die Grundrisse beider Gebäude vergleicht und auch in diesen eine auffällige Aehn-
lichkeit findet. Was jedoch mit diesen Annahmen in Widerspruch steht, das sind die
Jahreszahlen, die an beiden Gebäuden gefunden und aus alten Schriften ermittelt
worden sind. Am Hintergebäude des Rothenburger Hauses findet sich die Jahreszahl
1596 eingemeisselt. Nachforschungen im Rothenburger Stadtarchiv lassen darauf
schliessen, dass das hier in Frage stehende Vordergebäude dieses Hauses schon im
Jahre 1582 erbaut worden sei. An dem Treppenhaus des steinernen
Hauses in Meiningen findet sich die seltsam verschlungene Jahreszahl:
Es soll dies zweifellos 1571 heissen, weil die in einander verschlungenen
Zahlen 8 und 7 zusammenzuzählen sind. Demnach würde aber das
Meininger Haus früher als das Rothenburger erbaut worden sein. Das würde freilich
die Möglichkeit ausschliessen, dass das steinerne Haus in Meiningen eine Nachbildung
des Rothenburger Hauses wäre. Aber wo sonst könnte das Vorbild zu suchen sein ?
— So giebt das steinerne Haus in Meiningen ein Räthsel auf, dessen Lösung nicht
ohne Interesse ist.

Hierbei möge noch auf eine Zahlenspielerei ähnlicher Art, wie solche vorher er-
wähnt worden ist, aufmerksam gemacht werden, um so mehr als dieselbe mancherlei
Verwirrung bereits angerichtet hat. Auf einer der drei Gleichen bei Arnstadt, nämlich
auf der wohlbekannten Wachsenburg, findet sich an einem Thürsturz die Zahl:
. Man hört ganz ernsthaft die Behauptung aussprechen, die Zahl be-
\ deute 933. Bei näherer Betrachtung sieht man, dass auch hier eine 7
in der 9 steckt und dass die Zahl wohl nur 1633 heissen kann."

Rundbogentkor aus dem Jahre 1599, Freitagsgasse Nr. 1. Beachtens-
werth als eins der wenigen Hofthore, welche aus der Zeit der Renaissance in der
Stadt Meiningen erhalten sind. Der Kämpferstein ist nach dem Vorbild römisch-
dorischer Pilastercapitelle profilirt. Im Scheitel steht die Jahreszahl 1599. Das
Thor ist ungefähr 2]/2 ni breit. Von ähnlichen Thoren dieser Art ist noch dasjenige
der Alten Superintendentur am Töpfenmarkt und das oben genannte
Thor an der Einfahrt des Rieht er sehen Hauses, in der Postgasse erhalten, das
Hofthor des „Steinernen Hauses" in der Wassergasse ist zugemauert, doch
die Umrahmung ist erhalten.

Am ehemaligen städtischen Brauhaus in der Ernestinergasse Nr. 4
sind noch einige Theile aus dem 17. Jahrhundert zu erkennen. Das Untergeschoss

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