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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0044

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II. Der Sejm als Ereignis

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oder nach Auflösung des Sejms umgesetzt werden. Demonstrative Abwesen-
heit jedoch implizierte die Verweigerung von Rat und Stimme und damit einen
demonstrativen Ausschluss von der politischen Gemeinschaft.^ Tatsächlich
wurde das Fernbleiben vom Sejm auch zahlreiche Male aktiv genutzt, um po-
litische Unzufriedenheit zu kommunizieren oder dezidiert gegen die könig-
liche Politik zu protestieren.^ Wie sehr diese Artikulationsform politischen
Dissenses auf das Ordnungsgefüge und die Entscheidungskraft der allgemei-
nen Versammlung einwirkte und es zu belasten vermochte, zeigt das darauf
folgende Einlenken des Königs in mindestens zwei Fällen. So verweigerten in
den Jahren 1473 und 1475 Gruppen von Adeligen aufgrund ihrer Unzufrieden-
heit mit der königlichen Politik ihre Teilnahme an Beratungen des Sejms. Ka-
zimierz IV. bemühte sich deshalb um die Einberufung neuer Versammlungen,
auf denen die verärgerten Herren versöhnt und gleichsam in die politische
commumhis zurückgerufen werden sollten.^ Zuvor noch Medium der Desin-
tegration sollte der Sejm nun die Wiederherstellung der Gemeinschaft und die
Integration ihrer Mitglieder gewährleisten.
Während Abwesenheit den Erfolg einer Versammlung und den avisier-
ten Konsens des Königs mit seinen Adeligen zu beeinträchtigen oder gar zu
verhindern vermochte, galt eine möglichst zahlreiche Anwesenheit als förder-
lich für deren Gelingen. Entsprechend zog der Chronist Jan Dlugosz zumeist
die Größe des Teilnehmerkreises als ersten Parameter zur Beschreibung und
Charakterisierung der Sejmteilnehmer heran. Schleppende, zögerliche oder
schlicht geringe Teilnahme stellte er dabei in den Kontext von Desinteresse,
mangelnder Hilfsbereitschaft oder eines Dissenses mit der königlichen Poli-
tik.^ Ein großer Teilnehmerkreis konnte dagegen gleichermaßen auf wohlwol-

72 Dies beobachtete auch Jan Dlugosz, als er die im Jahr 1470 abgehaltene Versammlung be-
schrieb: Wie bereits zuvor seien die großpolnischen Herren nicht bei der Zusammenkunft
anwesend und entzögen sich durch diese Nichtanwesenheit einer Hilfszusage (niisencM sna
decretadonew stdMdn auersMÜ). Annales seu cronicae XII-2, S. 258.
73 So geschehen in den Jahren 1454,1462,1470,1473 und 1475. Häufig bedienten sich die Herren
der Krakauer und ruthenischen Länder dieses Mittels. Für eine ausführliche Interpretation
des Phänomens der demonstrativen Abwesenheit< vgl. die Ausführungen in Kapitel B.111.1.
74 Vgl. zu 1473 Annales seu cronicae XII-2, S. 304 sowie zu 1475 ebd., S. 367f. Die Weigerung der
Herren der Krakauer und ruthenischen Länder, an der Versammlung des Jahres 1473 teilzu-
nehmen, hatte auf der Verärgerung über eine zunächst nicht näher benannte Amtervergabe
des Königs gegründet (cnm pn'mores ex Ma;or;s Poionie ürn's, nnP; uero ex CraeouieMs; et Rnssie,
;n/ens; Cas;m;ro reg; oi; d;sb#Mfes, se Megiech's, digndaüs aduenissent. Annales seu cronicae XII-
2, S. 304). Möglicherweise spielte der Chronist bei dieser Episode auf die Neubesetzung der
wichtigsten Kanzleipositionen im Jahr 1473 an, unter denen besonders die Vergabe des Kanz-
lerpostens an Uriel Görka, dessen Vater der Wojewode von Posen war, die Beziehungen des
Hofs zum großpolnischen und damit die Abgrenzung zum kleinpolnischen Adel gefestigt
hatte. Vgl. dazu WiEsiorowsKi, Ambrozy Pampowski, S. 30. Angesichts der Verärgerung der
Herren bemühte sich Kazimierz IV. sofort um die Einberufung einer neuen Versammlung und
dort um die Versöhnung seiner Kritiker. Annales seu cronicae XII-2, S. 304.
75 Dlugosz berichtet etwa, dass im März 1457 nur einige Räte den Sejm besuchten, und zwar
einzig, weil der König es geboten hatte (Pardnm est ;MSs;on;pMS regns, d pierayMC coMSÜMr;;, non
tarnen in/ro^nont;' nnmoro,... Pi/ofAouiam oonwnorant. Annales seu cronicae XII, S. 272). In ähn-
lich zögerlicher Weise nahmen die Versammlungen von 1467 und 1478 ihren Auftakt.
 
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