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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0256

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II. Die Reichsversammlungen als Ereignis

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mitunter sogar dezidiert vor, wie viele Adelige aus den einzelnen Komitaten
an der Zusammenkunft teilnehmen sollten. Der deutliche Widerspruch zu
der gesetzlichen Regelung von 1458, wonach alle Reichseinwohner persönlich
an den Reichstagen teilnehmen sollten, lässt füglich von einer selektiven Ein-
ladungspraxis sprechen.^ Auf der Grundlage dieser königlichen Vorgaben
kann der Umfang der Teilnehmerschaft am Reichstag mit ca. 150-300 Personen
veranschlagt werden, eine Größenordnung, die den für den polnischen Sejm
angenommenen Dimensionen entspricht.
Während die Stellung des Adels in Polen und Ungarn zumindest grund-
legend eine zur Partizipation berechtigte politische Gemeinschaft beschrieb,
konnte der Herrscher in Deutschland den Empfängerkreis von Reichstags-
einladungen weitgehend benennen und verfügte damit über ein wirkmäch-
tiges Steuerungsinstrument. Den sich hier eröffnenden Handlungsspielraum
wusste besonders Friedrich III. zu nutzen und bestimmte je nach der poli-
tischen Sachlage und seinen territorialen Interessen durchaus exklusive Teil-
nehmerkreise. Vielmehr als die Vorstellung einer berechtigten politischen
Gemeinschaft scheinen politische Erwägungen für die Gestaltung der Zusam-
mensetzung des Beratungskreises ausschlaggebend gewesen zu sein. Der herr-
scherlichen Einladung kam somit eine integrative ebenso wie eine desintegra-
tive Wirkung zu. So entschied sie zunächst nicht nur über die den Besuch der
Verhandlungen, sondern über die Partizipation, die aktive Mitwirkung und
Beteiligung. Gleichzeitig hatte das Ausbleiben einer Teilnahmeaufforderung,
der Nicht-Erhalt eines Ladungsschreibens auch eine abgrenzende Funkti-
on - der Zutritt zur Beratungsgemeinschaft war auf diese Weise verwehrt.^
Wie zahlreiche Entschuldigungsschreiben belegen, war der Aufforderung des
Herrschers zur persönlichen Teilnahme an den Beratungen unbedingt Folge zu
leisten - entsprechend war das Fernbleiben zu erläutern und zu entschuldigen.
Dies verweist auf einen in allen drei Reichen wesentlichen Funktionsme-
chanismus politischer Beratungen, der die Charakterisierung der politischen
Kultur jener Zeit als »Präsenzkultur« (Stollberg-Rilinger) verständlich macht

46 Vgl. GA XXXVII des Dekrets vom 8. Juni 1458, in: DRH II, S. 103 sowie die erste Regelung
dieser Art in dem Dekret vom 24. Januar 1458, das Mihäly Szilägyi als Reichsverweser und
Vormund Mätyäs' herausgegeben hatte: GA XIII, ebd., S. 86.
47 Vgl. dazu SCHUBERT, Die deutschen Reichstage, S. 80 sowie SEYBOTH, Reichstage der 1480er
Jahre, S. 526ff.
48 Erinnert sei hier zunächst an den Ausschluss der Krakauer Herren vom Sejm von Sieradz
1452. Vgl. Annales seu cronicae XII, S. 128-32. In diesem Zusammenhang ist auch das Beispiel
der Delegierten deutscher Reichsstädte, die nicht zur Entsendung von Gesandten aufgefor-
dert worden waren, zu betrachten. Diese durften sich an den Verhandlungen und Abstim-
mungen zumeist nicht beteiligen. Vgl. etwa den Bericht Hans von Seckingens zum Ausschluss
der städtischen Gesandten von den Frankfurter Beratungen 1489, in: RTA MR 3,2, Nr. 286e,
S. 1110. Analog dazu spricht Bak von einer »de facto totalejn] Abwesenheit der ... Städte bei
den Reichsversammlungen Ungarns und Polens«. BAK, Königreich Ungarn, S. 48. Zur Wir-
kung von Ordnung als Distinktionsprinzip vgl. ANTER, Macht der Ordnung, S. 246-266, hier
S. 265: »Sie [d.h. die Ordnung, J.D.] konstituiert sich dadurch, daß sie das eine vom anderen
trennt, also eine Grenze zwischen Dingen oder Personen festlegt.« S. dazu auch MouFFE, Uber
das Politische, S. 26.
 
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