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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0258

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II. Die Reichsversammlungen als Ereignis

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guugen und Schwerpunktsetzungen gewesen sein, die Friedrich III. zu langen
Aufenthalten vor allem in seinen habsburgischen Erbgebieten, jedoch fernab
vom Binnenreich bewogen.
Mit diesen Beobachtungen korrespondiert ein Befund zur Dauer der Ta-
gungen sowie zu der Frequenz, mit der die Zusammenkünfte abgehalten wur-
den. Sowohl in Ungarn als auch in Polen wurde in beinahe jedem Jahr des
untersuchten Zeitraums mindestens eine Reichsversammlung abgehalten, im
Falle des Sejms mehrfach auch zwei innerhalb eines Jahres. Die Zusammen-
künfte dauerten in der Regel zwei bis drei Wochen, wohingegen die Dauer
der deutschen Reichsversammlungen zwischen einigen Wochen und mehreren
Monaten variierte. Ein fester Turnus, in dem die Reichstage einberufen wurden,
ist nicht festzustellen. Vielmehr wurden die Versammlungen situativ, nach po-
litischem Klärungsbedarf einberufen, dies jedoch durchaus regelmäßig.^ Ob-
gleich auch in Polen und Ungarn die Einberufung nachweislich bedarfsweise
erfolgte, wies das dortige Tagungswesen eine ungleich markantere Periodizi-
tät auf als im Reich. Gesetzliche Bestimmungen über eine Sequenz von Bera-
tungen des Herrschers mit den Ständen existierten in Ungarn, wo sie während
der Reichsverweserschaft formuliert und beschlossen worden waren.^ Diese
Befunde lassen freilich nach den Gründen für die Unterschiede in Einberufung,
Teilnahme oder Periodizität der allgemeinen Versammlungen, vor allem aber
nach der Systematisierbarkeit dieser Unterschiede fragen. Die Formulierung
von allgemein zweckmäßigen Kategorien oder gar Typen zur Charakterisie-
rung der vorgestellten Einberufungsformen ist sinnvoll jedoch kaum möglich.
Plausibler scheint vielmehr eine Beschreibung und Erklärung des äußeren, d.h.
des organisatorischen und logistischen Rahmens der Reichsversammlungen
aus der Konfiguration des jeweiligen Ordnungsgefüges, den politischen Tradi-
tionen und schließlich der individuellen Herrschaftsausgestaltung heraus.
Die Regelmäßigkeit, mit der ungarische Reichsversammlungen abgehalten
wurden, ist zunächst mit dem Stellenwert zu begründen, den die Reichstage
in den 1440er Jahren, während der Herrschaft des permanent reichsfernen Kö-
nigs Wladyslaw III. und der Reichsverweserschaft Jänos Hunyadis erlangt hat-
ten. Mit dem Bedeutungszuwachs dieser vornehmlich adeligen Foren kamen
neben den einflussreichen Magnaten erstmals auch Vertreter des einfachen

54 In Entsprechung zu dieser gleichsam »reagierenden Regierungsweise« hat Wolfgang Rein-
hard im Hinblick auf Entwicklung der Gesetzgebung in Europa deshalb von »pragmatischen
Maßnahmegesetzen« gesprochen, von Gesetzen, die entlang von Einzelfällen aufgestellt wur-
den. REINHARD, Verfassungsgeschichte, S. 123.
55 Rem ^Mod sdigMds awiis ad /esfMM PeiRdecosfes omiies preiah, daroiies, magMafes et Moddes reg?d ...
di eodem loco et die gMdemafor ipse o^cdim SMe gMdemadoids ceferä?Me daroiies et coMsdiard doiiores
et o^'cia ipsorMM depona?if fracfeiidyMe dddem Midder de /äcds reg?d. GA XXVIII des Dekrets vom
25. März 1447, in: DRMH II, hier S. 119.
56 Vgl. dazu die Überlegungen des polnischen Historikers Slawomir Gawlas. Ausgehend von
seiner Kritik an den terminologischen Unschärfen der gegenwärtigen polnischen Forschung
und dem Fehlen angemessener Untersuchungskriterien benannte er - mit Blick auf die mit-
telalterlichen Königreiche Polen, Ungarn und Böhmen - jüngst die Klassifizierbarkeit spät-
mittelalterlicher Ständestaaten nach gemeinsamen grundlegenden Kriterien als wesentliches
Forschungsziel. GAWLAS, Kröl i stany, bes. S. 157-162.
 
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