Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Münchner kunsttechnische Blätter — 6.1909/​1910

DOI Heft:
Nr. 3
DOI Artikel:
Linde, Hermann: Die "eingefühlten Retuschen"
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.36592#0013

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Manchen, 1. Nov. 1909.
Beilage zur „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint !4tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.
Yl.Jahrg. Nr. 3.

!nha)t: Die „eingefühlten Retuschen". Von Herrn. Linde. (Schluss.) — Die Oeliarben. Von Cornelius
Hebing. (Schluss.) — Die Haarlemer Bilder des Frans Hals. Von E. Kiesling.

Die „emgefühHen Retuschen".

Von Her
Ueber das in meinem letzten Artikel erwähnte
Abblättern der Farbschicht bei alten Gemälden,
wie es z. B. bei dem Rubensschen Bilde „Raub
der Töchter des Leukyppos" in der Münchner
Pinakothek der Fall ist, sind mir von fachkundiger
Seite folgende Erklärungen gegeben:
Durch das Restaurieren mit Alkohol schwinde
der Fettgehalt in der Farbschicht, die Bilder
würden spröde und ein Abblättern sei die not-
wendige Folge, wenn die Gemälde infolge trocke-
ner Luft, wie sie häutig in den Galerien herrsche,
noch stark ausdörrten. Schon Prof. Hauser in
München habe dies erkannt gehabt und die Ela-
stizität vermittelst Durchtränken mit der von ihm
auch empfohlenen Mischung, bestehend aus Mastix-
lack, Leinöl und Bleizucker, wieder herzu-
stellen gesucht. Ferner käme ein Loslösen der
Farbschicht vor, wenn Gemälde, die Sprünge in
der Pigmentschicht hätten, mit Wasser abgerieben
würden, es bliebe dann nach dem Trockenreiben
ein Teil der Feuchtigkeit in den Rissen und
sickerte zum Teil hinter die Farbschicht, die sich
dann an den Rändern hebt. Bei öfterer Wieder-
holung löse sich die Schicht mehr und mehr ab,
bis schliesslich ganze Teile herabñelen.**) — Dass
auch andererseits Temperatur- und Feuchtigkeits-
verhältnisse der Luft, wie Herr Berger annimmt,
Ursache des Abblätterns sind, sei wohl anzu-
nehmen und schliesslich seien immer Bilder in
der Gefahr, dass sich die Farbschicht loslöst,
wenn sie an einer feuchten Wand hängen. — Es
wäre wohl wünschenswert, den Ursachen dieses
Abblätterns in jedem Falle genau auf die Spur
*) Vgl. Nr. :6 des vorig. Jahrgangs.
**) In einigen unserer deutschen grossen Galerien
war es bis in die letzte Zeit üblich, Bilder mit Wasser
abzureiben, namentlich wenn sie blau angelaufene Stellen
hatten.

. Linde. (Sch]uss.*j
zu kommen, da dadurch manche Bilder vor dem
Verfall gerettet werden könnten.
Um nun auf die letzte Erwiderung des Herrn
Benz (Nr. 20 dieser Blätter) zurückzukommen, in
welcher er einem eingehenden Unterricht im
Restaurieren das Wort redet, so frage ich, wer
soll diesen Unterricht erteilen, da doch die Arbeit
unserer ersten Restauratoren, die sicher nach
bestem Gewissen ihre Tätigkeit ausgeübt haben,
nicht durchweg eine heilbringende war, so dass
jetzt wohl die meisten Galerieleitungen wünschen,
man hätte die Bilder lieber in Ruhe gelassen?
Wenn es möglich war, Gemälde mit Leinöl und
Bleizucker zu durchtränken, nachdem man
ihnen die Uebermalung genommen, so glaube
ich, dass auch ein Nichtfachmann Schlimmeres
nicht aussinnen "kann.
Auf das über die eingefühlten Retuschen Ge-
sagte nochmals zurückzukommen, erscheint mir
überflüssig, es sei nur wiederholt, dass jegliches
Arbeiten an Gemälden alter Meister mit Farbe
und Pinsel von seiten des Restaurators als un-
statthaft bezeichnet werden muss. Dazu gehört
auch das „Wiederherstellen der Einheit", wenn
nach Ansicht des Restaurators sich die „Pigmente
verändert" haben.*)
Das von Prof. Cavenaghi restaurierte, als
Beweis aufopfernder Tätigkeit angeführte Abend-
mahl Leonardos ist gerade ein Beispiel dafür,
dass nur dann ein Bild seinen Wert behält, wenn
ausschliesslich die physikalischen Ursachen seines
Verfalles beseitigt werden. Durch „eingefühlte
Retuschen" hätte das Abendmahl Leonardos eben
seinen künstlerischen Wert eingebüsst und die Welt
*) Durch Abnahme des Lackes verändern sich
dieselben allerdings sehr oft; daher sollte man den
alten Lack nicht so oft herunternehmen, wie es leider
geschieht.
 
Annotationen