München, 5. Sept. 1910.
Beitage zur „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint i4tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.
YI. Jahrg. Nr. 23.
Inhalt: Eugene Deiacroix'Tagebuch. Von Pau[ Gerhardt. (Schluss.) — Haltbarkeitsprüfungen in der Farben-
industrie. Von Dr. Heinrich Pudor. — Die Uebermahmg von Photographien. Von M. i. T. — Zur
Affäre Tschudi-Rubens. Von Hermann Linde.
Eugene Delacroix' Tagebuch.
Von Paut
Die Musik, der musikalische Vortrag, ist vor
aiiem auch eines jener Hauptmittei, die dem
regen Geist eines Deiacroix bei seinem Schaffen
Fiügei verleiht. Er Hebt und versteht Musik,
sein Urteii über Chopin, der erst im Anfangs-
stadium seiner Kunst war, ist zutreffend, er sagt
das voraus, was die Weit heute anerkennt.
Auch der gut gesprochene Vortrag kann den
Meister begeistern und ihn in die Situation sich
vertiefen lassen.
„Der beste Kopf auf meinem ,Dante' ist mit
äusserster Schnelligkeit entstanden, während Pierret
einen mir schon bekannten Gesang aus Dante
vorlas, dem er durch den Akzent eine Energie
einhauchte, die mich elektrisierte. Es ist das der
Kopf des Mannes, der auf die Barke zu klettern
versucht und schon seinen Arm über den Rand
gelegt hat."
Weniger zutreffend sind die Ausführungen und
Ansichten von Delacroix über die Freskotechnik.
Selbst durch und durch Tafelmaler, hatte er, da
er nie in Italien war, keine Gelegenheit, die
grössten Schöpfungen in dieser Technik zu sehen.
Zudem forderte die derzeitige Strömung keine
Monumentalmalerei im Sinne der Freskomalerei.
Die leichtere Behandlung der Oelmalerei in Ver-
bindung mit der Annahme, damit dasselbe er-
reichen zu können, hatte die schwierigere Fresko-
technik verdrängt. Man stand dieser Technik
gerade in Frankreich verhältnismässig verständnis-
los gegenüber. Obwohl Delacroix ein bestimmtes
und sehr schroffes Urteil über diese Technik fällt,
scheint er sehr wohl das Fehlen des eigenen
Wissens zu fühlen, und es ist köstlich zu lesen,
wie er selbst oft recht schwache Einwände gelten
lässt, die dieses positive Urteil rechtfertigen sollen.
Es scheint wie eine Furcht vor dieser ihm
Gerhardt. (Schluss.)
als äusserst schwierig geschilderten Technik
zu sein.
Nichtsdestoweniger offenbaren uns seine Dar-
legungen herrlich den Geist seiner Kunstperiode
und deren Ansichten darüber, natürlich der fran-
zösischen, denn in Deutschland hatte man längst
begonnen, den verlorengegangenen Faden wieder
zu suchen. Man war mächtig mit der Rekonstruktion
der alten wuchtigen Technik und ihres Stiles be-
schäftigt.
Deiacroix bestätigt, dass man mit der Oel-
malerei die Freskomalerei nicht nachzuahmen im-
stande ist. Er sagt, dass diese Technik geeignet
sei, sich in Dekorationen den grossen Linien der
Architektur anzuschliessen, mehr als die Fein-
heiten und Kostbarkeit der Gegenstände auszu-
drücken. Tizian habe aus diesem Grunde die
Freskomalerei wenig kultiviert. Paul Veronese
habe, obwohl dazu geeigneter, nur wenige Fresken
gemacht. Delacroix führt weiter aus:
„Man muss auch betonen, dass zur Zeit, als
die Freskomalerei blühte, nämlich in den ersten
Zeiten der Renaissance, die Malerei noch nicht
alle die Mittel beherrschte, über die sie heute
verfügt."
Man muss immer wieder hervorheben, dass
Delacroix niemals die Meisterwerke der italieni-
schen Renaissance gesehen hat und schlecht oder
im Sinne des Durchschnittes seiner Zeit unter-
richtet worden ist.
Für ihn gibt es nur die Oeltechnik mit ihrem
„Wunder von Illusion in der Farbe und der Wir-
kung", um derentwillen man gern die Fresko-
technik vergessen sein lassen darf.
Köstlich ist das Resümee, das der Meister in
die Worte zusammenfasst:
„Das sind eben Veränderungen, die die Zeit