Nr.
Münchner kunsttechnische Blätter.
75
einigen Wochen erkennen. Es ist auch hier nicht
gleichgültig, ob wässerige oder ölige Bindemittel
Verwendung finden, aber eine Gesetzmässigkeit
hess sich in dieser Hinsicht nicht feststeilen. Be-
merkt sei noch, dass eine Lackschicht den Zin-
nober keineswegs vor Schwärzung schützt. Die
Schwärzung, d. h. die Umwandiung der roten
Form des Schwefeiquecksiibers in die schwarze,
dürfte woh! nicht auf reine Lichtwirkung, sondern
auch auf Wärmewirkung zurückzuführen sein.
Von den Ersatzprodukten für Zinnober ist in
erster Linie das Kadmium hochrot zu nennen.
Dieses Pigment, das von Eibner bereits als zu-
verlässig empfohlen worden ist, besitzt auch nach
meinen Beobachtungen eine sehr gute Lichtbe-
ständigkeit und kann in dieser Hinsicht einwand-
frei genannt werden. Aber das Kadmium hoch-
rot hat bei weitem nicht den reinen, lebhaft roten
Ton der schönsten Zinnobersorten, es nähert sich
vielmehr den Eisenoxydfarben, so dass es also
den Zinnober nicht vollständig ersetzen kann, auch
wenn es sich sonst in jeder Hinsicht bewähren
sollte. Es ist daher sehr erfreulich, dass die Teer-
farbenindustrie auf dem besten Wege ist, die
hier vorhandene Lücke auszufüllen.
(Fortsetzung folgt.)
Eiwas vom Horizont in der Maierei.
Von Carl Reinhold.
Der Horizont ist die Grenzlinie zwischen Himmel
und Erde. Es ist eine uns allen geläufige Tatsache,
dass für unser Auge gegen den Horizont hin alles
immer kleiner wird, alle Höhen, Breiten und Tiefen
mehr und mehr zusammenschrumpfen. Die Erklärung
ist sehr einfach: Sehen wir z. B. an einer schnurgeraden
Reihe von Telegraphenstangen entlang und fassen die
uns zunächst stehende Stange ins Auge, so schliessen
die Blicke, „Sehstrahlen", die wir nach Fuss und Spitze
der Stange schicken, einen bestimmten Winkel ein;
bei der zweiten Stange ist dieser Winkel schon kleiner,
bei der dritten noch kleiner und so fort; schliesslich
— vorausgesetzt, dass die Reihe lange genug sichtbar
ist — verschmelzen beide Sehstrahlen zu Einem, die
Stange ist zum Punkt geworden.
Einen fast idealen Horizont haben wir vor uns auf
oder am Meere mit dem Blick auf das Meer, da sehen
wir wirklich bis dahin, wo „die Welt zu Ende ist". Im
Binnenlande verdeckt uns den Horizont alles, was ihn
überschneidet, d. h. was sich über die reine Ebene
erhebt; im Walde, im Zimmer sehen wir von ihm über-
haupt nichts. Aber auch der Meereshorizont ist nur
fast ideal, denn einen grossen Dampfer sehen wir auch
am Horizont noch nicht als Punkt, und wenn er selbst
bereits verschwunden, ragt noch sein Schornstein über
den Horizont hervor. Die perspektivische Theorie
nimmt einen wirklich idealen, d. h. unendlich fernen,
Horizont an, in welchem jegliche Grösse aufhört und
den diejenige Linie bildet, welche einen aus unserem
Auge horizontal entsandten Sehstrahl in unendlicher
Entfernung horizontal durchschneidet. Die Theorie
muss das tun, um mit einem unabänderlichen Gesetz
zu arbeiten, und sie darf es tun, denn im Bilde spielt
es doch keinerlei Rolle, dass nach einem optischen
Gesetz zwei in der Wirklichkeit parallele Linien schein-
bar schon, oder wie man will, erst dann Zusammen-
treffen, wenn ihre Entfernung von uns fort ungefähr
das Dreitausendfache ihres gegenseitigen Abstandes
erreicht hat (in unserem Beispiel also, wenn wir die
Telegraphenlinie bis auf die dreitausendfache Ent-
fernung der Stangenhöhe verfolgen). Und ebensowenig
spielt die Erweiterung des natürlichen Horizonts (z. B.
anstatt vom Strande von der Düne oder gar vom
Leuchtturm herab nach ihm gesehen) eine Rolle, denn-
für die Verhältnisse eines Bildes ist schon vom Strande
aus gesehen der natürliche Horizont unendlich fern,
und die von der Düne oder vom Leuchtturm nach ihm
geschickten Sehstrahlen können unbedenklich als pa-
rallel mit denjenigen vom Strande aus angenommen,
werden. So fallen mithin für die Praxis der natürliche
und der ideale Horizont zusammen und in dieser Hin-
sicht wird gegen die Theorie wohl auch kein Einwand,
erhoben.
Etwas anderes ist es mit dem „einäugigen" Sehen,
Die Theorie muss sich natürlich auf das Sehen mit
nur einem Auge gründen. Je weniger nahe uns die
Gegenstände der Wirklichkeit sind, desto unbedeuten-
der wird ja auch die Rolle, welche das beidäugige
Sehen spielt, und in der Nähe können wir ohnehin den
Effekt davon, dass wir den betreffenden Gegenstand
gewissermassen von zwei Seiten umfassen, auf die
Bildfläche — weil eben eine Fläche — doch nicht
übertragen. Aber es gibt moderne Maler, die in der
Auflösung des Konturs ein Mittel erblicken, auch den
Effekt des beidäugigen Sehens auf die Leinwand zu
bannen, und hieraufhin der ganzen Linearperspektive
aus ihrer Einäugigkeit einen Strick drehen zu dürfen
glauben. — Mit der Eigenschaft des Bildes als Dar-
stellung von Raum auf einer Fläche hängt es übrigens
auch zusammen, dass wir von seiner Tiefenwirkung
einen täuschenderen Eindruck erhalten, wenn wir ein
Auge schliessen, als wenn wir das Bild mit beiden
Augen betrachten.
Einen Horizont gibt es in jedem Bilde, so gut wie
in der Landschaft auch im Interieur, im Stilleben, so-
gar im Porträt, der ganze zeichnerische („lineare") Auf-
bau des Bildes wird durch ihn bestimmt, und wo er,,
wie in allen Bildern, die nicht in der Ferne das Meer
oder ein Stück von ihm geben, mehr oder weniger
verdeckt ist, existiert er doch in der Idee; im Bilde
eines möblierten Zimmers, eines Saales oder eines.
Kircheninneren z. B. würden wir ihn, je nach der Ge-
wissenhaftigkeit des Malers vielleicht, wahrscheinlich
oder gewiss, unter der Farbenschicht als tatsächlich
gezogenen Kohle- oder Kreidestrich finden.
Wie bereits auseinandergesetzt (Strand, Düne,
Leuchtturm), ist der Maler in der Wahl der Höhe des
Horizonts für sein Bild durch die Theorie nicht be-
schränkt, er wird also aus künstlerischen Rücksichten
häufig von dem Einfachsten (vom Natürlichen) ab-
weichen. Das Natürliche ist, den Horizont in die Mitte
des Bildes zu verlegen, denn von dem Bilde der Wirk-
lichkeit erfassen wir, geradeaussehend, gleichviel wie
hoch oder wie tief wir stehen, ebensoviel von dem,
was über, wie von dem, was unter dem Horizont liegt.
Ist dann aber der Horizont nicht mehr oder weniger
überschnitten, so wäre solche Halbierung des Bildes
nicht geschmackvoll, und deshalb besteht für den
Standpunkt des Malers zu ebener Erde die — natür-
lich nur ganz allgemeine — Regel: zwei Drittel Luft,
ein Drittel Erde. Und mit höherem Standpunkt steigt
der Horizont ganz von selbst. Auf dem Leuchtturm
würde der Maler wohl ohne weitere Ueberlegung
seinem Bilde nur ein Drittel Luft und zwei Drittel
Wasser geben, einfach, um mit dem Vordergrund „nicht
gar so weit abzubleiben". Dies führt uns darauf, dass
auch beim Stand in der Ebene der Maler nach Gefallen
das Verhältnis Luit, Erde nach beiden Richtungen hin
variieren kann; legt er das Hauptgewicht auf die Luft,
so setzt er mit dem Vordergründe seines Bildes erst
spät, sagen wir auf 20, 30 Schritt von sich entfernt,
Münchner kunsttechnische Blätter.
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einigen Wochen erkennen. Es ist auch hier nicht
gleichgültig, ob wässerige oder ölige Bindemittel
Verwendung finden, aber eine Gesetzmässigkeit
hess sich in dieser Hinsicht nicht feststeilen. Be-
merkt sei noch, dass eine Lackschicht den Zin-
nober keineswegs vor Schwärzung schützt. Die
Schwärzung, d. h. die Umwandiung der roten
Form des Schwefeiquecksiibers in die schwarze,
dürfte woh! nicht auf reine Lichtwirkung, sondern
auch auf Wärmewirkung zurückzuführen sein.
Von den Ersatzprodukten für Zinnober ist in
erster Linie das Kadmium hochrot zu nennen.
Dieses Pigment, das von Eibner bereits als zu-
verlässig empfohlen worden ist, besitzt auch nach
meinen Beobachtungen eine sehr gute Lichtbe-
ständigkeit und kann in dieser Hinsicht einwand-
frei genannt werden. Aber das Kadmium hoch-
rot hat bei weitem nicht den reinen, lebhaft roten
Ton der schönsten Zinnobersorten, es nähert sich
vielmehr den Eisenoxydfarben, so dass es also
den Zinnober nicht vollständig ersetzen kann, auch
wenn es sich sonst in jeder Hinsicht bewähren
sollte. Es ist daher sehr erfreulich, dass die Teer-
farbenindustrie auf dem besten Wege ist, die
hier vorhandene Lücke auszufüllen.
(Fortsetzung folgt.)
Eiwas vom Horizont in der Maierei.
Von Carl Reinhold.
Der Horizont ist die Grenzlinie zwischen Himmel
und Erde. Es ist eine uns allen geläufige Tatsache,
dass für unser Auge gegen den Horizont hin alles
immer kleiner wird, alle Höhen, Breiten und Tiefen
mehr und mehr zusammenschrumpfen. Die Erklärung
ist sehr einfach: Sehen wir z. B. an einer schnurgeraden
Reihe von Telegraphenstangen entlang und fassen die
uns zunächst stehende Stange ins Auge, so schliessen
die Blicke, „Sehstrahlen", die wir nach Fuss und Spitze
der Stange schicken, einen bestimmten Winkel ein;
bei der zweiten Stange ist dieser Winkel schon kleiner,
bei der dritten noch kleiner und so fort; schliesslich
— vorausgesetzt, dass die Reihe lange genug sichtbar
ist — verschmelzen beide Sehstrahlen zu Einem, die
Stange ist zum Punkt geworden.
Einen fast idealen Horizont haben wir vor uns auf
oder am Meere mit dem Blick auf das Meer, da sehen
wir wirklich bis dahin, wo „die Welt zu Ende ist". Im
Binnenlande verdeckt uns den Horizont alles, was ihn
überschneidet, d. h. was sich über die reine Ebene
erhebt; im Walde, im Zimmer sehen wir von ihm über-
haupt nichts. Aber auch der Meereshorizont ist nur
fast ideal, denn einen grossen Dampfer sehen wir auch
am Horizont noch nicht als Punkt, und wenn er selbst
bereits verschwunden, ragt noch sein Schornstein über
den Horizont hervor. Die perspektivische Theorie
nimmt einen wirklich idealen, d. h. unendlich fernen,
Horizont an, in welchem jegliche Grösse aufhört und
den diejenige Linie bildet, welche einen aus unserem
Auge horizontal entsandten Sehstrahl in unendlicher
Entfernung horizontal durchschneidet. Die Theorie
muss das tun, um mit einem unabänderlichen Gesetz
zu arbeiten, und sie darf es tun, denn im Bilde spielt
es doch keinerlei Rolle, dass nach einem optischen
Gesetz zwei in der Wirklichkeit parallele Linien schein-
bar schon, oder wie man will, erst dann Zusammen-
treffen, wenn ihre Entfernung von uns fort ungefähr
das Dreitausendfache ihres gegenseitigen Abstandes
erreicht hat (in unserem Beispiel also, wenn wir die
Telegraphenlinie bis auf die dreitausendfache Ent-
fernung der Stangenhöhe verfolgen). Und ebensowenig
spielt die Erweiterung des natürlichen Horizonts (z. B.
anstatt vom Strande von der Düne oder gar vom
Leuchtturm herab nach ihm gesehen) eine Rolle, denn-
für die Verhältnisse eines Bildes ist schon vom Strande
aus gesehen der natürliche Horizont unendlich fern,
und die von der Düne oder vom Leuchtturm nach ihm
geschickten Sehstrahlen können unbedenklich als pa-
rallel mit denjenigen vom Strande aus angenommen,
werden. So fallen mithin für die Praxis der natürliche
und der ideale Horizont zusammen und in dieser Hin-
sicht wird gegen die Theorie wohl auch kein Einwand,
erhoben.
Etwas anderes ist es mit dem „einäugigen" Sehen,
Die Theorie muss sich natürlich auf das Sehen mit
nur einem Auge gründen. Je weniger nahe uns die
Gegenstände der Wirklichkeit sind, desto unbedeuten-
der wird ja auch die Rolle, welche das beidäugige
Sehen spielt, und in der Nähe können wir ohnehin den
Effekt davon, dass wir den betreffenden Gegenstand
gewissermassen von zwei Seiten umfassen, auf die
Bildfläche — weil eben eine Fläche — doch nicht
übertragen. Aber es gibt moderne Maler, die in der
Auflösung des Konturs ein Mittel erblicken, auch den
Effekt des beidäugigen Sehens auf die Leinwand zu
bannen, und hieraufhin der ganzen Linearperspektive
aus ihrer Einäugigkeit einen Strick drehen zu dürfen
glauben. — Mit der Eigenschaft des Bildes als Dar-
stellung von Raum auf einer Fläche hängt es übrigens
auch zusammen, dass wir von seiner Tiefenwirkung
einen täuschenderen Eindruck erhalten, wenn wir ein
Auge schliessen, als wenn wir das Bild mit beiden
Augen betrachten.
Einen Horizont gibt es in jedem Bilde, so gut wie
in der Landschaft auch im Interieur, im Stilleben, so-
gar im Porträt, der ganze zeichnerische („lineare") Auf-
bau des Bildes wird durch ihn bestimmt, und wo er,,
wie in allen Bildern, die nicht in der Ferne das Meer
oder ein Stück von ihm geben, mehr oder weniger
verdeckt ist, existiert er doch in der Idee; im Bilde
eines möblierten Zimmers, eines Saales oder eines.
Kircheninneren z. B. würden wir ihn, je nach der Ge-
wissenhaftigkeit des Malers vielleicht, wahrscheinlich
oder gewiss, unter der Farbenschicht als tatsächlich
gezogenen Kohle- oder Kreidestrich finden.
Wie bereits auseinandergesetzt (Strand, Düne,
Leuchtturm), ist der Maler in der Wahl der Höhe des
Horizonts für sein Bild durch die Theorie nicht be-
schränkt, er wird also aus künstlerischen Rücksichten
häufig von dem Einfachsten (vom Natürlichen) ab-
weichen. Das Natürliche ist, den Horizont in die Mitte
des Bildes zu verlegen, denn von dem Bilde der Wirk-
lichkeit erfassen wir, geradeaussehend, gleichviel wie
hoch oder wie tief wir stehen, ebensoviel von dem,
was über, wie von dem, was unter dem Horizont liegt.
Ist dann aber der Horizont nicht mehr oder weniger
überschnitten, so wäre solche Halbierung des Bildes
nicht geschmackvoll, und deshalb besteht für den
Standpunkt des Malers zu ebener Erde die — natür-
lich nur ganz allgemeine — Regel: zwei Drittel Luft,
ein Drittel Erde. Und mit höherem Standpunkt steigt
der Horizont ganz von selbst. Auf dem Leuchtturm
würde der Maler wohl ohne weitere Ueberlegung
seinem Bilde nur ein Drittel Luft und zwei Drittel
Wasser geben, einfach, um mit dem Vordergrund „nicht
gar so weit abzubleiben". Dies führt uns darauf, dass
auch beim Stand in der Ebene der Maler nach Gefallen
das Verhältnis Luit, Erde nach beiden Richtungen hin
variieren kann; legt er das Hauptgewicht auf die Luft,
so setzt er mit dem Vordergründe seines Bildes erst
spät, sagen wir auf 20, 30 Schritt von sich entfernt,