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Münchner kunsttechnische Blätter.
Nr. 16.
der weisse Grund nicht das einzige, ja nicht einmal
das stärkste Licht ist, welches auf die Ueberlage
(Lasur) wirkt, sondern das von vorn darauffallende
Tageslicht viel energischer ist als das durchscheinende
Licht des Weiss, welches doch nur das Tageslicht
schwach zurückwirft, so sind wir genötigt zu der Her-
vorbringung gelber und roter Töne uns gelber und
roter Ueberzüge zu bedienen.
Hieraus erklärt sich der grosse Unterschied
zwischen den Tönen, welche entstehen, wenn man Weiss
mit Schwarz und wenn man Schwarz mit Weiss lasiert,
selbstwennbeideTönegleichdunkel sind. Undbeidesind
gleichwohl spezifisch verschieden von dem Ton, der
aus Weiss und Schwarz gemischt ist. Ein ähnliches
Verhältnis findet statt bei allen möglichen Tönen, die
entweder durch die Unterlage oder Ueberlage dieser
oder jener Farbe oder Farbenmischung erzeugt werden.
Es leuchtet schon a priori ein, und die Praxis bezeugt
es noch evidenter, dass der Maler durch Anwendung
dieser Erfahrungssätze eine unzählbare Menge von
Farbtönen hervorzubringen imstande ist, die auf anderem
Wege durchaus nicht erreichbar sind.
Wie das Obige von dem grossen Tizian in der
Malerei in Anwendung gebracht worden, wird uns
klar werden, wenn wir dessen Verfahren, soweit wir es
imstande sind, werden mitgeteilt haben.
Die Tiziansche Malweise.
Unsere sorgfältigsten Untersuchungen und Be-
obachtungen haben unwiderlegbar dargetan, dass
Tizian (und ausser ihm Bonifacio, Giorgione,
vielleicht überhaupt die venezianische Schule) in der
Regel jede Farbe (und jeden Farbenton) anders
untermalte, als sie das fertige Gemälde zeigen sollte; —
und zwar anders sowohl der Farbe nach, als auch
der Helligkeit und Dunkelheit nach.
In den meisten Fällen scheint er die ganze Unter-
malung mit stark ins Grau gebrochenen Farben gemacht
zu haben, so aber, dass die nicht transparentlichten
Partien samt den Mitteltönen — z. B. der Karnation —
dunkler, die Schatten desselben aber heller gehalten
wurden, als sie nach der Vollendung werden sollten.
Bei der Uebermalung, die, beiläufig gesagt, öfter wieder-
holt wurde, wurden die Lichtpartien mit immer rei-
neren und helleren Tönen übergangen und stark im-
pastiert. Die Schatten und Reflexe hingegen wurden
dünner und meist mit klareren Farben übergangen, und
umgekehrt wie bei den Lichtpartien aus dem Helleren,
Blässeren in das Dunklere und Farbigere gearbeitet.
Die Mitteltöne und Uebergänge aus dem Licht in den
Schatten wurden gleichfalls dünn übermalt, aber nicht
mit klaren Tönen, wie die Schatten, sondern mit
solchen deckenden Tönen, die den im Licht gebrauchten
ähnlich und verwandt waren. Dadurch, dass sie nicht
impastiert wurden, lassen sie die dunklere Unterlage
durchscheinen und geben so ohne Blau oder Schwarz
kalte Töne, die unendlich feiner und weit weniger
materiell sind als gemischte. Solche Mitteltöne sind
gleichsam nur ein Farbenspiel ohne reelle Farben,
ähnlich wie in der Natur selbst.
Es ist indes wohl zu beachten, dass Licht- und
Mitteltöne dunkler untermalt werden müssen,
als sie später werden sollen. Nur dadurch, dass man
oeide mit immer helleren Tönen übergeht, werden sie
leuchtend. Wo hingegen eine hellere Unterlage mit
dunkleren Tönen übergangen wird, werden diese fest
und lichtlos, ja bei öfterer Wiederholung sogar ledern.
Das Licht — sofern es nicht durch Reflexe gefärbt
ist — erscheint gegen die Schatten und Reflexe,
aber immer kalt, und es ist ein durchaus falscher
Grundsatz, das gewöhnliche Tageslicht warm zu färben.
Warme Lichter geben der Malerei immer etwas Spek-
kiges.
Beim Retuschieren kann das Licht, wo es nötig er-
scheint, vermittelst leichter Lasuren wärmer und der
Schatten durch Uebergehen mit trüben Farben kälter
gemacht werden. Einen grossen Reiz gewähren auf
das Trockene gesetzte Lichter, die nach Umständen
lasiert werden können. (Fortsetzung folgt.)
Die Palette der Steinzeit.
Im Anthropologischen Verein zu Göttingen hielt
Herr Prof. Dr. Verworn einen Vortrag über steinzeitliche
Malerutensilien und zwar auf Grund von Ausgrabungen,
die er in den bekannten Fundorten Frankreichs vor-
genommen hat. Der Vortragende wies zunächst darauf
hin, dass unter den heute noch lebenden Völkern mit
Steinkulturen überall der Gebrauch der Farben bekannt
ist, sei es zum Zwecke der Körperbemalung, sei es
zur Geräteverzierung, sei es zur Herstellung von Felsen-
bildern und Wandmalereien. Vom Beginn des mittleren
Paläolithicums an, d. h. von Aurignacien an zieht sich
die Verwendung von Farben durch die gesamten
Kulturen der Steinzeit hindurch. Während die Werke
der steinzeitlichen Künstler aber seit längerer Zeit
bereits eingehende Beachtung fanden, haben die
Malutensilien bisher nur wenig Berücksichtigung ge-
funden, da sie meist unscheinbar und vielfach schwer
als solche zu erkennen sind. Vom Farbenmaterial der
prähistorischen Kulturen haben sich begreiflicherweise
nur die mineralischen Farben erhalten. Es sind vor-
wiegend Eisenoxyde, wie sie die Natur als Brauneisen-
stein, Roteisenstein und gelben Eisenocker in allen
Farbennuancen bietet, ferner schwarze Manganerze
und weisser Kalk zur Verwendung gekommen. An
paläolithischen Lagerplätzen Frankreichs, wie z. B. in
der Grotte von Les Eyzies, fand der Vortragende
rotes Farbenmaterial in grossen Mengen. Er konnte
nachweisen, dass das Material pulverisiert wurde, teils
durch Abschaben mit einem Feuersteinschaber, teils
durch Reiben des Farbstückes auf einer rauhen Stein-
unterlage, teils durch Zerklopfen und Zerreiben des
Farbstückes mit einem Geröllstein. Das so gewonnene
Pulver wurde dann mit einem Bindemittel und zwar,
nach der Analogie mit heutigen Naturvölkern zu
schliessen, mit Fett zu einer Paste verrieben. Das
geschah mit dem Finger entweder auf einem Felsen
oder auf einem kleineren Stein, der als Palette diente.
Diese Palettensteine waren teils rohe, unbearbeitete
Steine, mit einer Fläche oder einer natürlichen Ver-
tiefung, teils künstlich zugerichtete und bisweilen mit
grosser Mühe bearbeitete Geräte. Als verhältnismässige
Seltenheiten erscheinen im späteren Paläolithicum
harte Rollsteine, die durch mühsames Auspicken eines
Hachen Napfes auf der einen Flachseite zu schön und
regelmässig gestalteten Farbenreibschaien umgestaltet
sind. Der Vortragende konnte zwei solcher Exemplare
aus dem Magdalenien, von denen das eine aus der
Höhle von Les Eyzies, das andere aus Leugerie
Basse stammt, vorlegen. Zur Bemalung der Felswand
oder des Knochenwerkzeuges, vermutlich auch der
Holzgeräte, wurde zunächst die Zeichnung oder das
Ornament in seinem Umriss eingekratzt resp. einge-
schnitten und zwar mit Feuersteinen. Schliesslich
wurde die Farbe mit den Fingern aufgetragen und
auf der Fläche verrieben. Oft hat dabei die Farbe
nicht für die ganze Fläche gereicht, und so* sehen wir
auf den französischen Höhlenbildern nicht selten nur
Teile des Bildes farbig, oft nur die Kontur. Dass
schliesslich auch die Geräte-Ornamente, die man mit
Feuerstein z. B. in den Knochen einschnitt und einsägte,
mit Farbstoff eingerieben wurden, lässt sich noch heute
an einzelnen Exemplaren erkennen. (Frankf. Ztg.)
Münchner kunsttechnische Blätter.
Nr. 16.
der weisse Grund nicht das einzige, ja nicht einmal
das stärkste Licht ist, welches auf die Ueberlage
(Lasur) wirkt, sondern das von vorn darauffallende
Tageslicht viel energischer ist als das durchscheinende
Licht des Weiss, welches doch nur das Tageslicht
schwach zurückwirft, so sind wir genötigt zu der Her-
vorbringung gelber und roter Töne uns gelber und
roter Ueberzüge zu bedienen.
Hieraus erklärt sich der grosse Unterschied
zwischen den Tönen, welche entstehen, wenn man Weiss
mit Schwarz und wenn man Schwarz mit Weiss lasiert,
selbstwennbeideTönegleichdunkel sind. Undbeidesind
gleichwohl spezifisch verschieden von dem Ton, der
aus Weiss und Schwarz gemischt ist. Ein ähnliches
Verhältnis findet statt bei allen möglichen Tönen, die
entweder durch die Unterlage oder Ueberlage dieser
oder jener Farbe oder Farbenmischung erzeugt werden.
Es leuchtet schon a priori ein, und die Praxis bezeugt
es noch evidenter, dass der Maler durch Anwendung
dieser Erfahrungssätze eine unzählbare Menge von
Farbtönen hervorzubringen imstande ist, die auf anderem
Wege durchaus nicht erreichbar sind.
Wie das Obige von dem grossen Tizian in der
Malerei in Anwendung gebracht worden, wird uns
klar werden, wenn wir dessen Verfahren, soweit wir es
imstande sind, werden mitgeteilt haben.
Die Tiziansche Malweise.
Unsere sorgfältigsten Untersuchungen und Be-
obachtungen haben unwiderlegbar dargetan, dass
Tizian (und ausser ihm Bonifacio, Giorgione,
vielleicht überhaupt die venezianische Schule) in der
Regel jede Farbe (und jeden Farbenton) anders
untermalte, als sie das fertige Gemälde zeigen sollte; —
und zwar anders sowohl der Farbe nach, als auch
der Helligkeit und Dunkelheit nach.
In den meisten Fällen scheint er die ganze Unter-
malung mit stark ins Grau gebrochenen Farben gemacht
zu haben, so aber, dass die nicht transparentlichten
Partien samt den Mitteltönen — z. B. der Karnation —
dunkler, die Schatten desselben aber heller gehalten
wurden, als sie nach der Vollendung werden sollten.
Bei der Uebermalung, die, beiläufig gesagt, öfter wieder-
holt wurde, wurden die Lichtpartien mit immer rei-
neren und helleren Tönen übergangen und stark im-
pastiert. Die Schatten und Reflexe hingegen wurden
dünner und meist mit klareren Farben übergangen, und
umgekehrt wie bei den Lichtpartien aus dem Helleren,
Blässeren in das Dunklere und Farbigere gearbeitet.
Die Mitteltöne und Uebergänge aus dem Licht in den
Schatten wurden gleichfalls dünn übermalt, aber nicht
mit klaren Tönen, wie die Schatten, sondern mit
solchen deckenden Tönen, die den im Licht gebrauchten
ähnlich und verwandt waren. Dadurch, dass sie nicht
impastiert wurden, lassen sie die dunklere Unterlage
durchscheinen und geben so ohne Blau oder Schwarz
kalte Töne, die unendlich feiner und weit weniger
materiell sind als gemischte. Solche Mitteltöne sind
gleichsam nur ein Farbenspiel ohne reelle Farben,
ähnlich wie in der Natur selbst.
Es ist indes wohl zu beachten, dass Licht- und
Mitteltöne dunkler untermalt werden müssen,
als sie später werden sollen. Nur dadurch, dass man
oeide mit immer helleren Tönen übergeht, werden sie
leuchtend. Wo hingegen eine hellere Unterlage mit
dunkleren Tönen übergangen wird, werden diese fest
und lichtlos, ja bei öfterer Wiederholung sogar ledern.
Das Licht — sofern es nicht durch Reflexe gefärbt
ist — erscheint gegen die Schatten und Reflexe,
aber immer kalt, und es ist ein durchaus falscher
Grundsatz, das gewöhnliche Tageslicht warm zu färben.
Warme Lichter geben der Malerei immer etwas Spek-
kiges.
Beim Retuschieren kann das Licht, wo es nötig er-
scheint, vermittelst leichter Lasuren wärmer und der
Schatten durch Uebergehen mit trüben Farben kälter
gemacht werden. Einen grossen Reiz gewähren auf
das Trockene gesetzte Lichter, die nach Umständen
lasiert werden können. (Fortsetzung folgt.)
Die Palette der Steinzeit.
Im Anthropologischen Verein zu Göttingen hielt
Herr Prof. Dr. Verworn einen Vortrag über steinzeitliche
Malerutensilien und zwar auf Grund von Ausgrabungen,
die er in den bekannten Fundorten Frankreichs vor-
genommen hat. Der Vortragende wies zunächst darauf
hin, dass unter den heute noch lebenden Völkern mit
Steinkulturen überall der Gebrauch der Farben bekannt
ist, sei es zum Zwecke der Körperbemalung, sei es
zur Geräteverzierung, sei es zur Herstellung von Felsen-
bildern und Wandmalereien. Vom Beginn des mittleren
Paläolithicums an, d. h. von Aurignacien an zieht sich
die Verwendung von Farben durch die gesamten
Kulturen der Steinzeit hindurch. Während die Werke
der steinzeitlichen Künstler aber seit längerer Zeit
bereits eingehende Beachtung fanden, haben die
Malutensilien bisher nur wenig Berücksichtigung ge-
funden, da sie meist unscheinbar und vielfach schwer
als solche zu erkennen sind. Vom Farbenmaterial der
prähistorischen Kulturen haben sich begreiflicherweise
nur die mineralischen Farben erhalten. Es sind vor-
wiegend Eisenoxyde, wie sie die Natur als Brauneisen-
stein, Roteisenstein und gelben Eisenocker in allen
Farbennuancen bietet, ferner schwarze Manganerze
und weisser Kalk zur Verwendung gekommen. An
paläolithischen Lagerplätzen Frankreichs, wie z. B. in
der Grotte von Les Eyzies, fand der Vortragende
rotes Farbenmaterial in grossen Mengen. Er konnte
nachweisen, dass das Material pulverisiert wurde, teils
durch Abschaben mit einem Feuersteinschaber, teils
durch Reiben des Farbstückes auf einer rauhen Stein-
unterlage, teils durch Zerklopfen und Zerreiben des
Farbstückes mit einem Geröllstein. Das so gewonnene
Pulver wurde dann mit einem Bindemittel und zwar,
nach der Analogie mit heutigen Naturvölkern zu
schliessen, mit Fett zu einer Paste verrieben. Das
geschah mit dem Finger entweder auf einem Felsen
oder auf einem kleineren Stein, der als Palette diente.
Diese Palettensteine waren teils rohe, unbearbeitete
Steine, mit einer Fläche oder einer natürlichen Ver-
tiefung, teils künstlich zugerichtete und bisweilen mit
grosser Mühe bearbeitete Geräte. Als verhältnismässige
Seltenheiten erscheinen im späteren Paläolithicum
harte Rollsteine, die durch mühsames Auspicken eines
Hachen Napfes auf der einen Flachseite zu schön und
regelmässig gestalteten Farbenreibschaien umgestaltet
sind. Der Vortragende konnte zwei solcher Exemplare
aus dem Magdalenien, von denen das eine aus der
Höhle von Les Eyzies, das andere aus Leugerie
Basse stammt, vorlegen. Zur Bemalung der Felswand
oder des Knochenwerkzeuges, vermutlich auch der
Holzgeräte, wurde zunächst die Zeichnung oder das
Ornament in seinem Umriss eingekratzt resp. einge-
schnitten und zwar mit Feuersteinen. Schliesslich
wurde die Farbe mit den Fingern aufgetragen und
auf der Fläche verrieben. Oft hat dabei die Farbe
nicht für die ganze Fläche gereicht, und so* sehen wir
auf den französischen Höhlenbildern nicht selten nur
Teile des Bildes farbig, oft nur die Kontur. Dass
schliesslich auch die Geräte-Ornamente, die man mit
Feuerstein z. B. in den Knochen einschnitt und einsägte,
mit Farbstoff eingerieben wurden, lässt sich noch heute
an einzelnen Exemplaren erkennen. (Frankf. Ztg.)