Nr. 2o.
Münchner kunsttechnische Blätter.
79
Etwas vom Horizont in der Malerei.
Von Car) Reinhold.
(Sch)uss.)
In dieser kleinen Abhandlung muss ich mich na-
türhch auf das beschränken, was mit dem „Verstehen"
des Horizonts in engstem Zusammenhang steht: Stehe
ich auf einer horizontalen Ebene und habe auf alle
möglichen Entfernungen Männer von gleicher Grösse
wie ich und ebenfalls aufrechtstehend vor mir, so
müssen die Köpfe (mathematisch genau die Augen)
aller dieser Männer vom Horizont durchschnitten werden.
Will ich also aus dem Gedächtnis oder ihn anders-
woher nehmend einen stehenden oder gehenden er-
wachsenen Menschen (mathematisch brauchen wir ja
nun nicht mehr zu sprechen) an einer beliebigen Stelle
(in einem beliebigen „Plan" meines Bildes — natürlich
nur aus ebener Gegend oder einem Innenraum) an-
bringen, so muss er mit dem Kopf immer und überall
bis zum Horizont reichen; und dieselbe Grösse muss
er selbstverständlich im selben „Plan" des Bildes auch
haben, wenn er höher oder tiefer steht als ich, also
den Horizont überschneidet oder unter ihm bleibt, und
ebenso selbstverständlich, wenn er, anstatt zu stehen
oder zu gehen, liegt, ich brauche ihn dann bloss „um-
zulegen". Und handelt es sich um ein Kind oder ein
Tier, das kleiner ist als ein erwachsener Mensch, so
setze ich an die betreffende Stelle einfach im Ge-
danken zunächst einen Mann und ziehe seiner Grösse
(natürlich vom Kopf her) das nötige Stück ab. Auf
die Modiñkation, wenn der Maler anstatt zu stehen
sitzt, brauche ich wohl nicht näher einzugehen. Und
aus dem Prinzip geht hervor, dass der Maler, wenn
ihm dieses klar, auch bei anderen als solchen Motiven,
die die unmittelbare Anwendung gestatten, vor argen
Schnitzern hinsichtlich der Grösse seiner Figuren be-
wahrt bleibt.
Noch etwas, freilich auch nur für ein Bild aus der
Ebene oder einem grösseren Innenraum (Saal, Kirche)
zu Verwertendes. Stehe ich von der Linie der Wirk-
lichkeit, die ich zur Grundlinie für mein Bild wähle,
z. B. zwölf Schritt entfernt, so läuft die Linie, welche
zwölf Schritt jenseits dieser Grundlinie mit ihr paral-
lel die Wirklichkeit durchzieht, in meinem Bilde genau
in der Mitte zwischen Grundlinie und Horizont. Auf
den Beweis verzichte ich hier, ich müsste dazu den
sog. „Distanzpunkt" heranziehen und das würde über
den Rahmen der gegenwärtigen Abhandlung weit hinaus-
führen. Einwandfrei richtig aber ist der Satz, der per-
spektivische Empiriker kann ihm volles Vertrauen
schenken und auch aus ihm kann er bei schwierigeren
Motiven Nutzen ziehen. Ich ziehe also auf meiner
Leinwand die Mittellinie zwischen Grundlinie und Hori-
zont, verfolge mit dem Auge die, beispielsweise also
auf zwölf Schritt, jenseits der gewählten Grundlinie die
Wirklichkeit durchziehende Linie und notiere mir auf
der gezogenen Mittellinie markante Punkte in ihr, kann
sie auch, je nach Bedarf, „auszeichnen". Und wenn
ich in ihr auf einen Gegenstand stosse, der von gleicher
wirklicher Grösse auch im vordersten Plan meines
Bildes (perspektivisch gesprochen „in" der BildHäche)
vorkommt, so weiss ich, er muss genau halb so gross
gemacht werden, wie der „in" der BildHäche, auf der
Grundlinie, stehende. Wem dieses „auf der Mittellinie
halb so gross" nicht ohne weiteres einleuchtet, der
denke nur an die Verjüngung der Manneshöhe gegen
den Horizont hin. -— So bewahrt also auch dieses
„Wissen" den Praktiker vor zeichnerischem Unverstand,
vor zu schneller oder zu langsamer Vertiefung seines
Bildes.
Und noch ein Drittes: Beim Arbeiten vor der
Natur pHegt der reine Praktiker, wenn er den Hori-
zont ziemlich frei vor sich hat, sich von diesem ein
ganz richtiges Stück herauszuschneiden; je mehr ihn
dann aber dicht vor sich ein interessantes Rechts und
Links anzieht, desto mehr vergisst er die perspektivi-
sche Vergrösserung der Gegenstände nach dem Vorder-
grund zu und erhält so einen zu breiten Vordergrund,
eine Grundlinie, die zu viel enthält. Zu einem breiten
Vordergründe gelangt der Maler einwandfrei auf
dreierlei Art: i. Er setzt mit dem Vordergründe erst
auf grössere Entfernung von seinem Standpunkte ein;
2. auf dasselbe herauskommend — er schneidet seinem
fertigen Bilde aus irgendeinem Grunde unten ein Stück
ab; 3. er wählt einen erhöhten Standpunkt — wobei
er allerdings dann mehr „Aufsicht" erhält. Nicht ein-
wandfrei hingegen ist das eben geschilderte über-
mässige Ausgreifen nach rechts und links; das „ge-
schlossene" Bild bedingt, dass der Maler von dem vor
ihm liegenden Stück Wirklichkeit nicht mehr wieder-
gibt, als er mit dem Blick geradeaus bequem erfassen
kann (— dieselbe Erwägung legt demnach dem Be-
schauer eines gemalten Bildes die „perspektivische"
Verpachtung auf, vom Bilde auf ungefähr das Dop-
pelte seiner Breite entfernt zu bleiben —); wer in
seinem Bilde dem Beschauer mehr auftischt, der hat
es entweder perspektivisch gefühllos der Natur ent-
nommen, oder hat es nicht komponiert, sondern kom-
piliert, wir haben dann ein Stück Panorama vor uns
(mit dessen sonstigen Qualitäten der Vorwurf eines
„perspektivischen Zerrbildes" natürlich nichts zu
tun hat).
Schlagend beweisen können wir eine solche Ent-
stehungsart des Bildes, wenn wir seinen Horizont vor
uns haben oder ihn aus dem Verlauf von — zwei ge-
nügen ja schon — parallelen Horizontalen in die Tiefe
des Bildes hinein uns im Geist konstruieren können
(auf Bilder mit „Aufsicht", also von einem erhöhten
Standpunkt gemalt, bezieht sich das Gegenwärtige
natürlich nicht); der Abstand zwischen Grundlinie und
Horizont ergibt dann, wie bekannt, die Manneshöhe,
und dividieren wir nun mit der Manneshöhe in die
Grundlinie, so wissen wir, einen wie breiten Eindruck
sie von Rechts wegen machen müsste im Gegensatz
zu dem, den sie macht.
Darüber, wie der Horizont für den linearen Auf-
bau des Bildes benützt wird, wäre ein Langes und
Breites zu sagen, das käme hinaus auf eine Entwick-
lung der „Lehre von der Linearperspektive".
Marmor-Imprägnierung.
Zur Anfrage in Nr. ty erhalten wir folgende
Zuschrift:
Auf Ihre Anzeige für Marmor-Imprägnierung
kann ich Ihnen sagen, dass wir in unserer Fabrik
seinerzeit viele Versuche gemacht haben, Kunst-
marmor wetterfest zu erhalten. Wir sind zu der
Ueberzeugung gelangt, dass es kein Mittel gibt,
wetterfest zu imprägnieren. Glasuren, harte Marmore
und Granit sind wohl fast die einzigen wetter-
festen Arten.
Wie wollen Sie den Naturelementen, die sehr
oft harte Steine verwittern lassen, mit einer Flüssig-
keit Halt gebieten? Soviel ich mich entsinne, sind
hier am Kölner Dom viele Versuche gemacht worden,
aber stets ohne Erfolg, vielfach schädigt man mit
solchen Versuchen mehr, als gut gemacht wird.
Hochachtungsvoll
Köln, 20. Mai [910. Ferd. Pet. Koenig.
In der gleichen Angelegenheit sei auf die Aus-
führungen des bekannten Fachmannes auf diesem Ge-
biete, Prof. Dr. Rathgen-Friedenau, hingewiesen,
die sich in den Verhandlungen des 7. Tages für
Münchner kunsttechnische Blätter.
79
Etwas vom Horizont in der Malerei.
Von Car) Reinhold.
(Sch)uss.)
In dieser kleinen Abhandlung muss ich mich na-
türhch auf das beschränken, was mit dem „Verstehen"
des Horizonts in engstem Zusammenhang steht: Stehe
ich auf einer horizontalen Ebene und habe auf alle
möglichen Entfernungen Männer von gleicher Grösse
wie ich und ebenfalls aufrechtstehend vor mir, so
müssen die Köpfe (mathematisch genau die Augen)
aller dieser Männer vom Horizont durchschnitten werden.
Will ich also aus dem Gedächtnis oder ihn anders-
woher nehmend einen stehenden oder gehenden er-
wachsenen Menschen (mathematisch brauchen wir ja
nun nicht mehr zu sprechen) an einer beliebigen Stelle
(in einem beliebigen „Plan" meines Bildes — natürlich
nur aus ebener Gegend oder einem Innenraum) an-
bringen, so muss er mit dem Kopf immer und überall
bis zum Horizont reichen; und dieselbe Grösse muss
er selbstverständlich im selben „Plan" des Bildes auch
haben, wenn er höher oder tiefer steht als ich, also
den Horizont überschneidet oder unter ihm bleibt, und
ebenso selbstverständlich, wenn er, anstatt zu stehen
oder zu gehen, liegt, ich brauche ihn dann bloss „um-
zulegen". Und handelt es sich um ein Kind oder ein
Tier, das kleiner ist als ein erwachsener Mensch, so
setze ich an die betreffende Stelle einfach im Ge-
danken zunächst einen Mann und ziehe seiner Grösse
(natürlich vom Kopf her) das nötige Stück ab. Auf
die Modiñkation, wenn der Maler anstatt zu stehen
sitzt, brauche ich wohl nicht näher einzugehen. Und
aus dem Prinzip geht hervor, dass der Maler, wenn
ihm dieses klar, auch bei anderen als solchen Motiven,
die die unmittelbare Anwendung gestatten, vor argen
Schnitzern hinsichtlich der Grösse seiner Figuren be-
wahrt bleibt.
Noch etwas, freilich auch nur für ein Bild aus der
Ebene oder einem grösseren Innenraum (Saal, Kirche)
zu Verwertendes. Stehe ich von der Linie der Wirk-
lichkeit, die ich zur Grundlinie für mein Bild wähle,
z. B. zwölf Schritt entfernt, so läuft die Linie, welche
zwölf Schritt jenseits dieser Grundlinie mit ihr paral-
lel die Wirklichkeit durchzieht, in meinem Bilde genau
in der Mitte zwischen Grundlinie und Horizont. Auf
den Beweis verzichte ich hier, ich müsste dazu den
sog. „Distanzpunkt" heranziehen und das würde über
den Rahmen der gegenwärtigen Abhandlung weit hinaus-
führen. Einwandfrei richtig aber ist der Satz, der per-
spektivische Empiriker kann ihm volles Vertrauen
schenken und auch aus ihm kann er bei schwierigeren
Motiven Nutzen ziehen. Ich ziehe also auf meiner
Leinwand die Mittellinie zwischen Grundlinie und Hori-
zont, verfolge mit dem Auge die, beispielsweise also
auf zwölf Schritt, jenseits der gewählten Grundlinie die
Wirklichkeit durchziehende Linie und notiere mir auf
der gezogenen Mittellinie markante Punkte in ihr, kann
sie auch, je nach Bedarf, „auszeichnen". Und wenn
ich in ihr auf einen Gegenstand stosse, der von gleicher
wirklicher Grösse auch im vordersten Plan meines
Bildes (perspektivisch gesprochen „in" der BildHäche)
vorkommt, so weiss ich, er muss genau halb so gross
gemacht werden, wie der „in" der BildHäche, auf der
Grundlinie, stehende. Wem dieses „auf der Mittellinie
halb so gross" nicht ohne weiteres einleuchtet, der
denke nur an die Verjüngung der Manneshöhe gegen
den Horizont hin. -— So bewahrt also auch dieses
„Wissen" den Praktiker vor zeichnerischem Unverstand,
vor zu schneller oder zu langsamer Vertiefung seines
Bildes.
Und noch ein Drittes: Beim Arbeiten vor der
Natur pHegt der reine Praktiker, wenn er den Hori-
zont ziemlich frei vor sich hat, sich von diesem ein
ganz richtiges Stück herauszuschneiden; je mehr ihn
dann aber dicht vor sich ein interessantes Rechts und
Links anzieht, desto mehr vergisst er die perspektivi-
sche Vergrösserung der Gegenstände nach dem Vorder-
grund zu und erhält so einen zu breiten Vordergrund,
eine Grundlinie, die zu viel enthält. Zu einem breiten
Vordergründe gelangt der Maler einwandfrei auf
dreierlei Art: i. Er setzt mit dem Vordergründe erst
auf grössere Entfernung von seinem Standpunkte ein;
2. auf dasselbe herauskommend — er schneidet seinem
fertigen Bilde aus irgendeinem Grunde unten ein Stück
ab; 3. er wählt einen erhöhten Standpunkt — wobei
er allerdings dann mehr „Aufsicht" erhält. Nicht ein-
wandfrei hingegen ist das eben geschilderte über-
mässige Ausgreifen nach rechts und links; das „ge-
schlossene" Bild bedingt, dass der Maler von dem vor
ihm liegenden Stück Wirklichkeit nicht mehr wieder-
gibt, als er mit dem Blick geradeaus bequem erfassen
kann (— dieselbe Erwägung legt demnach dem Be-
schauer eines gemalten Bildes die „perspektivische"
Verpachtung auf, vom Bilde auf ungefähr das Dop-
pelte seiner Breite entfernt zu bleiben —); wer in
seinem Bilde dem Beschauer mehr auftischt, der hat
es entweder perspektivisch gefühllos der Natur ent-
nommen, oder hat es nicht komponiert, sondern kom-
piliert, wir haben dann ein Stück Panorama vor uns
(mit dessen sonstigen Qualitäten der Vorwurf eines
„perspektivischen Zerrbildes" natürlich nichts zu
tun hat).
Schlagend beweisen können wir eine solche Ent-
stehungsart des Bildes, wenn wir seinen Horizont vor
uns haben oder ihn aus dem Verlauf von — zwei ge-
nügen ja schon — parallelen Horizontalen in die Tiefe
des Bildes hinein uns im Geist konstruieren können
(auf Bilder mit „Aufsicht", also von einem erhöhten
Standpunkt gemalt, bezieht sich das Gegenwärtige
natürlich nicht); der Abstand zwischen Grundlinie und
Horizont ergibt dann, wie bekannt, die Manneshöhe,
und dividieren wir nun mit der Manneshöhe in die
Grundlinie, so wissen wir, einen wie breiten Eindruck
sie von Rechts wegen machen müsste im Gegensatz
zu dem, den sie macht.
Darüber, wie der Horizont für den linearen Auf-
bau des Bildes benützt wird, wäre ein Langes und
Breites zu sagen, das käme hinaus auf eine Entwick-
lung der „Lehre von der Linearperspektive".
Marmor-Imprägnierung.
Zur Anfrage in Nr. ty erhalten wir folgende
Zuschrift:
Auf Ihre Anzeige für Marmor-Imprägnierung
kann ich Ihnen sagen, dass wir in unserer Fabrik
seinerzeit viele Versuche gemacht haben, Kunst-
marmor wetterfest zu erhalten. Wir sind zu der
Ueberzeugung gelangt, dass es kein Mittel gibt,
wetterfest zu imprägnieren. Glasuren, harte Marmore
und Granit sind wohl fast die einzigen wetter-
festen Arten.
Wie wollen Sie den Naturelementen, die sehr
oft harte Steine verwittern lassen, mit einer Flüssig-
keit Halt gebieten? Soviel ich mich entsinne, sind
hier am Kölner Dom viele Versuche gemacht worden,
aber stets ohne Erfolg, vielfach schädigt man mit
solchen Versuchen mehr, als gut gemacht wird.
Hochachtungsvoll
Köln, 20. Mai [910. Ferd. Pet. Koenig.
In der gleichen Angelegenheit sei auf die Aus-
führungen des bekannten Fachmannes auf diesem Ge-
biete, Prof. Dr. Rathgen-Friedenau, hingewiesen,
die sich in den Verhandlungen des 7. Tages für