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Münchner kunsttechnische Blätter — 6.1909/​1910

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Nr. 19
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Reinhold, Karl: Etwas vom Horizont in der Malerei
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Pitturmosaik
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Rubens und Tschudi
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https://doi.org/10.11588/diglit.36592#0080

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76

Münchner kunsttechnische matter.

Nr. 19.

ein, und gibt der Luft zu, was er der Erde abzieht;
will er einen interessanten Vordergrund ausnützen, so
malt er bis auf sechs, acht Schritt an sich heran, und
zieht der Luft ab, was er der Erde zusetzt.
Ich sagte vorhin: durch den Horizont wird der
ganze iineare Aufbau des Biides bestimmt. Sollen wir
den Eindruck zeichnerischer Richtigkeit erhaiten, so
müssen aiie Linien in ganz bestimmten und zwar durch
den Horizont bestimmten Richtungen taufen. Es würde
zu weit führen, wohte ich mich hierauf näher einlassen,
ich greife nur das Beispiet der in die Tiefe des Bitdes,
auf den Horizont zu taufenden Horizontattinien heraus;
atte solche auf den Horizont zu vertagenden, in Wirk-
lichkeit unter sich paratteten Linien streben densetben
Punkten im Horizont, ihren „Verschwindungspunkten",
zu; tun sie das nicht, so haben wir eben den Eindruck
fatscher Zeichnung.
Die Zeichnung, das „tineare Etement", tritt nun
freitich in der modernen Materei stark hinter die Farbe
zurück, auch die Form sott ihre Charakterisierung in
erster Linie der Farbe verdanken und das Uebrige
muss das Augenmass besorgen. Und doch gewährt
ein Beherrschen der perspektivischen Theorie auch
rein praktisch einen vortrefHichen Anhalt für richtiges
Zeichnen, ohne dass man darum zu „konstruieren"
braucht; das „Wissen" schärft das Auge, ist ein Kom-
pass für das Gefüht und befreit das Denken von den
Schtacken selbst erfundener — oft fatscher — Regetn.
(Schtuss fotgt.)
Pitturmosaik.
Unser Vertangen nach farbigen Effekten i:n Glas-
schmuck von Fassaden und Innenräumen steigert sich
tägtich. Dank der künstterischen Bestrebungen der
letzten Zeit ist Sinn und Geschmack dafür wieder stark
betebt worden und wir würden gerne, dem Beispiete
unserer Altvordern fotgend, ebenso farbfrohe Städte-
bitder wie diese. Nur die Erfahrung, dass die farbige
Dekorierung an Gebäuden, wähtt man dazu nicht das
recht teuere Mosaik, seiner meist geringen Dauer
wegen, eine überaus kostspietige Sache ist, tegt uns
Zurückhaltung auf. Da ist es denn recht erfreutich,
Kenntnis zu bekommen von einem neuen Verfahren,
das Maler Schudt-Bertin erfunden hat und das er kürz-
tich im Hotei „Vier Jahreszeiten" in München Ver-
tretern der Presse dartegte. Dieses Verfahren, das
gestattet, auf dem einfachsten Wege farbigen Aus-
schmuck von absotut witterungs- und tichtbeständiger
Art herzustetten und dabei den Vorzug grosser Billig-
keit besitzt, scheint einer gtänzenden Zukunft entgegen-
zusehen. Auf jeder Sorte von Untertage, wie Mörtet
und anderem Mauerverputz, Stein, Gtas, Metall, ja so-
gar Zement (was bisher bekanntlich zu den Unmöglich-
keiten gehörte) tässt es die Aufbringung farbiger Wir-
kungen zu. Der Vorgang beim Auflegen von Pittur-
mosaik, wie die neue Technik benannt ist, ist folgender:
Das Farbmateriat besteht aus Gtas in gekörntem Zu-
stand. Mittels eines besonderen Klebemittels wird
Farbe für Farbe in sehr rasch zu bewerkstettigender
Weise auf die zu dekorierende Ftäche aufgetragen
und mit Stichflamme eine unzertrennliche Verbindung
von Korn und Grund erziett. Ist Bitd oder Muster auf
diese Weise zusammengefügt, so wird das Ganze noch-
mats mit einer puiverartigen Materie überzogen und
durch einen zweiten Brennungsprozess in Bindung ge-
bracht. Dieses Matmosaik behätt die Farbe bei jeder
Beteuchtung, von jedem Standpunkt aus kommt sie
vott zur Gettung. Die nach der neuen Methode ein-
gebrannte Dekoration besitzt eine wunderbare Wärme
und satte, intensive Töne. Vorteite davon sind die
Indifferenz der Färb fläche, auch wird durch die Härte
der Untergrund vor den nagenden Unbiiden der Wit-

terung geschützt. Weiterhin lehrt die Erfahrung, dass
die Technik nicht erst eine tangwierige Schulung des
sie Ausführenden erforderlich macht, sondern diese
rasch und sicher dem Willen des entwerfenden Künst-
lers unterwirft. So schwierig es war, das Arbeitsver-
fahren seiner heutigen Vottendung zuzuführen, so leicht
ist seine Handhabung; jeder einfache Matergehilfe ist
imstande, sie zu bewerkstelligen. Nicht zu übersehen
ist, dass trotz des Schmetzvorganges das Mosaik voll-
ständig porös bteibt und die Luftzirkulation nicht im
geringsten behindert. Dabei bleibt das Farbmateriat
von den chemischen Einflüssen des jeweitigen Unter-
grundes völtig unberührt.
Wohl mit grossem Recht verspricht sich der Er-
finder von seiner neuen Technik eine voltständige Um-
wälzung der heutigen dekorativen Malerei, umsomehr,
wenn man bedenkt, dass die von ihm aufgesteltte
Farbskata heute schon etwa :5o Töne umfasst. Inter-
essant ist ein Zeugnis Prof. Hubert v. Herkomers, der
das neue Materiat zu einem grossen Fries tebensgrosser
Figuren rund um seinen Speisesaat verwendet hat und
dem Erfinder mitteitt, „dass es bei weitem die beste
Sache ist, die ihm jemals zur Begutachtung vorgetegt
wurde". „M. N. N.".

Rubens und Tschudi.
„Tschudis Eingriffe in zwei Bitder des
Rubens" hat der Münchner Mater Paut Kaemmerer
eine Schrift überschrieben, die setbständig bei Ernst
Reinhardt hier erschienen ist (46 S.; 6 Bilder*)). Im
Mittetpunkt der Kaemmererschen „Kritik" steht das
Rubenssche Bitd „Meleager und Atalante", das Tschudi,
wie unsere Leser wissen, durch Einschlagen der von
ihm als unecht bezeichneten Seitenteile von einem
Bild in Breitformat in ein Hochformatbild geändert
hat. Nach Kaemmerers Ueberzeugung hat Tschudi un-
recht. Um diese Meinung zu stützen, bringt er mehrere
Beweise, aus denen für ihn folgendes hervorgeht: „Das
Bild in Breitformat muss ats ein selbständiges Werk
des Rubens anerkannt werden, das in Komposition und
Gewalt des Ausdruckes durchaus dem Meister ent-
spricht. Nur in dieser Fassung ist die Sage mit höch-
ster Genialität zur Darstellung gebracht. Gegenüber
dem Hochformat muss es als eine Steigerung zum
Monumentalen, zu geradezu klassischer Grösse ange-
sehen werden, welche durchaus der Tragik des Schick-
sals Meleagers entspricht." Ausserdem bespricht Kaem-
merer „Die beiden Satyrn" von Rubens, die Tschudi
ebenfalls verkleinert hat. Auch hier spricht er Tschudi
die Berechtigung zu seinem Eingriffe ab. Weiterhin
kritisiert Kaemmerer überhaupt die Neuordnung der
Alten Pinakothek abfältig. Ihm gegenüber weiss Prof.
Karl Volt in der Berliner Zeitschrift „Kunst und
Künstler" recht viet Lobenswertes über die Neuord-
nung zu sagen, gerade auch, was das Hängen der
Rubensbilder betrifft, mit dem Kaemmerer gar nicht
einverstanden ist. Kaemmerer ist Maler; aber er spricht
in seiner Schrift nicht nur als Künstler, sondern er
setzt auch einen umfangreichen kunsthistorischen Ap-
parat in Bewegung. Die Kunsthistoriker werden nun
wohl neuerdings sich mit der Geschichte des Rubens-
schen „Meleager" beschäftigen.
Die obige Notiz finden wir in den „M. N. N." In-
zwischen hat Herr v. Tschudi zu der Angelegenheit
Stellung genommen und eine Replik Kaemmerers ver-
anlasst. Auf beides werden wdr demnächst noch zurück-
kommen.

*) Preis M. t.$o.
 
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