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Münchner kunsttechnische Blätter.
Nr in
das nämliche Bild zeigen nun aber Proben
vom Biau des Gewandes der Fiora-Btiste.
Steiienweise ist dasselbe braunrot untermalt. Unter
dem Biau ñndet sich das deutlich erkennbare
braunrote Netzgezweig der Orseilie-Fiechte
(Roccella tinct.; vergl. das Gutachten S. Il$/i6).
Diese Art der Unterlegung von Blau durch Braun-
rot ist (nach Raehlmann) für die Malweise der
Renaissance und des Mittelalters charakteristisch.
Ein anderes Präparat vom Haar der Flora zeigte
denselben Farbstoff der Roccella-Flechte,
welche für das Blau des Gewandes als
Untermalung gedient hat! Also ein Anhalts-
punkt wenigstens dafür, dass die Bemalung des
Haares und des Gewandes aus derselben Zeit
und vom selben Künstler herstammt. Es scheint
übrigens, dass die Orseille-Flechte in alter Zeit
häufig verwendet wurde; ich sah ein Beispiel aus
der Sammlung Raehlmanns, welches von dem
grossen Grabower Altar des Meisters Bertram*)
stammt. Man sah Gold auf Kreidegrund, mit
Braunrot unterlegt. Die Unterlegung erwies sich
¡mittels verdünnter Salzsäure vom Golde getrennt)
als dieselbe Roccella-Flechte, wie sie im Haar
und unter dem Blau des Gewandes der Flora-
Büste vorhanden ist! — Diese Orseille-Flechte
wurde damals entweder abgekocht als teigartige
Masse oder zu Pulver verstossen in der Kunst-
malerei verwendet. Später kam sie ausser
Gebrauch und wurde nur noch zur Zeugfärberei
verwendet.
Auffallend deutlich ist ferner die BeschaHen-
heit der an der Büste verwendeten roten Farbe
{vermutlich Krapp); sie ist ganz grobkörnig, wie
Brockel oder Schollen, dem Malmedium zugesetzt,
während die spätere Farbenchemie den Krapp
fast „substanzlos" verrieb und daher im Medium
viel feiner verteilen bzw. auflösen konnte.
Aus diesen Befunden, insbesondere der Orseille-
FarbHechte, dürfen wir jedenfalls den Schluss
ziehen, dass diese ursprüngliche, temperaartige
Bemalung der Flora-Büste doch noch älter sein
dürfte als des guten Herrn Lucas' Urgrosspapa!
Wir kommen der Lösung des Problems um
einige Schritte näher, wenn nachgewiesen wird,
dass die zur ersten Bemalung der Büste ver-
wendete Maltechnik und Farbstoffe zu Lucas'
Zeiten (und lange schon vorher) nicht mehr im
Gebrauch waren. Das scheint Raehlmann ge-
lungen zu sein.
KunstgeschichtHche Bemerkungen über
Perspektive.
Aus dem demnächst erscheinenden Buche
„Aesthetik der Perspektive" von Theodor Wedep ohl.
Es gibt zwei Bilder von Böcklin, welche beide
dasselbe Motiv, „Schloss, von Seeräubern überfallen",
*) Vergl. m. Erläuterungen zum „Grabower Altar"
(1902 in der „Grabower Ztg.").
behandeln, doch in höchst verschiedener Weise. Das
zuerst (1872) gemalte befindet sich im Museum zu
Breslau. Auf diesem sind die Gebäude in schräger
Ansicht dargestellt, und dadurch wird der Eindruck
der Aufgeregtheit gesteigert. Wagerechte Linien, die
stets den Eindruck der Ruhe hervorrufen, sind ganz
vermieden. Eine wesentlich andere perspektivische Wahl
zeigt das später gemalte Bild, denn die Gebäude auf
dem Felsen sind hier meistens in gerader Ansicht dar-
gestellt, viele wagerechte Linien sind energisch hervor-
gehoben. Der obere Brückenrand, welcher auf dem
ersten Bilde unterbrochen und mehrfach geknickt er-
scheint, ist im zweiten zu einer straffen, geraden Linie
geworden. Die Brückenpfeiler zeigen hier starre Senk-
rechte, während im ersten Bilde an der gleichen Stelle
wehende Büsche ein unruhiges Durcheinander verur-
sachen. Vergleicht man die Stimmung der beiden
Bilder, so ñndet man, dass im ersten Bilde eine
schreckensvolle Kampfesstimmung vorherrscht, während
das zweite von düsterer Melancholie erfüllt ist. Das
Schloss steht fest und trotzend da; unbesiegbar ragt
der Turm, der dagegen im ersten Bilde sich beinahe
duckt. Diese beiden Beispiele zeigen klar, wie sehr
der Stimmungsgehalt eines Bildes durch die Wahl der
geraden oder schrägen Ansicht beeinflusst werden
kann. Die erstere ruft den Eindruck der Ruhe, Festige
keit, Strenge, des Ernstes hervor, während die letztere
mehr Unruhe, Bewegung, Leidenschaft ausdrückt.
Die genannten Eigenschaften der geraden Ansicht
treten besonders dann hervor, wenn der Fluchtpunkt,
wie es eigentlich richtig ist, in der Mitte des Bildes
angenommen wurde; weil hierdurch in vielen Fällen
Symmetrie entsteht. In anderen Fällen haben aber die
Maler die letztere vermeiden wollen und haben deshalb
bei gerader Ansicht den Fluchtpunkt aus der Mitte des
Bildes verlegt. Es ist das die unsymmetrische Frontal-
ansicht. Ob dieselbe ein korrektes Verfahren ist,
werden wir ein anderes Mal besprechen, jedenfalls lässt
sich der genannte Zweck erreichen, und auf diese
Weise kann in der geraden Ansicht ein Eindruck her-
vorgerufen werden, welcher dem der schrägen ähnelt.
Vor manchen Werken alter Meister drängt sich
die Frage auf, warum hier nicht die schräge Ansicht
gewählt sei, da sie weit mehr dem Stimmungsgehalt
des Bildes entsprechen würde als die gerade. Auf
diese Frage kann man nur antworten: weil den alten
Meistern die Konstruktion der schrägen Ansicht un-
bekannt war. Bei allen Werken von Raphael, Tizian,
Leonardo, Holbein, ja, dem tüchtigen Perspektiviker
Dürer, von Rubens, Rembrandt, Ruysdael, bis zu Cana-
letto, Watteau und Chodowiecki ñndet man stets nur
die gerade Ansicht: die eine Seite der im Grundriss
rechtwinklig gedachten Gegenstände ist parallel der
Bildebene, für die fliehenden Linien gibt es nur einen
Fluchtpunkt entweder in der Mitte oder seitwärts von
derselben, niemals aber ñnden sich die für die schräge
Ansicht charakteristischen zwei Fluchtpunkte.
Mit der Renaissance beginnt überhaupt erst die
Kenntnis der perspektivischen Konstruktion, alle
früheren Malereien sind nicht konstruiert. Wenn uns
auch manche pompejanische Wandgemälde beim ersten
Anblick Kenntnisse der Perspektive zu verraten
scheinen, so ñnden wir doch bei genauerer Prüfung,
dass die Fliehenden nicht einmal einen einheitlichen
Fluchtpunkt haben. Auch die Malereien des Mittel-
alters zeigen nur Gebäude, welche weder konstruiert
noch nach der Natur gezeichnet, sondern lediglich
aus einer ungeschulten Phantasie entworfen sind, wo-
bei dann optische Unmöglichkeiten entstanden.
Das fünfzehnte Jahrhundert aber bringt Bilder,
welche eine treffliche Verwertung der perspek-
tivischen Gesetze aufweisen, jedoch stets die der
geraden Ansicht.
Die Konstruktion der schrägen Ansicht war zwar den
Münchner kunsttechnische Blätter.
Nr in
das nämliche Bild zeigen nun aber Proben
vom Biau des Gewandes der Fiora-Btiste.
Steiienweise ist dasselbe braunrot untermalt. Unter
dem Biau ñndet sich das deutlich erkennbare
braunrote Netzgezweig der Orseilie-Fiechte
(Roccella tinct.; vergl. das Gutachten S. Il$/i6).
Diese Art der Unterlegung von Blau durch Braun-
rot ist (nach Raehlmann) für die Malweise der
Renaissance und des Mittelalters charakteristisch.
Ein anderes Präparat vom Haar der Flora zeigte
denselben Farbstoff der Roccella-Flechte,
welche für das Blau des Gewandes als
Untermalung gedient hat! Also ein Anhalts-
punkt wenigstens dafür, dass die Bemalung des
Haares und des Gewandes aus derselben Zeit
und vom selben Künstler herstammt. Es scheint
übrigens, dass die Orseille-Flechte in alter Zeit
häufig verwendet wurde; ich sah ein Beispiel aus
der Sammlung Raehlmanns, welches von dem
grossen Grabower Altar des Meisters Bertram*)
stammt. Man sah Gold auf Kreidegrund, mit
Braunrot unterlegt. Die Unterlegung erwies sich
¡mittels verdünnter Salzsäure vom Golde getrennt)
als dieselbe Roccella-Flechte, wie sie im Haar
und unter dem Blau des Gewandes der Flora-
Büste vorhanden ist! — Diese Orseille-Flechte
wurde damals entweder abgekocht als teigartige
Masse oder zu Pulver verstossen in der Kunst-
malerei verwendet. Später kam sie ausser
Gebrauch und wurde nur noch zur Zeugfärberei
verwendet.
Auffallend deutlich ist ferner die BeschaHen-
heit der an der Büste verwendeten roten Farbe
{vermutlich Krapp); sie ist ganz grobkörnig, wie
Brockel oder Schollen, dem Malmedium zugesetzt,
während die spätere Farbenchemie den Krapp
fast „substanzlos" verrieb und daher im Medium
viel feiner verteilen bzw. auflösen konnte.
Aus diesen Befunden, insbesondere der Orseille-
FarbHechte, dürfen wir jedenfalls den Schluss
ziehen, dass diese ursprüngliche, temperaartige
Bemalung der Flora-Büste doch noch älter sein
dürfte als des guten Herrn Lucas' Urgrosspapa!
Wir kommen der Lösung des Problems um
einige Schritte näher, wenn nachgewiesen wird,
dass die zur ersten Bemalung der Büste ver-
wendete Maltechnik und Farbstoffe zu Lucas'
Zeiten (und lange schon vorher) nicht mehr im
Gebrauch waren. Das scheint Raehlmann ge-
lungen zu sein.
KunstgeschichtHche Bemerkungen über
Perspektive.
Aus dem demnächst erscheinenden Buche
„Aesthetik der Perspektive" von Theodor Wedep ohl.
Es gibt zwei Bilder von Böcklin, welche beide
dasselbe Motiv, „Schloss, von Seeräubern überfallen",
*) Vergl. m. Erläuterungen zum „Grabower Altar"
(1902 in der „Grabower Ztg.").
behandeln, doch in höchst verschiedener Weise. Das
zuerst (1872) gemalte befindet sich im Museum zu
Breslau. Auf diesem sind die Gebäude in schräger
Ansicht dargestellt, und dadurch wird der Eindruck
der Aufgeregtheit gesteigert. Wagerechte Linien, die
stets den Eindruck der Ruhe hervorrufen, sind ganz
vermieden. Eine wesentlich andere perspektivische Wahl
zeigt das später gemalte Bild, denn die Gebäude auf
dem Felsen sind hier meistens in gerader Ansicht dar-
gestellt, viele wagerechte Linien sind energisch hervor-
gehoben. Der obere Brückenrand, welcher auf dem
ersten Bilde unterbrochen und mehrfach geknickt er-
scheint, ist im zweiten zu einer straffen, geraden Linie
geworden. Die Brückenpfeiler zeigen hier starre Senk-
rechte, während im ersten Bilde an der gleichen Stelle
wehende Büsche ein unruhiges Durcheinander verur-
sachen. Vergleicht man die Stimmung der beiden
Bilder, so ñndet man, dass im ersten Bilde eine
schreckensvolle Kampfesstimmung vorherrscht, während
das zweite von düsterer Melancholie erfüllt ist. Das
Schloss steht fest und trotzend da; unbesiegbar ragt
der Turm, der dagegen im ersten Bilde sich beinahe
duckt. Diese beiden Beispiele zeigen klar, wie sehr
der Stimmungsgehalt eines Bildes durch die Wahl der
geraden oder schrägen Ansicht beeinflusst werden
kann. Die erstere ruft den Eindruck der Ruhe, Festige
keit, Strenge, des Ernstes hervor, während die letztere
mehr Unruhe, Bewegung, Leidenschaft ausdrückt.
Die genannten Eigenschaften der geraden Ansicht
treten besonders dann hervor, wenn der Fluchtpunkt,
wie es eigentlich richtig ist, in der Mitte des Bildes
angenommen wurde; weil hierdurch in vielen Fällen
Symmetrie entsteht. In anderen Fällen haben aber die
Maler die letztere vermeiden wollen und haben deshalb
bei gerader Ansicht den Fluchtpunkt aus der Mitte des
Bildes verlegt. Es ist das die unsymmetrische Frontal-
ansicht. Ob dieselbe ein korrektes Verfahren ist,
werden wir ein anderes Mal besprechen, jedenfalls lässt
sich der genannte Zweck erreichen, und auf diese
Weise kann in der geraden Ansicht ein Eindruck her-
vorgerufen werden, welcher dem der schrägen ähnelt.
Vor manchen Werken alter Meister drängt sich
die Frage auf, warum hier nicht die schräge Ansicht
gewählt sei, da sie weit mehr dem Stimmungsgehalt
des Bildes entsprechen würde als die gerade. Auf
diese Frage kann man nur antworten: weil den alten
Meistern die Konstruktion der schrägen Ansicht un-
bekannt war. Bei allen Werken von Raphael, Tizian,
Leonardo, Holbein, ja, dem tüchtigen Perspektiviker
Dürer, von Rubens, Rembrandt, Ruysdael, bis zu Cana-
letto, Watteau und Chodowiecki ñndet man stets nur
die gerade Ansicht: die eine Seite der im Grundriss
rechtwinklig gedachten Gegenstände ist parallel der
Bildebene, für die fliehenden Linien gibt es nur einen
Fluchtpunkt entweder in der Mitte oder seitwärts von
derselben, niemals aber ñnden sich die für die schräge
Ansicht charakteristischen zwei Fluchtpunkte.
Mit der Renaissance beginnt überhaupt erst die
Kenntnis der perspektivischen Konstruktion, alle
früheren Malereien sind nicht konstruiert. Wenn uns
auch manche pompejanische Wandgemälde beim ersten
Anblick Kenntnisse der Perspektive zu verraten
scheinen, so ñnden wir doch bei genauerer Prüfung,
dass die Fliehenden nicht einmal einen einheitlichen
Fluchtpunkt haben. Auch die Malereien des Mittel-
alters zeigen nur Gebäude, welche weder konstruiert
noch nach der Natur gezeichnet, sondern lediglich
aus einer ungeschulten Phantasie entworfen sind, wo-
bei dann optische Unmöglichkeiten entstanden.
Das fünfzehnte Jahrhundert aber bringt Bilder,
welche eine treffliche Verwertung der perspek-
tivischen Gesetze aufweisen, jedoch stets die der
geraden Ansicht.
Die Konstruktion der schrägen Ansicht war zwar den