München, 30. Mai 1910.
Beüage zur „Werkstatt der Kunst " (E.A. Seemann, Leipzig).
Erscheint i4tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.
YI. Jahrg. Nr. 18.
Inhalt: Vergleichende Prüfung verschiedener Pigmentfarben auf ihre Brauchbarkeit in der Maierei, insbeson-
dere in der Kunstmalerei. Von Prof. Ernst Täuber. — R. Wiegmann: Ueber die Malweise des Tizian
und Goethes Farbenlehre. (Fortsetzung u. Schluss.) — Dursichtigmachung von Vorlagen, Entwürfen
oder Zeichnungen für Pausen. Von J. Mai.
Vergleichende Prüiung verschiedener Pigmentiarben aui ihre Brauchbarkeit in
der Malerei, insbesondere in der Kunstmalerei.
Von Prof. Ernst Täuber.
So viele Farben auch dem Künstler zur Ver-
fügung stehen, so gibt es doch nur wenige, weiche
in bezug auf Echtheit und Mischbarkeit mit an-
deren Farben aile billigen Wünsche erfüiien. Selbst
der vorsichtigste Künstler wird sich daher nicht
auf die Benutzung ganz zuverlässigen Materials
beschränken können, sondern er wird auch diese
oder jene Farbe auf seine Palette nehmen müssen,
von der er weiss, dass ihre Widerstandsfähigkeit
gegen äussere Einflüsse, wie sie in der Malerei
in Betracht kommen, eine beschränkte ist.
Es ist also eine wichtige Aufgabe des Künst-
lers sowohl wie des Chemikers, welcher der För-
derung der Kunst sein Können zur Verfügung
stellt, unter den neu auftauchenden Pigmentfarben
diejenigen herauszusuchen, welche minderwertige
ältere Stoffe ersetzen oder die Palette des Künst-
lers in erwünschter Richtung erweitern können.
Daneben ist es keineswegs überflüssig, auch die
alten bekannten Farben immer wieder einer sorg-
fältigen vergleichenden Prüfung zu unterwerfen,
denn die Urteile, die man darüber hört, gehen
häufig genug erheblich auseinander. Wer öfter
vergleichende Versuche in ganz planmässiger Weise
angestellt hat, wird dies ganz begreiflich finden.
Nicht nur die schwankenden Eigenschaften der
untersuchten Produkte selbst, sondern auch die-
jenigen der Atmosphäre können die an verschie-
denen Stellen und zu verschiedenen Zeiten ge-
machten Beobachtungen stark beeinflussen.
Wollte man versuchen, diese Fehlerquellen
ganz zu eliminieren, so würde man nie zu einem
praktischen Erfolge kommen. Die Herstellungs-
weise der im Handel befindlichen Produkte, welche
für deren Eigenschaften von ausschlaggebender
Bedeutung sein kann, ohne dass durch chemische
Analyse Verschiedenheiten in der Zusammensetzung
festzustellen wären, würden wir selten kontrollieren
und noch weniger vorschreiben können, und die
Einflüsse der Atmosphäre sind zum Teil von un-
bekannter Natur und soweit sie uns bekannt sind,
schwer zu messen.
Es bleibt also nichts weiter übrig, als die
verschiedenen Handelsmarken ein und derselben
Pigmentfarbe immer wieder miteinander und mit
bewährten anderen Farben zu vergleichen, sowohl
für sich allein wie auch in Mischungen, nament-
lich in der Mischung mit Weiss, die ja am häufig-
sten vorkommt. Der Vergleich muss sich auch
auf die verschiedenen in Betracht kommenden
Bindemittel erstrecken, denn ein Pigment, das eine
vorzügliche Aquarellfarbe liefert, kann für Oelfarbe
unter Umständen gar nicht zu brauchen sein, nicht
etwa nur deshalb, weil es in Oel nicht deckt
oder darin löslich ist, sondern auch, weil es durch
Oel verändert wird.
Stimmen die verschiedenen Beobachtungen
untereinander überein, so werden wir uns damit
beruhigen können, ohne nach dem Ursprung der
einzelnen untersuchten Proben und ihrer speziellen
Zusammensetzung zu forschen; erst wenn sich
starke Verschiedenheiten in den Beobachtungen
ergeben, liegt Grund vor, der genauen Zusammen-
setzung und Herstellungsweise der verschiedenen
Proben nachzugehen. Je nach dem Ereignis dieser
Ermittlungen wird man dann entweder darauf hin-
zuwirken haben, dass die minderwertigen Marken
ganz aus dem Handel verschwinden oder man
wird, wenn dies nicht möglich ist, eine dauernde
Kontrolle über die verschiedenen Handelsmarken