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Münchner kunsttechnische Blätter — 6.1909/​1910

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Nr. 23
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Pudor, Heinrich: Haltbarkeitsprüfungen in der Farbenindustrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.36592#0095

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Nr. 23.

Münchner kunsttechnische Blätter.


im übrigen vor allem schön oder vor allem dauerhaft
und soiide sein?' Offenbar das ietztere, da es sich
eben nicht um einen Kupfer, den wir in die Mappe
tun, sondern um einen Gegenstand, den wir ge-
brauchen und abnutzen, handelt. Nichtnur logisch,
sondern auch gesund wird die Entwicklung der Industrie
nur dann sein, wenn sie die grösstmögliche Haltbarkeit
und Dauerhaftigkeit auf ihre Fahne schreibt. Und die
Qualitätsbewegung würde sich in öden unfruchtbaren
Aesthetizismus verlieren, wenn sie nicht in diesem
Zielstreben vor allem ihre Daseinsberechtigung sieht
und findet. Sie ist aber tatsächlich in diese Richtung
eingelenkt, nachdem sie die Materialkontrolle als eine
ihrer Hauptaufgaben erklärt hat. Denn die Dauer-
haftigkeit setzt vor allem Materialechtheit und -ehrlich-
keit voraus. Ein Schuh, der halten soll, darf nicht
aus Pappe oder Kunstleder, sondern muss aus „echtem"
Leder sein. Dazukommen muss freilich die Gediegen-
heit und Zuverlässigkeit der Arbeit. So aufgefasst
bedeutet die Qualitätsbewegung nichts anderes als die
Makrobiotik der Fertigfabrikate, oder die Kunst, die
Lebensdauer der Fabrikate zu verlängern. Und je
mehr wir im Kunstgewerbe von der formal-ästhetischen
Betrachtungsweise zum Sachstil und Zweckstil kommen,
desto grössere Bedeutung erlangt die Frage der Qualität
der Sacharbeit, und ein Gegenstand des Sachstiles
und Zweckstiles ist ohne Haltbarkeit ebensowenig
denkbar, als eine gute Werkarbeit. Ja, selbst in der
hohen Malerei ist die Frage der Haltbarkeit von der
allergrössten Bedeutung. Der Stucksche „Krieg" musste
schon nach ein paar Jahren noch einmal gemalt werden,
und von vielen Gemälden Makarts fallen schon heute
die Farben herunter, während die Arbeiten van Eycks
noch heute in ihrer ganzen Frische leuchten. Sowohl
im Material als in der Arbeit liegt der Grund für die
Kurzlebigkeit dort und für die Langlebigkeit hier.
Kurz und zusammenfassend gesagt ist es das rein
Handwerkliche der Kunst, was wir mehr und mehr
verlernt haben und heute zum Schaden der Haltbarkeit
geringschätzen. Nachdem wir in den letzten 23 Jahren
als Maler „sehen" gelernt haben, müssen wir in den
nächsten 23 Jahren „arbeiten" lernen.
Die Farbenfrage spielt auch im Kunstgewerbe und
in der Industrie eine grosse Rolle. Unsere Tapeten
„halten" nicht, unsere Möbelstoffe, Dekorationsstoife,
Buntpapiere und Kleiderstoffe verschiessen, weil wir
auf die Haltbarkeit der „echten" Farben zu wenig Wert
gelegt haben. Hier ist es das in Arbeit befindliche
„deutsche" Farbenbuch, durch das eine Grundlage für
die Solidierung und Haltbarkeit der deutschen Industrie-
erzeugnisse in Rücksicht der Farbe geschaffen wird.
Dazukommen muss freilich, dass wir der Farbe gegen-
über wieder den richtigen Standpunkt einnehmen.
Heute ist für uns Farbe soviel wie Anstrich. Für die
dem Material inhärente und kohärente Farbe dagegen
haben wir wenig Sinn, und doch ist diese Farbe eigent-
lich die allein echte Farbe. So die Farbe der Edel-
steine, der Edelmetalle, die sog. Naturfarben aller
Materiale und Stoffe, die durch und durch gehen,
während die Anstrichfarben nur Frisur sind. Wird
die Farbe zwar aufgetragen, aber gebrannt, oder liegt
sie unter der Glasur, so gewinnt sie gewissermassen
physisch und psychisch, materiell und ideell. In der
Natur sind alle Farben dem Material inhärent, sowohl
die grüne Farbe des Blattes, als die gelbe Farbe des
Goldmetalls, und Anstrichfarben gibt es in der Natur
nicht. Deshalb kann die Natur am besten unseren
Farbensinn erziehen. In der Industrie aber eben
müssen wir wieder mehr und mehr von den künst-
lichen und falschen Anstrichfarben zurückkommen und
die Naturfarben der Stoffe und Materiale mehr zu
schätzen wissen, ob es sich nun um die Naturfarbe
eines Holzes oder Leders oder Pelzes, ob es sich um
Stein oder Metall handelt. Im allgemeinen kann man

sagen: je mehr Anstrich, desto weniger Haltbarkeit.
Als die Italiener in der Glanzzeit der Kunst mehr
Farbe und Farben im Möbel sehen wollten, erfanden
sie die Intarsia und zugleich die Furniertechnik. Die
Buntfarbigkeit, die dabei erzielt wurde, war nicht nur
echtfarbig, sondern materialfarbig und naturfarbig.
Wenn wir heute farbig wirken wollen, greifen wir zum
Pinsel. Zeitalter liegen dazwischen. Und je weniger
die Farben Natur- und Materialfarben sind, desto spar-
samer und zurückhaltender sollten wir mit der Farbe
sein, während es heute gemeinhin umgekehrt ist; man
denke allein an die Industrie der künstlichen Blumen.
Dazu kommt, dass die Hauptenergie der Arbeit von
der Sache weg auf das Aussehen gelegt wird.
Weniger auf gute Werkarbeit als auf effektvolle Aus-
stattungsarbeit wird gesehen. Das heisst, das Deko-
rative, das Schaufenster, die Frisur und Mache herrscht
noch immer und der Materialstil ist noch zu wenig
zur Geltung gekommen. Je mehr aber die Sacharbeit
und Werkarbeit, die den Gegenstand macht, an Interesse
verlor, und die Ausstattungsarbeit, die ihn frisiert, an
Bedeutung gewann, desto mehr ging die Haltbarkeit
verloren. Hier spielen die Gegensätze Handwerk und
Warenhaus hinein. Auch Billigkeit und Solidität. Vor
allem Oberflächlichkeit und Charakter. Und alle Kehr-
seiten der raschen industriellen Entwicklung. Maschinen-
arbeit aber braucht nicht unter allen Umständen der
Haltbarkeit ein Hindernis zu sein.
Ein besonders interessantes Beispiel bildet die
Seidenbeschwerung: Aus dem Kgl. Materialprüfungs-
amt selbst ist eine wertvolle Arbeit: „Das Blauholz
und seine Nebenwirkungen", Vortrag von Dr. P. Heer-
mann (vgl. Mitteilungen 1909, S. 228), hervorgegangen,
in der es heisst: „Schon lange ist in der Technik der
Seidenfärberei die Beobachtung gemacht worden, dass
das Blauholz der Faser einen gewissen Gewichtszusatz
verleiht, also beschwerend wirkt. Die Gewichtszunahme
kann unter Umständen bis über 100% betragen. Un-
behandelte Seide zeigt bereits eine ausgesprochene
Verwandtschaft zu Biauholz. Seifenzusatz befördert
die Gewichtszunahme ganz wesentlich. Das Volumen
der Seide wird bei der Blauholzbehandlung gleichzeitig
ganz beträchtlich erweitert. Die Aufdeckung dieser
Verhältnisse eröffnet der Technik der Seidenschwarz-
färberei ein weites Feld. Die Einführung dieses Ver-
fahrens, das der Seide geringere Mengen mineralischer
Stoffe und grössere Mengen pflanzlicher Körper ein-
verleibt, würde auch einen wirtschaftlichen Fortschritt
zugunsten der Verbraucher bedeuten insofern, als
vegetabilisch beschwerte Seide viel höheren
Anforderungen an Haltbarkeit und Tragfähig-
keit genügt, als es mineralisch beschwerte
Seide tut."
Es gibt ja zwar nun seit langem sog. Konditionier-
anstalten für die Prüfung von Seide, die sich indessen
in der Hauptsache nur mit der Kontrolle des Feuchtig-
keitsgehaltes der Seide befassen, davon ausgehend,
dass die Seide Feuchtigkeit annimmt, und dass der
Händler daher in Gefahr kommt, beim Einkauf von
Seide den grösseren oder geringeren Feuchtigkeits-
gehalt der Seide mitzubezahlen.
Und in allen Industrien muss die Arbeit nach dem
Gesichtspunkt der Haltbarkeit und Dauerhaftigkeit
eingerichtet werden. Wie beim Charakter des Men-
schen „persévérance", Beharrlichkeit, von grösster Be-
deutung ist, so in der Industrie die Haltbarkeit. Mit
wissenschaftlicher Gründlichkeit gilt es hier die Be-
dingungen der Haltbarkeit und diese selbst zu prüfen,
und Arbeitsmethoden zu suchen, die die grösste Halt-
barkeit verbürgen. Das Ideal haltbarer Arbeit ist dies,
dass die Arbeit so lange hält als das Material. Und
die Moral der industriellen Arbeit Hegt wesentlich in
ihrer Dauerhaftigkeit. Auf eine gute Arbeit muss man
sich wie auf einen tüchtigen Menschen verlassen
 
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