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Münchner kunsttechnische Blätter — 8.1911/​1912

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Nr. 21
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Giov. Segantini und der Divisionismus, [3]
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Berger, Ernst: Zur Einführung der Teerfarben, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36590#0086

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82

Münchner kunsttechnische Biätter.

Nr. 2i.

für Blatt ist ein in sich abgerundetes Kunst-
werk.
Nebenher vernachlässigte er aber keineswegs
die eigentliche Zeichnung, wo er sie brauchen
konnte. Es haben sich mehrere Kartons erhalten,
die dem Studium der einzelnen oder paarweise
zueinander geordneten menschlichen Gestalt ge-
widmet sind. Auch hier sind die Umrisse ohne
alle Härte und halten doch mit knappen sicheren
Strichen das Charakteristische einer Figur und
Bewegung fest. Ob der realen Erscheinungswelt
gegenüber, ob im Bereiche idealer Gestalten sich
voller Entzückung ergehend, in beiden Fällen
zeigt Segantini die gleiche Delikatesse und auch
die gleiche Wahrheit und Einfalt.
Ein Gegensatz dieser Gebiete existierte für
ihn nicht mehr: friedlich fanden sich beide zu-
sammen auf dem neutralen allverbindenden Boden
der Kunst."

Nachschrift.
Wir woiien nicht versäumen, hier noch auf den
Brief Segantinis aufmerksam zu machen, in dem er
selbst sich über seine Technik ausgesprochen hat.
Derselbe ist abgedruckt in Nr. io und n des V. Jahr-
gangs (1909) dieser Blätter.
Der im allgemeinen zutreffenden Charakteristik
der Malweise, wie sie Servaes schildert, muss noch
hinzugefügt werden, dass Segantini im Laufe der Zeit
verschiedene Wege versuchte, bis er zu seiner letzten
Manier gelangte, die „Lichtfülle" durch rein malerische
Mittel zu erreichen. Er ist auf dem Wege des „Natu-
ralismus", d. h. des intimsten Studiums der Natur, in
fortwährender Vervollkommnung des Technischen zu
einer Kraft der Licht- [und Tonwirkung gelangt, die
eine Steigerung seiner Mittel um so mehr erforderte,
als er trachtete, die Klarheit und lichterfüllte Ferne
der Oberengadiner Landschaft wiederzugeben. Die
Naturwahrheit möglichst zu steigern, aus dem schweren,
schwärzlichen Oelfarbenmaterial sich loszureissen, die
Erscheinungen der Natur in Licht und Farbe aufzu-
lösen, musste ihn zur Erfassung der Wesenheit des
Lichtes und der Farben hinleiten. Ob er selbst darauf
kam oder durch Gleichgesinnte darauf aufmerksam
gemacht, die Newtonschen Gesetze von der Brechbar-
keit des weissen Lichtes in die spektralen Farben
und die Wiedervereinigung der komplementären Farben
zu Weiss zu studieren und sich daraus ein System zu-
rechtzulegen, das ihm grössere Lichtfülle und demnach
grössere Naturwahrheit ermöglichte, ist hier nicht
weiter zu erörtern. Nicht dass er diesen Weg als
richtigen erkannte, sondern wie er alle Mittel diesem
System unterordnete, ohne doktrinär zu sein, wie es
die sinnesverwandten „Neo-Impressionisten" getan
haben, das bildet seine Grösse.
Nach den Darstellungen Servaes zu schliessen,
würde Segantini als „Neo-Impressionist" zu bezeichnen
sein, was er doch eigentlich nicht gewesen ist. Denn
diese Richtung, die zuerst von Seurat auf Grundlage
des Dreifarbensystems Gelb-Rot-Blau geschaffen wurde,
dann von Signac weiter ausgebaut, und neuestens nur
mit den drei Farben Orangerot-Grün-Violettauskommen
zu können glaubt, rechnet ausschliesslich mit der Mi-
schung der Farben auf der Netzhaut, die „zerlegt" auf
die Leinwand gesetzt werden. Diese Methode, neuer-
lich mit „Divisionismus" bezeichnet, hat Segantini
niemals allein verwendet, sondern er hat in der rich-
tigen Erkenntnis ihres grossen Wertes für die Physio-

logie des Auges stets die sog. simultanen oder gleich-
zeitigen Kontrastwirkungen verwertet, und dann
auch die nicht minder wichtige Eigenheit des Auges,
nahe aneinanderliegende Töne zwischen kalt und warm,
also bläulich und gelblich oder rötlich, als „Vibra-
tion" oder als ein „Flimmern" zu empfinden, in
grossem Masse benutzt. Dieses Flimmern bewirkt,
dass der Beschauer, in einiger Distanz von der ge-
malten Fläche, diese für weiter hält als sie ist, wo-
durch die Luftperspektive gesteigert erscheint.
So sehen wir also drei wichtige Mittel von
Segantini vereint angewendet: Die Kontrastwir-
kung, die Vibration und die Teilbarkeit des
Lichtes (Division). E. B.
Zur Einführung der Teeriarben.
Von E. B. (:. Fortsetzung.)
Von dem Reichtum der heute zur Verfügung
stehenden Nuancen der bis jetzt bekannten Teerfarb-
lacke geben die in der erwähnten Abhandlung ent-
haltenen Echtheitstabellen einen guten Begriff. Der
Verfasser des oben zitierten Aufsatzes hat sich hier
der grossen Mühe unterzogen, wohl einige Hundert
Farblacke auf ihr Verhalten gegen Wasser, Alkohol,
Alkalien, Firnis und Licht zu prüfen und hat ausser
der Nuance (Färbung) bei jeder Farbe noch ersicht-
lich gemacht, zu welchen Gebrauchszwecken sie am
ehesten dienlich sein können. Wir finden hier die
grosse Reihe der gelben und orangen Teerfarblacke,
die roten Farblacke der Resorcin- und Azofarbstoffe
(Eosin-und Ponceaufarbstoffe), die Farblacke aus roten
Pigmentfarbstoffen (Crocein-.Scharlachfarblacke), deren
Lichtechtheit sehr bedeutend ist, dann die Farblacke
der roten basischen (Fuchsine und Safranine), die
sauren und die basischen violetten Teerfarblacke
(Methyl und Methylenviolett), die wichtigsten blauen,
endlich die ziemlich empfindlichen Farblacke der
grünen Teerfarbstoffe, und schliesslich finden wir in
einer besonderen Tabelle angeführt, wie verschieden
sich die Fällungsmittel bei gewissen Farbstoffen gel-
tend machen. Die alkali- und lichtechten Substrate
(Farblacke) des Brillantgrün und des Malachitgrün (sog.
Kalkgrüne) sind bereits oben erwähnt worden.
Aus der übergrossen Zahl der neuen Teerfarb-
lacke diejenigen herauszuwählen, die für unsere Zwecke
tauglich sind, ist an sich schon keine kleine Aufgabe,
der sich unsere Farbenchemiker unterziehen müssten,
weil es dabei nicht allein auf die Lichtechtheit, die
ja leicht festzustellen ist, sondern auf eine ganze
Reihe von Eigenschaften ankommt, die je nach der
Anwendungsweise verschieden sein können.
So können Farblacke gut für Aquarell, aber für
Oelmalerei ungeeignet sein, und umgekehrt.
Welche Fragen hierbei in Betracht ko.mmen und
welche Methoden anzuwenden sind, um die Ver-
wendbarkeit der neuen Pigmentteerfarben zu
prüfen, ist aus einer ausführlichen Abhandlung zu
ersehen, die Prof. Dr. A. Eibner in der „Farben-
zeitung" (16. Jahrgang, 19H, Nr. 26 u. ff.) veröffent-
licht hat*).
Die Forderungen, die an einen normalen Körper-
farbstoff gestellt werden, und die Prüfungen, die er
zu bestehen hat, um als einwandfrei für Zwecke der
Kunstmalerei erklärt zu werden, sind so mannigfacher
Art und mitunter schwer erfüllbar, dass — dies lässt
sich schon voraussehen — nur wenige aus der grossen

*) „Ueber technische Prüfungsmethoden von Maler-
farben und die Verwendbarkeit der neuen Pigment-
teerfarben in der Kunstmalerei." Als Separatdruck
erschienen im Verlag der „Farbenzeitung" (Berlin S 61,
Blücherstrasse 31). Preis geh. 1,25 Mk.
 
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