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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 2.1901

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Heft 12
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Schürmann, Johannes: Rheinische Dichter, (4): Wilhelm Jordan und sein Demiurgos
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https://doi.org/10.11588/diglit.45535#0285

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sckiedene Lköre redend auf. ^ekovak undLucifer,
der Liobsdickter und T^ssch^los, Loetke und
Lumboldt werden persönlich vorgefükrt, und
namentlich irn Zweiten l'eiie kann man hinter
durchsichtigen tarnen rnit geringer Müke die
Persönlichkeiten erkennen, clie urn die Mitte des
vorigen Jahrhunderts irn Vordergründe standen.
Oie Männer des frankfurter Larlaments erscheinen
zum l'eil seldst auf der Löhne, zum leil erhalten
sie wenigstens einen epigrammatischen 8teckbrief,
Jordan selbst nicht ausgenommen. In einem Lier-
garten, wo politische Volksversammlung statt-
findet, erkennen wir die drei Lrüder Lauer, den
,,findigen" Max 8tirner, Lassalle, Lerwegk, die
ganze 8ckaar der Zeitgenossen. In den dritten l'eil
ist eine Übersetzung des Luches Liob und des
„Lefesselten Lrometkeus" aufgenommen. Im
Landen umfafst das Werk auf 886 Oruckseiten
etwa i6 ooo Verse, d. h. mehr als Dantes „(gött-
liche Komödie" und fast genau so viel wie die
„Ilias".
Wenn man aus diesen Angaben den 8cklufs
ziehen will, dafs der Oemiurgos ein dichterisches
Ongetüm sei, so habe ich nichts dagegen einzu-
wenden. Ls ist in der Ikat weder im Lanzen
noch in den Linzelheiten ein so vollendetes und
harmonisches Kunstwerk, wie des Dichters klibe-
lunge. Jordan selbst bat sein Mysterium einmal
mit einem Liesendome verglichen, dem er, weil
er unvollendet blieb, ein Lotdack habe bauen
müssen. Das trilft den Lagel auf den Kopf. Der
Oemiurgos Kat keinen ^bscklufs, der der grolsen
Anlage würdig wäre; die grölsten 8cköplungs-
rätsel werden gestellt, die frage nach dem 8inn
des Daseins ist das Ikema vom ersten Verse bis
gegen den 8cklufs: und dann, wo wir den höchsten
Aufschwung erwarten, wird uns statt dessen ein
symbolisches MärckenidM geboten, T^uck weifs
Jordan selbst reckt gut, dals er unser 8ckuldner
bleibt, und dafs der Oemiurgos als stolzes Lrag-
ment mehr befriedigt hätte, als mit diesem Lot-
dacke. Lr sagt es selbst:
Drum wäre, plöt^licb ab^ubrsobsri,
VsrLiobtericl auk clsn stolzen 8ebsm
?ropb6tiscb alles ausLusprscbsn,
In Wabrbslt niinclsr msnsebliob lclein.
Ick lasse es auch nickt gelten, dafs er uns über
dieses lVlifsverkältnis mit einer leichten Wendung
kinwegzufükrsn oder gar auf einen Zukunfts-
meister zu vertrösten sucht, der die absckliefsende
Kuppel bauen werde, klein, der Verzicht des
Dichters Kat einen sehr triftigen Lrund: die Lin-
sickt in die Unzulänglichkeit künstlerischer Le-
staltungskraft, wenigstens seiner künstlerischen
Lestaltungskraft, für das, was er dock klar erkannt
zu haben meint. Oie Auffassung der Welt und
des Lebens, die er sich gebildet, ist in den letzten
Lückern des Werkes wiederholt und klar aus-
gesprochen, aber sie in grolsem Malsstabe in den
fersonen seiner Dichtung zu verkörpern, dazu ist
Jordan nickt imstande gewesen. Wenn ick mich

nickt täuscke, Kat dieses Versagen der Künstler-
kraft noch eine ganz besondere Ursache: Der
dritte l'eil des Oemiurgos erschien im ^akre 1854,
und ganz bald darauf muls Jordan mit der Arbeit
an seinen Nibelungen begonnen haben. Der Le-
danke liegt nabe, dafs er mit dem einen Qedickte
fertig sein wollte, um sich ganz dem anderen
widmen zu können, und diese Vermutung gewinnt
noch an Wahrscheinlichkeit, wenn man den Le-
dankengekalt beider Werke vergleicht. Die klibe-
lunge setzen die Weltanschauung des Oemiurgos
in Handlung um. Ick will mich ganz nüchtern
ausdrücken: Oie Lreignisse und der Dialog im
Oemiurgos waren unter Anlehnung an ältere
Dichtungen zu dem Zwecke konstruiert, um einer
bestimmten Lebensauffassung Ausdruck zu geben.
Der Ledankengekalt war das Wesentliche, die
Handlung das 8ekundäre, um der Ledanken willen
Lrfundene. Lun trat dem Dichter in der alt-
deutschen Heldensage ein 8tokf entgegen, der
wunderbar zu der ikm am Herzen liegenden
Lebensauffassung stimmte. Die heldenhafte
l?katenfrsude, die Idee germanischer 8tammes-
zuckt, der zuversichtliche Optimismus waren im
Oemiurgos gepredigt und gleichnishaft
kargeste 11t worden: im Libelungenstokle waren
sie lebendig, leibhaft, wirklich. Heinrich
und Llelene, Alexander und der fürst sind trotz
aller dem Leben abgelauschten 2üge dock
8ckemen, die s 0 sind, weil der Dichter sie für
seine Idee so haben mulste. 8ieglried, Lagen
und Hildebrand sind eckte Lestalten, die Jahr-
hunderte lang im Volke lebten und nur darauf
warteten, dafs ein echter Dichter sie wieder
populär machte, wenn ick das platte Wort hier
anwenden darf. Im Vorgesang zu den Libelungen
läfst Jordan sich gleichsam von der „8age" einen
Lükkel erteilen:
80 teils denn, spracb sie, clerr Irrtum des Is^ss,
Lrknäs clir Nabeln statt fertiger 8a^sir,
Lrsirms äir selber clen 8tokk QssänKsr»;
lVlan lausebt nicbt läriAer 1sibsi§rLsn I^iscleru.
Hsi2s clem Hirn mit <lem boblsn Hocbmnt
2n wäbnen, mit cleiner win2i§sn Wsisbsit
Xönnsst cin erlcünstsln was Völker nur erlcämpksn,
Oie Ossamtbsit nur ersinnt mit ewiAsr 8sels
tlnä ^abrbnnäsrts erst banken 2nm Hort öss Qesan^ss....
Diese Lehre erteilte die 8age dem Dichter, als
er noch mit dem 8tokfs des Oemiurgos rang;
und die Libelunge haben dem Oemiurgos ein
vorzeitiges Lnde bereitet.
Die übrigen Ausstellungen der zünftigen Kritik
an Jordans erstem grolsen Dichterwerke mögen
im einzelnen berechtigt sein; sie tkun dem Werte
des Lanzen nur geringen Lintrag. Man vermifst
die Linkeitlickkeit der Handlung, aber wer wollte
bestreiten, dafs dafür die Linkeitlickkeit des
Lrundgedankens desto schöner gewahrt bleibt?
Man tadelt die zahllosen Anspielungen auf die
Tagesereignisse der^ahrkundert-Mitte; wagt man
auch einen gleichen 1?ade1 gegen Dante auszu-
sprecken? (Ind Jordan erklärt ^a ausdrücklich,

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