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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 2.1901

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Heft 12
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Schwann, Mathieu: Der heilige Ambrosius
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https://doi.org/10.11588/diglit.45535#0294

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Luden waren, so amüsierten wir uns nebenbei
über den zimperlicb wackelnden Kopf des ^.nne-
rnariecbens, und einmal gar, als das ^.nne-
mariecben kinten kerein zu unserem Oarten kam
und in ibrem armseligen Irrsinn uns zurief:
„Weicbet zur Leite, ibr Kinder, die allerseligste
Jungfrau nabt!" vergriff icb micb in meinem
Öbermute an ibr und drückte sie sacbte in einen
blükenden Lbngstrosenstraucb. lüek srscbrocken
safs „die Jungfrau" nun dazwiscben den üppigen
Llüten und scbwellenden Knospen, und wir um-
tanzten sie fröblicb und sangen dazu, bis meine
lVlutter kam, die tiefgekränkte Heilige aus ibrer
peinlicken Lage zu befreien. Das ^nnemariscben
aber 20g den lVloenemantel fester um ibre MNg-
fräulicbe Oestalt und wackelte mit dem Kopf
dazu. Wenn sie uns aber seitdem begegnete,
ging sie in weitem Logen um uns berum und
kicberte leise in sick binein. Lais die 8acbe
ein mutwilliger Lpals war, batte sie nacb und
nacb docb begrüben, und so lacbte sie leise, er-
innerte unser Anblick sie wieder an „die Jung-
frau im Lbngstrosenstraucb".
Lriedbcb und in scblicbter Linfalt und Fröm-
migkeit wandelten die ebemaligen Lrautleute
durck das Leben dabin, und langst batte der
alte lVlärtens sicb daran gewöbnt, sein Lbignon
mit Würde zu tragen. Immer grauer wurde sein
dünnes Laar, immer weibevoller seine zitternde
Vorbeterstimme, und an einem Ltock scbon ging
das ^nnemariecben einber, gebückt und langsam,
ein altes lVlüttercben. Lnd endlicb starb sie.
Wie immer scbritt aucb kinter ibrem Large
der beilige Ambrosius einber und betete vor.
Lnd trotzdem er docb scbon so viele binauf auf
den Lerg begleitet batte, wo der Lriedbof lag,
trotzdem dies seine Qewobnbeit und lange Öbung
war, und bei keinem ^e seine Vorbeterstimme
aus ibrem rubigen Qleicbmafs berausgekommen
war und gestockt batte, diesmal stockte er, und
als wir aufblickten, weinte der alte lVlann, was
docb aucb sonst nocb niemals vorgekommen war.
Niemals nocb batte er eine sicbtbare Ibräne bei



dem Legräbnis eines lVlenscken vergossen. Lnd
es war aucb recbt so, denn das ^nnemariecben
stand ganz allein in der Welt, batte keine Ver-
wandten und keine Lreunde, und docb wurde
ibr Qrab mit Llumen gescbmückt, und ein scbönes
weifses Lolzkreuz, das ibr „Liner" kingesetzt
batte, trug die Inscbrilt: „Lier rubet in Qott
Jungfrau ^.nna lVlaria Weifskircben, geboren zu
Lcbweinbeim den iZ. lVlai i8z2, gestorben zu
Qodesberg den 15. August 1886. — Lelig sind
die Linfältigen!"
^uf dem Qrabe blübten die Llumen. Oer
beilige Ambrosius aber wandelte nocb oft durcb
die wogenden Leider kinüber zu seiner alten
Lcbwester, dem „Orückcben" in Llittersdorb
Langsam und rubig war sein Lcbritt, und sein
„Leo" folgte ibm gemacblicb und faul. Wir
Luden aber gingen ibm aus dem Wege, aucb
dann, wenn er kein Oebetbucb in der Land
batte. Oenn mit oder obne — die Lkrfurcbt
durcbzuckte uns stets bei dem blofsen Anblick
des beiligen Ambrosius.


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