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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 2.1901

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Heft 12
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Neitzel, Otto: Musikleben am Rhein
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https://doi.org/10.11588/diglit.45535#0318

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dramatischen Poesie, unterordnet. Borsckt man
nämlich etwas weiter nach und siekt man die
tiefe Wirkung der Wagnerscken lVlusik sogar
auf musikalische Baien, so merkt mau gar bald,
dafs nickt die lVlusik selber, das beifst die the-
matische Brägnanz der l'kemen, ihre Bntwicke-
lung, Verwebung, mit einem Wort die Brkn-
dung und der kunstvolle Lau der lVlusik, sondern
etwas anderes die Ursache des Enthusiasmus
bildet: es ist das, was man etwa als musi-
kalisch-dramatischeD^namik bezeichnen
könnte. Diese nämlich, der Behex einer stark
erregten Beidensckaftlichkeit und ihr Wogenspiel
mit Hebungen, Lenkungen, ihr langsam stetiger
Aufbau, ihre 8teigerungen zu den Höhepunkten,
worin Warner lVleister war, sind das eigentlich
Erregende, das Bestrickende bei der Mehrzahl der
Borer. Batürlick steigert die Ausführung durchs
Orchester, oder das Klavierspiel eines orchestral
fühlenden, und infolgedessen sein Klavierspiel
lebhaft färbenden, Interpreten wie Bischer nicht
wenig die Bindrucksfähigkeit der musikalischen
Reproduktion. blickts beweist Wagners Oenia-

lität mehr, als diese Brsckeinung: dafs der lVlusik,
einem (allerdings sehr wesentlichen) l'eil-
faktor seines Kunstwerks, schon eine so tief-
gehende Wirkung xu entspringen vermag. Wenn
nun aber ein Unbefangener, der sich sonst diese
Wirkung nicht genügend zu erklären vermag,
angesichts einer Aufführung auf die Annahme
kommt, der Bauptwert der Wagnerschen Kunst
müsse doch wokl in der lVlusik stecken, so bleibt
nur die Zcblufslolgerung übrig: in der von ibm
beobachteten Aufführung war manches faul, sie
war nickt imstande, die verschiedenen Wirkungs-
faktoren so gegeneinander abzuwägen und in
Bezug auf ihre Wichtigkeit abzugrenzen, dals
man das Wesentliche klar gegen das Unwesent-
liche unterschied. Das war in Darmstadt der
Ball, das geschah aber auch an der Baireutker
Weikstätte, und deswegen mögen hier kurz
dis Bedingungen der Ausführung genannt sein,
die nötig sind, um Wagner so erscheinen zu
lassen, wie er eigentlich ist und wirken will und
soll, die mit einem Wort den Baireutker
Ideal-8til bilden.
Wagner sckuf seine schönklingenden,
komplizierten Bartituren, er stellte diese
um manches ganz neue Instrument be-
reicherte farbenreiche Orckesterpalette
nur zusammen, um sie dem Okr des
Hörers wieder zu entrücken: er ver-
senkte das Orchester. Kann es einen
bündigeren Beweis geben, dals er die
lVlusik durchaus in die zweite Bolle
drängen wollte, und dafs er sich nickt
in erster Dinie an die Börer wandte?
Diese Versenkung ist nun ein wichti-
ger Wirkungsregulator, der ganz getreu
eigentlich nur in Baireutk funktioniert.
Bs giebt mehrere Ikeater mit unversenk-
tem Orchester, an denen durch eine
ausgezeichnete Disziplin und eine her-
vorragende Deistungsfäkigkeit der Or-
ckestermitglieder — es ist nichts
schwerer als piano so zu spielen, dafs
dies piano noch Barbe besitzt und
„trägt" und nickt wirkungslos verkalk
— der Bindruck der Versenktkeit nahezu
erreicht wird, wie in Dresden, Wien.
Das Bicktige ist aber, dafs auch die
^uskükrenden dem Anblick des Zu-
schauers entzogen werden. Bs genügt
nickt allein, dafs die lVlusik gedämpft
klingt, um das Wort des 8ingenden
nickt zu übertönen, sondern es darf sich
auch kein störendes lVlittelglied zwischen
Zuschauer und 8ingenden drängen, nur
dann ist die erste Borderung des Bai-
reutker 8tils erfüllt: die direkte, un-
mittelbare Wirkung der Darstel-
lung auf den Zuschauer.
Ist nun diese Vorbedingung für eine
unmittelbare Wirkung der Darstellung



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