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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0054

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— 46 —

späteren Zeit, als sich die Priester bereits als geschlossener
Stand fühlten und das Bedürfniss nach systematischer Ordnung
und Uebersicht ihres gesammten Hymnenschatzes empfanden,
in der grossen Sammlung, die den Namen Rig-veda, d. h. der
Veda der Lieder oder Hymnen, führt, zusammengefasst. Diese
Zusammenstellung fand gewiss erst statt, als die Inder bereits
aus dem Penjab in das Gangesthal gewandert waren, und dürfte
etwa gegen das Jahr 1000 v. Chr. ^u Stande gekommen sein.
Die Schöpfung der Hymnen selbst reicht aber ohne Zweifel um
Jahrhunderte weiter zurück

Dies wird einleuchtend, wenn man den ungeheuren Abstand
der Cultur betrachtet, Wie sie sich in den Liedern des Rigveda
darstellt, im Gegensatz zu der Periode, welche etwa mit dem
Jahre 1000 v. Chr. beginnt , und welche wir die Periode der
Yajurveden und Brähmana's nennen wollen. Dieser Gegensatz
wird uns bei der Schilderung jener zweiten Periode von selbst
in die Augen springen. Für jetzt wollen wir es nur unter-
nehmen, den Geist und Inhalt der Hymnen des Rigveda zu
schildern.

Charakteristisch ist diesen Hymnen Kraft, Frische und
Ursprünglichkeit der Empfindung, gegenüber der in der
späteren Poesie sich findenden Zartheit, ja Weichlichkeit und
Ueppigkeit; desgleichen Einfachheit und Gesundheit der
Anschauungen und nicht selten eine gewisse Naivität der Ge-
danken und Bilder, gegenüber später sich findenden Ueber-
treibungen, Maasslosigkeiten, ja Ungeheuerlichkeiten. Von den
später so deutlich hervortretenden romantischen Eigenschaften
ist im Rigveda gar nichts zu finden, weder nach der guten,
noch nach der schlimmen Seite. Kraftvolle poetische Schilde-
rungen der Natur, die sich bis zu kühnem Schwung erheben,
treten uns hier entgegen. Wie die Culturstufe des Rigveda
uns an die Schilderung der Germanen bei Tacitus erinnert, so
hat auch die Poesie des Rigveda eine gewisse Wahlverwandt-
schaft mit der altgermanischen Poesie. Es ist ein kühner,
kraftvoller, streitbarer Geist, der in diesen Hymnen lebt, noch
ungebrochen durch die später erst entstehenden priesterlichen
Satzungen. Mit freudiger Lust klammert sich der Inder des
Rigveda an das frische, blühende Leben. Er will leben, will
reichen, tüchtigen Besitz, streitbare Söhne haben und hundert
Winter fröhlich und gesund schauen. Seinen Göttern will er
gern und freudig dienen, sie sollen ihm dafür aber auch helfen,
hier glücklich und reich zu leben und dereinst in die seligen
Gefilde Yama's einzugehen.
 
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