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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0571

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Neununddreissigste Vorlesung.

Die kleinen lyrischen Gedichte der Inder. Bhartrihari und sein Qrifl-
gära^atakam. Das Qrifigäratilakam. Das Amarugatakam. Proben aus
anderen lyrischen Sammlungen. Eine lyrische Anthologie im Prakrit-
Dialekt (das Saptagatakam des Häla).

Die Hauptmasse der lyrischen Schöpfungen des indischen
Mittelalters stellt ein ganz besonderes, scharf ausgeprägtes Genre
dar. Es sind kleine Gedichtchen, die in wenigen Zügen, mit
knappen Worten, meist nur in einige Zeilen zusammengedrängt,
ein Bild, eine SitJuation, eine Empfindung vorführen. Dieses
Genre, das sich in mancher Hinsicht mit der reflectireuden
Poesie der Sprüche berührt, ist bei den Indern unendlich viel
geübt und zu hoher Vollkommenheit ausgebildet. Es sind kleine,
scharfumrissene Bilder, die einen Reichthum an feiner Beobach-
tung und tiefer Empfindung bekunden, wo oft wenige Striche
uns die Meisterhand verrathen, dazu nicht selten in vollendet
schöner Form. Gerade von der Form können wir aber leider
bei unseren Nachbildungen gar keine Vorstellung geben, weil
die dieser indischen Gedichte mit ihrer ungemein fein aus-
gebildeten Metrik sich überhaupt nicht ins Deutsche übertragen
lasst. Wir müssen entweder bei der prosaischen Wiedergabe
des Gedankens stehen bleiben, bei der natürlich viel von dem
Reiz des Originals verloren geht, — man denke nur an eine
prosaische Uebersetzung Goethescher oder Heinescher Lieder
in eine fremde Sprache! — oder wir müssen es versuchen,
diese kleinen lyrischen Edelsteine in die bei uns geltende Form
lyrischer Gedichte umzusetzen. Beides soll in den folgenden
Mittheilungen abwechselnd geschehen.

Hier tritt uns nun gleich eine merkwürdige Diohtergestalt
in Bhartrihari entgegen. Derselbe war Dichter, Grammatiker
und Philosoph in einer Person und lebte aller Wahrscheinlich-
keit nach im siebenten Jahrhundert nach Chr. Der chinesische
Schriftsteller I-tsing, dem wir diese Mittheilung verdanken,

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