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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0435

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Dreissigste Vorlesung.

Die häuslichen Verhältnisse der Inder zur Zeit des Mittelalters. Noth-
wendigkeit der Ehe. Ahnencultus. Adoption. Leviratsehe. Die ver-
schiedenen Arten der Eheschliessung. Polygamie. Rechtliche Stellung
der Frauen. Hingebung, die von den Frauen gefordert wird. Wittwen-
verbrennung. Kriegswesen. Handel und Industrie. Die Schrift und ihr
rauthmaasslicher Ursprung. Die Sprache und ihre Entwicklung in

dieser Zeit.

Wenden wir uns nun zur Besprechung der häuslichen
Verhältnisse, wie sich dieselben bei den Indern zur Zeit
des Mittelalters gestalteten, so ist zu bemerken, dass auf diesem
Gebiete die Sitte vieles Alte bewahrt, aber freilich auch
manches Neue eingeführt, oder doch manchem Alten eine un-
erwartete Entwickelung, eine neue Gestalt gegeben.

Für den brahmanischen Inder, im geraden Gegensatz zu
dem mönchischen Buddhisten, war die Ehe obligatorisch. Die
Gesetzbücher schreiben ihm vor zu heirathen. Es ist dies
nothwendig zur Aufrechterhaltung der brahmanischen Gesell-
schaftsordnung. Der brahmanische Inder muss das Stadium
des Hausvaters (Grihastha) durchmachen, muss einen Sohn
haben, der nach seinem Tode für ihn die Todtenspenden und
Ahnenopfer darbringen kann.

Es war eine uralte, bei den Indern festgewurzelte Sitte,
den abgeschiedenen Geistern der Vorfahren bestimmte Opfer-
ungen darzubringen, sie zum gemeinsamen Mahle herbeizurufen.1
Diese Sitte passte nun allerdings eigentlich nicht mehr in eine
Zeit, welche den Glauben an die Seelenwanderung angenommen
hatte. Denn nach diesem Glauben weilten die abgeschiedenen
Seelen, die Geister der Ahnen ja nicht mehr als Heroen oder
Halbgötter in dem lichten Himmel Yama's, aus dem sie, wie

1 Wir haben schon im Rigveda Hymnen, die an die Väter gerichtet
sind und sie zum Opfermahle einladen; so RV 10, 15. Vgl., oben p. 44.
 
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