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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0362

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— 356 —

Vishnu erschaffen habe. Sie erscheint an mehreren Stellen des
grossen Epos und ist dort jedenfalls erst später eingedrungen.
Die vishnuitische Bearbeitung des Mahäbhärata konnte Brahma
seinen alten Ruhm als Weltenschöpfer doch nicht nehmen und
suchte die Superiorität Vishnu's nun in der Weise zu wahren,
dass sie Brahma als in Vishnu's Auftrag handelnd darstellt.1

Von Brahma stammt die Ordnung der Welt; er erhält
und regiert sie. Von ihm stammt Recht und Sitte, und er
hält sie aufrecht. Er hat die Ehe gestiftet, das Königthum
eingesetzt und die Kastenordnung geschaffen. Am nächsten
stehen ihm natürlich die Brahmanen. „Nichts geht über einen
Brahmanen" — soll der grosse Gott selbst gesagt haben.2 Er
hat der Sage nach die Erde einem Brahmanen3 geschenkt, und
trotz ihres Widerspruchs muss sie sich zuletzt darin finden.4

Von Brahma stammt auch das Opfer, der ganze Cultus
her; von ihm die Busse, deren gewaltige Macht das indische
Mittelalter so über alles Maass verherrlicht. Brahma ist es
auch, der die heiligen Veden geschaffen.5 Er ist ewig, all-
wissend und heilig.

Wenn der grosse Gott als Weltenseele gefeiert wird, aus
der Alles hervorgegangen und in die Alles wieder zurückfluthet,
dann erscheint er auch im Mahäbharata als ein Neutrum, als
das Brahman.6 Und dies ist zweifellos die alte und ur-
sprüngliche Auffassung. Aus jenem, in alter Zeit gefeierten
neutralen Brahman, dem Absolutum, der \Yeltseele, hat sich ja,
wie wir gesehen, erst der männliche Gott Brahma entwickelt,
ist aus ihm geworden.

1 S. Holtzmann a. a. 0. p. 182. „Es ist wohl nur Zufall, —
sagt Holtzmann ebenda — dass wir diesen vishnuitischen Kosmogonieen
kein $ivaitisches Gegenstück zur Seite stellen können; denn im Allge-
meinen wird in unserem Gedichte ängstlich darauf gesehen, dass keiner
jener beiden Götter hinter dem anderen zurückstehe, und was von dem
einen behauptet wird, muss an einer andern Stelle auch von dem anderen
gesagt sein. Doch findet sich der Satz, Qiva habe die Welt durch Ver-
mittelung des Brahma erschaffen, nicht ausdrücklich ausgesprochen.
Bestimmt aber wird Br&hmä von Qiva als W eltenschöpfer anerkannt, —
und ebenso bestimmt ist Brahmä eine Schöpfung des Qiva."

8 S. Holtzmann a. a. 0. p. 186.

8 Dem Kagyapa.

4 Vgl. Holtzmann a. a. 0. p. 186: ,.Der Sinn der Sage ist deutlich:

die eigentlichen Götter der Welt sind die Brahmanen und jeder Protest
dagegen ist vergeblich. In den spätesten Stücken weiss Brahma Göttern
und Menschen nichts dringender anzuempfehlen als Gehorsam und Ehr-
erbietung gegen die Brahmanen."

6 Vgl. Holtzmann a. a. 0. p. 187—189.

* Vgl. Holtzmann a. a. 0. p. 193.
 
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