Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0455

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
$

Einunddreissigste Vorlesung.

Die Literatur des indischen Mittelalters. Allgemeine Züge derselben. Ro-
mantische Eigentümlichkeiten: Richtung auf das Phantastische, Schwär-
merische, Wunderbare, Ueberirdische; Innigkeit der Empfindung; Maass-
und Formlosigkeit. Mangel der Prosa. — Das Epos. Bei den Indern
nicht die älteste Dichtungsform, sondern erst im Mittelalter nachweisbar.
Bedeutende Autoritäts-Stellung des Epos im Mittelalter. Itihäsa-Puräna
und Kävya. Verschiedenheit des Mahäbhärata und Rämäyana. Die muth-
maasslichen Anfänge des Mahäbhärata und seine allmähliche Umformung.

Die Literatur des indischen Mittelalters, deren Be-
trachtung wir uns nunmehr zuwenden, ist ein getreuer Spiegel
des Lebens, Denkens und Empfindens jener Zeit, und wie die
letztere in ihren charakteristischen Zügen uns lebhaft an unser
eigenes Mittelalter, die goldene Zeit der Romantik, erinnert,1
so trägt auch die Literatur des indischen Mittelalters deutlich
die romantischen Züge an sich.

Das phantastische Element, das hier vorwaltet; die
Neigung zum Wunderbaren auf allen Gebieten und in allen
Formen; die ausgeprägte Richtung auf das Ueberirdische;
das Schwärmerische, die Hingebung und süsse Innigkeit
in der Empfindung; die Maass- und Formlosigkeit in den
Gebilden des schaffenden Geistes, — es sind Alles romantische
Eigenthümlichkeiten, im Gegensatz zu dem Maass, der Ruhe
und Klarheit klassischer Schöpfungen.

Phantastisch war jene ganze Weltanschauung der Brah-
manen, nach welcher die Stufenleiter der Wesen vom höchsten
Brahman durch die Reiche der Götter, Geister und Heiligen,
durch die Menschenwelt, und das Thierreich hindurch bis zu
den untersten Stufen der Existenz führte; wo in diesem un-

1 Nur dass diese Züge in Indien entschieden noch verschärft, zum
Theil übertrieben erscheinen, wie z. B. in dem überspannten Büsser-
wesen, der schroffen ständischen Sonderung u. A.
 
Annotationen