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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0456

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geheuren Bereich die Seelen hin und her wanderten, auf und
ab stiegen, als wären keine Schranken zwischen Himmel und
Erde; wo die Busse der Heiligen Götter und Welten erzittern
machte und jedes Wunder, jede Ungeheuerlichkeit bewirken
konnte; wo die gesammte Staatsordnung, das Kastenwesen, der
Priestervorrang u. s. w. angesehen wurde als bestehend seit
Urewigkeit. Und phantastisch ging es denn auch vor Allem
in der Dichtung her. Heilige und Seher (wie Närada) wandern
zwischen Himmel und Erde hin und her; die Könige der Men-
schen steigen zum Himmel auf und besuchen Indra, den Götter-
könig, in seinem Palaste, der ihnen gelegentlich seinen Wagen
zuschickt, um sie zum Dämonenkampfe abzuholen; Brahma selbst
und seine Schaaren kommen zur.Erde herab, fromme Büsser
zu begrüßsen u. dgl. m.

Maasslos waren die Dimensionen in den Gebilden des
mittelalterlich-indischen Denkens. Die Welt und die Geschichte
der .Menschen hatte nach dem Gesetzbuch des Manu schon un-
ermessliche Zeiträume durchlaufen. Vier Weltalter giebt es,
nach der Lehre dieser Zeit: das Kritayuga oder die Periode
der Vollkommenheit; das Tretayuga oder die Periode der drei
Opferfeuer, der Erfüllung der heiligen Pflichten; das Dväpara-
yuga oder die Periode des Zweifels; und das Kaliyuga oder
das Zeitalter der Sünde, in welchem wir uns noch gegenwärtig
befinden. Das erste, das Zeitalter der Vollkommenheit, soll
4800 Götter jähre gedauert haben; ein Götterjahr aber dauert
360 Jahre der Menschen; somit währte jene erste Periode nach
menschlichem Maasse 1,728,000 Jahre. Das war die Zeit-, wo
Yama und Manu lebten. Damals wurden die Menschen 400
Jahre alt. Dann kam das zweite, das Zeitalter der drei Opfer-
ieuer, in welchem die grossen Opferer und Sänger lebten; das
dauerte 3600 Götterjahre oder 1,296,000 Jahre nach mensch-
licher Rechnung. Das Lebensalter der Menschen betrug 300
Jahre. Dann in der dritten, der Periode des Zweifels oder
der Verdunkelung, lebteil die grossen epischen Helden. Das
dauerte 2400 Götterjahre oder 864,000 Jahre der Menschen.
Das Lebensalter der Menschen betrug 200 Jahre. Endlich
viertens das Zeitalter der Sünde, in welchem wir noch leben,
soll 1200 Götterjahre oder 432,000 Jahre der Menschen dauern;
und das Maximum für die Lebensdauer der Menschen ist 100
Jahre. Das Gesetzbuch des Manu schiebt seine eigene Ent-
stehung somit mehrere Millionen Jahre zurück, da es der ersten
Periode entstammt; die europäischen Gelehrten haben aber allen
Grund daran zu zweifeln, ob dieses Werk auch nur ein vorchrist-
 
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