Achtunddreissigste Vorlesung.
Die lyrische Poesie. Grössere lyrische Dichtungen. Meghaduta, der
Wolkenbote. Ghafakarpara. Cäurapaficä^ikä. Ritusanihära, der Kreis
der Jahreszeiten u. a.
Auf dem Gebiete der frischen Poesie begegnen wir
nur wenigen grösseren Dichtungen, darunter aber einigen, voll-
endet schönen Schöpfungen des Kälidasa, die dieses grössten
indischen Dichtergenius durchaus würdig sind. Kälidasa, der
im 6. Jahrhundert n. Chr. lebte,1 zeichnete sich, wie auch
schon seine Dramen Qakuntalä und Urvaci bekunden, durch
hervorragende lyrische Begabung aus. Sein Meghaduta, „der
Wolkenbote", ist ein Kleinod von unschätzbarem Werthe. Als
Goethe in den „Zahmen Xenien"2 mit begeisterten Worten
von der reizenden Poesie der Qakuntalä und des Nala redete,
da fügte er auch die Worte hinzu:
Und Meghaduta, den Wolkengesandten,
Wer schickt ihn nicht gerne zu Seelenverwandten!
Lassen Sie uns nun diesen Meghaduta etwas näher kennen
lernen und sehen, ob auch wir zu den Seelenverwandten ge-
hören, von denen der Dichterkönig redet.
Den Inhalt des Meghaduta bildet eine Botschaft, welche
ein Verbannter einer Wolke an die ferne, unerreichbare Ge-
liebte aufträgt, wobei er ihr zugleich in farbenprächtiger Schil-
derung den Weg beschreibt, welchen sie nehmen soll. Jener
unglückliche Verbannte, der die Wolke zum Boten seiner Sehn-
sucht macht, ist ein Yaksha, ein halbgöttliches Wesen, wie sie
die Umgebung des Kuvera, des Gottes der Reichthümer, bilden,
und wie sie in Alakä, der prächtigen Stadt jenes Gottes, auf
1 Die Begründung für diese Zeitbestimmung wird weiter unten ge
geben werden.
2 Zahme Xenien, Zweite Reihe.
Die lyrische Poesie. Grössere lyrische Dichtungen. Meghaduta, der
Wolkenbote. Ghafakarpara. Cäurapaficä^ikä. Ritusanihära, der Kreis
der Jahreszeiten u. a.
Auf dem Gebiete der frischen Poesie begegnen wir
nur wenigen grösseren Dichtungen, darunter aber einigen, voll-
endet schönen Schöpfungen des Kälidasa, die dieses grössten
indischen Dichtergenius durchaus würdig sind. Kälidasa, der
im 6. Jahrhundert n. Chr. lebte,1 zeichnete sich, wie auch
schon seine Dramen Qakuntalä und Urvaci bekunden, durch
hervorragende lyrische Begabung aus. Sein Meghaduta, „der
Wolkenbote", ist ein Kleinod von unschätzbarem Werthe. Als
Goethe in den „Zahmen Xenien"2 mit begeisterten Worten
von der reizenden Poesie der Qakuntalä und des Nala redete,
da fügte er auch die Worte hinzu:
Und Meghaduta, den Wolkengesandten,
Wer schickt ihn nicht gerne zu Seelenverwandten!
Lassen Sie uns nun diesen Meghaduta etwas näher kennen
lernen und sehen, ob auch wir zu den Seelenverwandten ge-
hören, von denen der Dichterkönig redet.
Den Inhalt des Meghaduta bildet eine Botschaft, welche
ein Verbannter einer Wolke an die ferne, unerreichbare Ge-
liebte aufträgt, wobei er ihr zugleich in farbenprächtiger Schil-
derung den Weg beschreibt, welchen sie nehmen soll. Jener
unglückliche Verbannte, der die Wolke zum Boten seiner Sehn-
sucht macht, ist ein Yaksha, ein halbgöttliches Wesen, wie sie
die Umgebung des Kuvera, des Gottes der Reichthümer, bilden,
und wie sie in Alakä, der prächtigen Stadt jenes Gottes, auf
1 Die Begründung für diese Zeitbestimmung wird weiter unten ge
geben werden.
2 Zahme Xenien, Zweite Reihe.