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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0363

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I

— 357 —

Brahma erscheint in der bildlichen Darstellung mit vier
Köpfen, vier Gesichtern, welche den vier Yeden entsprechen.1
Er hat vier Arme; in einem derselben hält er die heiligen
Schriften, im zweiten einen Rosenkranz, im dritten ein Opfer-
gefass oder einen Almosentopf, im vierten einen Opferlöffel.
So ist in ihm der fromme Asket symbolisirt. Er thront in
seinem Himmel auf einem Lotossitze. Ihm ist der Lotos
heilig und der Schwan. Seine Gattin ist Sarasvati, die Göttin
der Rede, des Lernens und Lehrens.2

Von einem eigentlichen Cultus des Brahma ist kaum die
Rede.3 Das liegt in seinem abstract philosophischen Ursprung
und seinem ganzen Charakter begründet. Nur wenige, ver-
einzelte Tempel sind in dem ganzen grossen Indien ihm geweiht
gewesen, und so ist es bis auf den heutigen Tag geblieben,
während die Tempel des Vishnu und Qiva nach Tausenden und
Abertausenden zählten und heute noch zählen.4

Im Mahäbhärata sehen wir an Stellen, welche auf höheres
Alter und reinere Ueberlieferung Anspruch machen dürfen, Vishnu
und Qiva noch dem Brahma untergeordnet auftreten.5 Sie ver-
ehren ihn, wenden sich ebenso wie die anderen Götter an ihn
um Rath und führen aus, was er ihnen aufträgt.

Aber weit grösser ist die Zahl der Stellen, wo eine um-
gekehrte Auffassung, die jedenfalls jüngeren Datums ist, in dem
grossen Epos Platz gegriffen hat, wo Brahma als dem Qiva,
resp. dem Vishnu untergeordnet dargestellt wird.

An givaitisch gefärbten Stellen des Mahäbhärata heisst es,
dass Qiva der Schöpfer und Herr des Brahma, Vishnu und
der anderen Götter sei; dass er, und nicht Brahma, die Welt
geschaffen habe. „Du, Qiva, bist es, den sie für Brahma halten,
in dir sind alle Götter enthalten wie die Kühe im Kuhstalle,"
— heisst es einmal. Ja Qiva ist geradezu Brahma selbst, er

1 So erscheint er auch im Mahäbhärata; s. Holtzmann, a. a. 0.
p. 204.

2 Im Mahäbhärata wird übrigens nur an einer Stelle die Gattin
Brahmä's erwähnt, und da heisst sie Sävitri (Holtzmann a. a. 0. p. 206).

8 Auch das Mahäbhärata constatirt diese Thatsache und begründet
sie mit der ruhigen Unpartheilichkeit Brahmä's. „Die Menschen, heisst
es hier, verehren Götter wie Indra, Agni, Yaruna, Yama, Kudra, Skanda,
von welchen sie Sieg über ihre Feinde erhoffen,'aber nicht die gegen
alle Wesen unpartheiischen und geduldigen Götter wie Brahma, Dhätar,
Pushan." S. Holtzmann a. a. 0. p. 207. 208.

4 Die Inder zerfallen der Hauptsache nach in Vishnuiten und Qiva-
iten; aber Brahmaiten — wenn das Wort erlaubt ist —, specielle Ver-
ehrer des Brahma, giebt es nicht.

5 Ygl. Holtzmann a. a. 0. p. 197. 200.
 
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