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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0077

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— 69 —

dieses Opferfeuer entzündet, und dort erscheinen die Götter.
In der Regel —■- und dies ist das Heiligste — wird das Feuer
durch Reibung zweier Hölzer von verschiedenen Bäumen erzeugt,
die seine „Eltern" genannt werden. Das eine Holz wird in
einer Vertiefung des anderen gedreht oder gequirlt, bis der
Funke herausspringt.1 Diese Art der Feuererzeugung ist jeden-
falls eine uralte, als heilig angesehene Sitte, und ähnlich hat
sie sich auch bei anderen indogermanischen Völkern noch lange
erhalten, so z. B. in dem germanischen sogenannten Nothfeuer.
Die gewöhnlichste Opferspende ist Butter oder Schmalz, die
ins Feuer gegossen werden. Die religiöse Dichtung sucht Gott
Agni auch persönlich, menschlich zu gestalten. Er wird ge-
schildert als ein kühner Krieger, der auf dem Streitwagen er-
scheint, die Flammen sind seine Rosse, — aber wenn die Dichter
das Feuer schildern wollen, so bricht doch immer wieder die
Vorstellung des Naturelements hindurch und die Persönlichkeit'
verblasst.

Agni erscheint am Himmel als Sonne, er erscheint in der
Luft als Blitz, auf Erden als Feuer auf dem Heerd und
Altar des Menschen. So ist er überall, in allen drei Gebieten
geboren, gehört allen dreien an. Er wird auch der „Sohn der
Wassor" genannt, offenbar weil er aus den Wolkenwassern als
Blitz entspringt. Man erzählt, dass er, verfolgt, sich in das
Wasser flüchtet; so wird das Erlöschen des Feuers im Wasser
gedeutet; es ist plötzlich weg, es hat sich im Wasser versteckt.
Auch „Sohn seiner selbst" wird Agni oft genannt, d. h. es geht
ihm nichts Analoges, Homogenes voraus, er springt scheinbar
ganz von selbst aus den Hölzern, wenn sie richtig behandelt
werden. — Dem Menschen ist Agni der nächste, liebste, trau-
teste Gott, der Hausesherr und Hausbewohner, ein willkommener
Gast, ein allverehrter, lieber Hausfreund. Unzählige Hymnen
sind an ihn gerichtet. Der Rigveda beginnt mit einem Hymnus
an Agni, und auch in den weiteren Büchern desselben stehen
die Lieder an Agni fast durchweg an erster Stelle, als wenn
sich dieser Vorrang für den priesterlichen Gott von selbst ver-
stünde.2

Die Phantasie des Inders bevölkert die Erdregion mit

1 Das eine (das männliche) Holz wird vom ÄQvattha-Baum (Ficus
religiosa L.) genommen; das andere (das weibliche) Holzstück, in welches
das erstere hineingesteckt und gedreht wird, stammt von dem (Jami-
Baum (Acacia Suma).

a Mit Agni ist, wie ich neuerdings nachgewogen habe, ursprüng-
lich Apollon identisch.
 
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