Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0338

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 330 —

entkleidet und in ein neutrales Absolutum aufgelöst, so gingen
sie jetzt nach der anderen Seite ins Extrem, liessen die Re-
action des religiösen Anthropomorphismus gegen jene Richtung
auf äusserste Abstraction um so gründlicher sein. Denn nicht
genug, dass sie den höchsten Gott wieder mit Entschiedenheit
anthropomorphisirten, ihn persönlich und menschlich gestalteten,
— sie lehrten auch, dass dieser höchste Gott selbst als Mensch
auf Erden gewandelt und dass er die Völker des Gangeslandes
begnadet habe, als ihr nationaler Heros wiederholt leibhaftig
zu erscheinen und ihnen seine Güte und Grösse wie ein Freund
und Verwandter zu beweisen.

Es scheint mir in hohem Grade wahrscheinlich zu sein,
dass gerade diese neue und merkwürdige Lehre von den Ava-
tära's des Vishnu durch die buddhistischen Lehren beeinflusst
und indirect durch dieselben erzeugt worden ist.

Der Buddhismus war damit vorangegangen, das Höchste
und Heiligste, was alle Götter überragte, in einem Menschen
offenbart zu finden, und die Brahmanen mussten es sehen und
wohl selbst mitempfinden, welch mächtige Anziehungskraft, wel-
chen Reiz es hatte, den Helden, den Lehrer, den grossen Mann,
der unter uns gewandelt, als den erkennen und verehren zu
dürfen, der der Menschheit das Heil gebracht, der die Macht
der Hölle und des Todes bezwungen, der höher und herrlicher
war als alle die landläufig verehrten Götter. Ja, Buddha war
doch selber früher schon Gott gewesen, sogar mehr als ein
Mal, war aus dem Götterhimmel hinabgestiegen in den Schooss
der Mäyä, und hatte sich nur als Qäkyasohn gebären lassen,
um eine noch höhere Stufe zu erreichen. Unter den vielen
früheren Geburten, die Buddha seiner eigenen Erinnerung ge-
mäss erlebt, ehe er in Kapilavastu als Sohn des Quddhodana
geboren wurde, finden wir ihn zwanzig Mal als Gott Indra
und vier Mal als Mahäbrahman d. h. als der grosse Brahma
geboren.1 Lag es nicht solch phantastischem Dogma gegenüber
sehr nahe, den Gedanken zu fassen: Wie hier ein Mensch ge-
lebt haben soll, der früher Gott und höchster Gott gewesen,
warum soll nicht auch unser Gott Vishnu,. der Höchste, den
wir kennen, Mensch geworden sein und als Held und Kämpfer
sich gemüht haben zum Segen des Menschengeschlechtes? Es
liegt auf der Hand, dass beide Dogmen einander sehr nahe
verwandt sind, und die eine Annahme hat kaum grössere
Schwierigkeiten: als die andere. Hier hatten die Brahmanen

1 S. Koeppen, Religion des Buddha, p. 320.
 
Annotationen