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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0390

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— 382 —

Mönchthum und Einsiedlerwesen, seinen Wallfahrten, seiner
Busse und asketischen Selbstpeinigung, dem Ueberwuchern der
religiös-asketischen Empfindung, mit seinen romantisch-phanta-
stischen Schöpfungen auf dem Gebiete der Poesie, seiner Ethik
des Duldens und Leidens, des Gehorchens und der Selbst-
entäusserung, mit seinen streng geschlossenen Ständen, seiner
Priesterherrschaft, seinem ritterlichen Adel, den Städten und
ihren Corporationen, — eine reiche und eigenartige Blüthe der
Cultur, zuletzt aber doch in religiöser Versumpfung endigend.
Dann der Uebergang zu einer neuen Zeit, bewirkt durch die
Berührung mit fremden, weit entlegenen Ländern und Völkern,
und das Auftreten religiöser Reformatoren, in Europa Luther,
Zwingli, Calvin, in Indien Kabir,1 Nänak,2 Cäitanya.3 Nur ver-
hält sich Indien bei den fremdländischen Einflüssen mehr passiv.
Die mohammedanischen Eroberer, die Portugiesen, Holländer,
Franzosen und vor Allem die Engländer brechen die Herrschaft
der mittelalterlichen Cultur Indiens und inauguriren eine neue
Zeit freierer und vielseitigerer geistiger Bildung, während in
Europa die leitenden Völker activ vorgehend durch Entdeckung
einer neuen Welt, Eroberung fremder, ferner Länder und Wieder-
erweckung der antiken Cultur, dem bisher begrenzten Bildungs-
horizont ungeahnte Erweiterung schufen; auch ist die Wirkung
der erwähnten religiösen Reformatoren in Europa viel stärker
und weiter reichend als die der indischen. Aus diesen Gründen

1 Kabir, der kühne Reformator, der Hindu's und Mohammedanern
in gleicher Weise gerecht zu werden wusste, lebte wahrscheinlich zu
Ende des 14. oder zu Anfang des 15. Jahrh. Einiges Nähere siehe bei
A. Barth, Religions de 1'Inde p. 143 flg.; auch E. Schlagintweit,
Indien in Wort und Bild I, p. 172. Viele von Kabir stammende Yerse
und Lehren sind in das heilige Buch der Sikhs übergegangen. Einiges
davon findet man in dem in der folgenden Anmerkung citirten Trumpp-
schen Buch über die Sikh-Iieligion.

2 Nänak, der Stifter der sogenannten Sikh - Religion, wurde im
Penjab im Jahre 1469, also 14 Jahre vor Luther, geboren. Näheres über
ihn und seine Lehren siehe in dem hübschen Buche von Ernst"Trumpp,
Die Religion der Sikhs (Leipzig 1881). Weitere Quellen zum Studium
dieser reformatorischen Religionsbewegung siehe bei A. Barth, a. a. 0.
p. 145 Anm.

3 Cäitanya, geb. in Bengalen im Jahre 1485, also 2 Jahre nach
Luther.. Er ist der Hauptvertreter derjenigen vishnuitischen Reform-
bewegung, welche das Heil in der Bhakti (d. i. Hingebung, auf Glauben
beruhende Liebe) suchte. S. Barth, a. a 0. p. 139 flg. und vorher;
Schlagintweit, I p. 173. Als Vorläufer dieser und der obengenannten
Reformbewegungen sirld Rämänuja (im 12. Jahrh.) und Rämänanda
(im 14. Jahrh.1) zu bezeichnen (s. Barth a. a. 0. p. 116; Schlagintweit I,
p. 172).
 
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