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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0419

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lande niemals Platz gegriffen; nie war sie hier so raffinirt bis
ins Detail ausgebildet, so fest versteinert, so unbarmherzig,
einer gefühllosen Naturgewalt ähnlich, wie dies in dem indischen
Mittelalter der Fall war.

Die Gliederung in die vier Stände oder Klassen der Brah-
manen, Kshatriya, Vai^ya und Qudra datirt allerdings schon
einige Jahrhunderte vor Buddha zurück, findet sich schon im
Yajurveda, — aber sie trägt da noch einen barmloseren Cha-
rakter und entbehrt jener ehernen Härte und Schroffheit, die
sie späterhin so schrecklich macht. Diesen schroffen Charakter
gewann sie erst im Mittelalter.

Gerade in diesem Punkte war die frühere Auffassung von
Buddha zu berichtigen gewesen, der gemäss er in erster Linie
socialer Reformator war, der die furchtbaren Fesseln des Kasten-
zwanges sprengte. Diese Fesseln sind vielmehr erst später, erst
im Mittelalter so fest geschmiedet worden. Es geschah dies
nicht zum geringsten Theile in Folge einer brahmanisch-reac-
tionären Bewegung gegen den Buddhismus und überhaupt gegen
die überspannt mönchischen Tendenzen, die an der Scheide
der alten Zeit und des Mittelalters die gesammte bisherige
Ordnung der Gesellschaft aufzulösen drohten. Dieser Feind
war nicht mit schwachen Mitteln zu bezwingen; es mussten
ihm eherne Fesseln und Schranken der gesellschaftlichen Ord-
nung entgegen stehen. Und ähnlich wie der Jesuitenorden
erst nach der Reformation entstand, die alten katholischen
Tendenzen unerbittlich auf die Spitze treibend, — so in noch
höherem Maasse gaben die Brahmanen erst nach Buddha ihrem
System die Wendung auf die extremste Schärfe hin, schufen
die Ordnungen von Staat und Gesellschaft in diesem hyper-
reactionären Sinne um und brachten wirklich einen Bau zu
Stande, der an Starrheit und Unbeweglichkeit seines Gleichen
sucht. So konnten sie später lehren, und man glaubte es ihnen,
dass diese Ordnung der Dinge seit Anbeginn der Welten schon
fest bestehe.

Die Brahmanen hatten es durchzusetzen gewusst, dass
ihr Stand durchaus als der oberste, der vornehmste und wür-
digste anerkannt wurde, und in einer Menge von Vorrechten
prägte sich diese höhere Stellung aus. Ein Brahmane stieg
herab, wenn er die Tochter eines Ritters oder Kriegers zum
Weibe nahm. Ihm zu dienen, ihn zu schützen waren die
anderen Stände verpflichtet. Die Richtung auf das Heilige,
Himmlische beherrscht das ganze indische Mittelalter; der Brah-
mane trug das Heilige in sich, er stand der Gottheit am
 
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