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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0485

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— 477 —

hüllen. Sie stellt die Sache so dar, als wenn auch die Pändu-
söhne eigentlich zum Kuru- Stamme gehörten. Aber unschwer
lässt sich hier die sagenhafte Erfindung erkennen. Dem
siegenden Geschlechte musste ja viel daran gelegen sein,
seinen Anspruch auf die Herrschaft als einen altererbten dar-
zustellen, sich selbst die erlauchte Ahnenreihe der Kuru-Fürsten
anzumassen.

Seltsam und phantastisch genug ist dieser Versuch, das
Tandugeschlecht an den Kuru-Namen anzuknüpfen. Die Sage
lässt den letzten ächten Kuru-Sprössling kinderlos bleiben und
dann muss der heilige Yyäsa selbst, der zugleich Autor des
grossen Epos sein soll, als angeblicher Halbbruder dieses letzten
Kuru-Sprösslings auftreten und dessen Wittwen Kinder erwecken,
den Dhritaräshtra und den Pändu, die nun doch beide keine
wirklichen Kuru-Söhne sind, da ja Vyäsa der Sohn des Brah-
manen Parägara ist und keinen Tropfen Kuru Blutes in sich
trägt.1 De jure aber sind sie Vicitravirya's Söhne, gelten also
als Kuru-SprÖsslinge. Im Grunde giebt aber die Sage bei
dieser Darstellung das Aussterben des Kuru-Stammes selbst zu,
und mit dem Fall des alten Bhishma verlöscht in Wahrheit
das Kuru-Geschlecht. So war es vermuthlieh auch in der
ältesten Fassung der Sage dargestellt, dass der gewaltige
Bhishma, der letzte Kuru-König, in tapferem Kampfe gegen
das fremde, Geschlecht der Pändava fällt und diesem damit der
Herrsch ersitz zufällt. Aber in geschraubtester Weise ist diese
alte Thatsache in dem Epos, wie es uns jetzt vorliegt, umge-
staltet. Man könnte sagen, dass das Epos selbst, indem es
den Yyäsa — seinen Autor — als Erzeuger des Dhritaräshtra
wie des Pändu darstellt, in naiver Weise das Bekenntniss ab-
legt, dass jene Gestalten Schöpfungen des Dichters seien. Diese
Darstellung bringt es zu Wege, das Recht des letzten Kuru-
Königs Dhritaräshtra und das des Pändu ganz auf gleiche
Stufe zu stellen, nur dass der erstere die Erstgeburt für sich
hat, — dafür ist er aber wiederum blind und unfähig zu
herrschen. Bei der folgenden Generation wird auch dieser
Punkt noch künstlich geschraubt, indem Duryodhana und
Yudhishthira, die beiden Rivalen, an ein und demselben Tage
geboren sein sollen. Um die Ansprüche des Yudhishthira noch
sicherer festzustellen und über allen Zweifel zu erheben, lässt
die Sage den blinden Dhritaräshtra selbst diesen zuerst zu

1 Dass in einer älteren Bearbeitung der Sage wahrscheinlich Bhi-
shma die Rolle des kinderzeugenden Schwagers zufiel, ist schon oben
ausgesprochen worden.
 
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