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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0539

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— 531 —

Ein Esel hatte Freundschaft mit einem Schakal geschlossen,
sie brachen Nachts durch die Umzäunungen der Gurkenfelder
und schmausten nach Herzenslust ihre Früchte. Einst sprach
der Esel vor Stolz übermüthig zum Schakal: „Schwestersohn,
sieh! die Nacht ist so klar, darum will ich einen Sang an-
stimmen!" Aber der Schakal sprach: „Lieber, wozu unnützes
Gelärm? Wir treiben Spitzbubenhandwerk! Diebe und Verliebte
müssen sich versteckt halten! Ausserdem klingt dein Gesang
keineswegs angenehm. Die Feldhüter werden erwachen und
uns den Tod bereiten. Darum lass uns lieber die Gurken
schmausen!" „Ach, sagte der Esel, du kennst den Zauber der
Musik nicht, weil du im Walde wohnst!" Und nun recitirt er
einen schwärmerischen Vers von der Seligkeit, die bei des
Herbstes Mondenschimmer des Liedes Göttertrank gewährt. —
Der Schakal sprach: „Lieber, das ist wahr, aber du singst viel
zu rauh, es würde uns nur schaden!" „Pfui, pfui, du Un-
wissender, rief der Esel, ich sollte nicht wissen, was Gesang
ist? So höre denn die Eintheilung: Sieben Töne und drei Ok-
taven und einundzwanzig Intervall', und neunundvierzig Takt-
arten, Quantitäten und Tempi drei." Und nun recitirt er in
Strophen seine theoretischen Musikkenntnisse und fragt belei-
digt: „Warum nennst du mich denn einen Unkundigen und
willst mir wehren?" — „Nun, sagte der Schakal, wenn du denn
durchaus willst, so magst du singen, aber ich will mich nur
vorher an die Thür der Umzäunung stellen, damit ich mich
schnell retten kann." Da streckte denn der Esel den Hals aus
und fing fürchterlich an zu schreien. Der Feldhüter erwachte,
kam mit einem Knüppel herbei, prügelte den Esel weidlich
durch und hing ihm einen durchlöcherten hölzernen Mörser
um den Hals. Dann legte er sich wieder schlafen. Der Esel
aber zertrümmerte den Zaun und machte sich mitsammt dem
Mörser auf die Flucht. Da erblickte ihn der Schakal aus der
Ferne und sagte lachend: „Obgleich ich dir doch sagte: Onkel,
lass das Singen! liessest du doch nicht ab; nun ist als Lohn
des Sangs dieser ganz neue Schmuck dir umgehängt."

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