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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0676

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— 668

oder der Centurie der Lebensweisheit und dem Väirägya-
(jataka oder der Centurie der Entsagung;- so ferner in dem
Qäntigataka oder der Centurie des Seelenfriedens, und in
dem Mohamudgara oder dem Hammer der Thorheit, einem
Werke, das sich vermisst, wie ein Hammer*, die Thorheit der
Menschen zu zerstören. Die Hauptmasse der indischen Sprüche
findet sich in den verschiedensten dichterischen Schöpfungen
verstreut, — in der Fabel- und Märchenpoesie, im Epos, im
Drama, im Gesetzbuch des Manu und noch vielen anderen
Werken; und gerade hieran sehen wir, wie diese Art, seine
Gedanken auszuprägen, dem Inder gleichsam zur zweiten Natur
geworden war, da er in so heterogenen Schöpfungen immer
wieder in solchen „Sprüchen der Weisheit" redet, mögen sie
nun, wie im Epos und Drama, aus dem Munde von Helden,
Heiligen und Göttern ertönen, oder, wie in der Fabelpoesie,
von philosophirenden Katzen, Schlangen, Schakalen und Tigern
verkündet werden. — Vor Allem ist es natürlich, dass wir in
der Literatur der Fabeln, die als Reflexionspoesie den Sprüchen
am nächsten verwandt sind, eine besonders reiche Fülle der-
selben aufbewahrt finden; so im Hitopadega und im Pafl-
catantra. Dann aber ist es vor Allem das Mahäbhärata,
das in der ungeheuren Ausdehnung seines, im Laufe von Jahr-
hunderten emporgewachsenen Baues Alles für den frommen
Inder Wissenswerthe encyklopädisch bergen will und darum
auch eine fast unerschöpfliche Fundgrube für die Sprüche der
Weisheit bildet. Als ein schöner, sinnvoller Schmuck ziehen
sie sich durch alle Theile der vielverschlungenen wunderbaren
Dichtung, ähnlich den Koranspriichen, die, zwischen den ver-
schlungenen Arabesken maurischer Tempelbauten, dem bewun-
dernden Beschauer ernste, heilsame, weise Worte zurufen.

Versuchen wir nun die Gedankenwelt, die in den indischen
Sprüchen zu uns redet, etwas näher kennen zu lernen.

An der Schwelle des indischen Mittelalters ist es ein Gedanke,
der, zum ersten Male auftretend, sogleich mit siegender Gewalt
die Gemüther erfasst und beherrscht, der, von den Lippen un-
zähliger Bussprediger verkündet, fort und fort durch die Jahr-
hunderte seine Macht behält. Das ist der Gedanke der Ver-
gänglichkeit und Nichtigkeit aller irdischen Güter und Freuden.

1 Herausgegeben sind alle drei Centurien des Bh. vonP. v. Bohlen,
nebst Einleitung und lateinischer Uebersetzung (Bhartriharis sententiae,
Berlin 1833). Vgl. oben p. 564. — Das Niti^ataka und Yäirägya^ataka
auch von Kashinath Trimbak Telang, Bombay 1874.
 
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