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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0691

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— 683 —

tiven Anfängen, Ahnungen, Apergu's, auf welche eben diese
Lehren als auf ihren Ausgangspunkt sieh zurückführen lassen.
So viel darf am Ende wohl gegenwärtig als feststehend be-
trachtet werden, dass die uns vorliegenden Lehrbücher der
genannten philosophischen Systeme einer ziemlich späten Zeit
entstammen, dass sie alle zum mindesten nachchristlich sind,
ja wohl schwerlich über das vierte oder gar fünfte Jahrhundent
nach Chr. hinaufreichen. Damit ist aber natürlich durchaus
nicht gesagt, dass nicht die Grundgedanken dieser Systeme und
auch manches Speciellere, das ihnen anhängt, bedeutend älter
sein könnten; dies ist vielmehr sogar durchaus wahrscheinlich
und — in einem Falle wenigstens — sogar über allen Zweifel
erhaben.1 Der Max Müllersche Gedanke einer Renaissance der
Sanskritliteratur scheint mir gerade bei diesem Gebiete der
Literatur sehr viel für sich zu haben. Die alte Zeit, die Zeit
vor Alexander dem Grossen und vor Buddha hatte bereits eine
nicht unbeträchtliche Summe philosophischer Ideen hervorge-
bracht. Es folgte dann eine längere Zeit der Ruhe, des Still-
stands, eine Pause in der Entwicklung, und dann — unter
günstigeren politischen Verhältnissen — eine neue Periode des
Aufschwungs, in welcher die alten Gedanken wieder aufgenommen,
fortgebildet, ergänzt, erweitert und zum ersten Ma e in eine
wirklich wissenschaftliche, systematische Form gebracht wurden.
Diese zweite Periode dürfte schwerlich früher als mit dem
Jahre 300 nach Chr. begonnen haben.2

Am Klarsten liegt das Verhältniss zwischen den philoso-
phischen Schöpfungen einer früheren und einer späteren Zeit
bei dem sogenannten Vedänta-System am Tage. In den noch
vor die Zeit Buddha's hinaufreichenden ältesten Upanishaden,
deren Inhalt ich in früheren Vorlesungen zu schildern gesucht
habe, finden wir den Grundgedanken des Systems, die Identität
der Seele und der ganzen Welt mit dem Atman-Brahman, die
Alleinslehre, klar und deutlich ausgesprochen, in begeisterten
Worten verkündigt, mit geistvollen Bildern u. dgl. m. erläutert.
Aber ein eigentliches philosophisches System, eine systematisch-
wissenschaftliche Durchführung jener Grundgedanken liegt in
den erwähnten alten Schriften noch nicht vor: diese finden wir
erst m den späteren Werken, dem mittelalterlichen System des
Bädaräyana und seiner Gesinnungsgenossen, welche durchaus
auf den Upanishaden fussen, sie als höchste Autorität anerkennen,

1 Ich meine natürlich die Vedänta-Philosophie.

2 Vgl. auch M. Müller, Indien in s. weltg. Beel. p. 312—316.
 
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