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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0710

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— 702 —

Auf diesem Wege, von aussen nach innen dringend, suchen sie
den Inhalt, das wahre Wesen der Sprache zu erforschen. Gerade
den umgekehrten Weg schlägt die philosophische Sprachbetrach-
tung ein, als deren eigentliche Schöpfer wir die Griechen an-
zusehen haben.1 Weil für die indische Sprachforschung gerade
die analytische Methode charakteristisch ist, wird die Grammatik
geradezu vyäkarana genannt, d. h. Auseinandermachung, Ana-
lyse; ein Grammatiker heisst väiyäkarana, d. h. Analytiker!
Begünstigt wurde diese Methode ohne Zweifel durch die grosse
Klarheit und Durchsichtigkeit des Sanskrit, aber nichtsdesto-
weniger sind die Leistungen erstaunlich.

Die indischen Grammatiker haben es erkannt, dass die
sprachlichen Formen aufgebaut sind aus, meist einsylbigen,
Wurzeln, in Zusammensetzung mit mannigfachen, die Wurzel-
bedeutung modificirenden Suffixen und Präfixen. Diese Wurzeln,
sowie auch die Suffixe, haben sie verstanden, höchst gründlich
und scharfsinnig in ihre mannigfaltigen Verbindungen und Um-
gestaltungen zu verfolgen, wo dieselben oft keineswegs leicht
herauszuerkennen sind. Sie haben die lautlichen Verhältnisse,
die Gesetze, nach welchen Consonanten und Vocale sich ver-
ändern, sich gegenseitig beeinflussen, verdrängen u. dgl. m. in
höchst scharfsichtiger, wahrhaft wissenschaftlicher Weise er-
forscht. Ihre Darstellung der Laut-, Flexions- und Wortbildungs-
lehre zeugt von vorzüglichem Beobachtungstalent auf diesem
Gebiete und dabei von wahrhaft staunenswerther Akribie, was
umsomehr hervorgehoben werden muss, als gerade Genauigkeit
und Präcision auf andern Gebieten der wissenschaftlichen For-
schung bei den Indern bekanntlich sehr vermisst werden. Von
entscheidender Bedeutung war dabei wohl der Umstand, dass
das Studium der Grammatik in Indien zunächst an den vedi-
schen. Texten erwuchs, deren Heiligkeit auch für den letzten,
in ihnen enthaltenen Buchstaben ehrfurchtsvolle Scheu und
Sorgfalt beanspruchte. In der Verzeichnung und Besprechung
der vedischen Formen verfahren die indischen Grammatiker mit
der äussersten Umsicht und einer Gewissenhaftigkeit, die wir
nicht genug rühmen können.2

1 Man vgl. hier namentlich Benfey, Geschichte der Sprachwissen-
schaft (München 1869) p. 35—37. Die Darstellung der indischen Sprach-
wissenschaft, welche Benfey in diesem Werk (p. 35—100) gegeben hat,
ist die beste, welche wir bisher besitzen.

2 Nur durch diese Akribie der indischen Grammatiker ist es mir
z. B. möglich gewesen, die Mäitrayani S&mhita als einen echten alten
Veda zu erweisen; nur dadurch, dass ich in derselben eine ganze Reihe
 
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