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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1) — 1919

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Nr. 11 - Nr. 20 (13. Oktober - 23. Oktober)
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Und lasse man sich nicht durch das Schlagwort Sozialisierung
in trügerische Sicherheit wiegen. Die Sozialisierung ist kein Ma-
num, das einem geschwächten Körper sofort die Gesundheit wieder
gibt, und sie ist auch nicht überall anwendbar. Die zu Beginn dec
Revolution vom Rat der Volksbcauftragten eingesetzte Sozialisie-
rungskommission, die in ihrer Mehrheit ms Sachverständigen der
Volkswirtschaft bestand, welche entweder Mitglieder der Unabhän-
mgen Sozialdemokratie sind oder ihr n der stehen als die M"br-
heitssozialisten, hat das in ihrem Bericht rückhaltlos anerkannt. Wo
aber nicht sozialisiert werden kann, ist das Kipital noch unentbehr-
lich. Was soll man daher dazu sagen, wenn jetzt Redner uns
Blätter der Unabhängigen Sozialdemokratie - nicht in konkreten
Fällen, wo sich natürlich darüber reden ließe - ins Blaue hinein
darüber deklamieren, daß die Regierung der Republik überhaupt
„das Kapital schützt"? Wären die Unabhängigen am Ruder, so
müßten sie es in dem Maße, wie es heute geschieht, grundsätzlich
auch tun. Und sie würden es zu tun suchen, denn die Sachkundigen
unter ihren Führern wissen sehr gut, daß das Kapital opfern beim
heutigen Stand der deutschen Volkswirtschaft und der Weltlage
Deutschlands nichts anderes hieße als über die deutsche Arbeiter-
schaft m größtem Maße Not und Elend neraufbeschwören und ihre
Entwicklung aus lange hinaus schwer beeinträchtigen.


Die ELseNb ahn erb e W egung
in Frankfurt a. M. beendigt.
Zwischen den Frankfurter Eisenbahner und der Cisen-
bahndirektion ist gestern Nachmittag der Konflikt in einer
öffentlichen Bsrsammluftg des deutschen Eisenbahnerverban-
des bei gelegt worden.'
Die deuLfcheA Gewerkschaften zur ArbeitL-
konferenz in Washington zugelasfen.
Ber! in, 21. Okt. Dem deutschen Gewerkschaftsbund
wurde durch neutrale Vermittlungen mitgsteilt, daß der
Oberste Nat der Alliierten und Ässozierten die Zulassung
der deutsch-österreichischen Delegierten als vollberechtigte
Mitglieder zur Konferenz empfohlen hat. Die deutsche
Regierung hat sich entschlossen, Delegierte nach Washington
zu entsenden. ,
Die KshlermoL.
Wien, 21. Okt. In Wien sollen angeblich infolge
der Kohlennot alle Schulen in der Zeit vom 16. November
1919 bis Februar 1920 geschlossen werden.
Das Baltikum/
Paris, 21. Okt. Der „Malin" meldet, daß die Er-
nennung des Generals Mag in z um Chef der interallierten
Mission zur Kenntnis der Regierungen gebracht worden ist.
Er wird die Verwaltung der baltischen Provinzen während
einer noch unbestimmten Zeit ansübsn.
Die Lage in RrchLanÄ.
Helfingfors, 21, Oktober. Die Nordwestarmee be-
setzte den Vorort Kilkuwu südlich von Petersburg. Judenisch's
Stab sisdklt nach Zorskejo-Sheko über. Heftige Käknpfe
fanden zwischen der englischen Flotte und Kronstadt statt.
Die Bolschewisten haben dis Bahnstrecke Petersburg Wjthebfk
in der Richtung Kleskau geräumt. Die weiße Armee macht
Fortschritte. Die Bolschewisten zogen südlich des Tribusees
hinter Waljkajafluß zurück.
Eia Aufstand in Egypten.
Amsterdam, 21. Okt. Die „Temps" meldet aus
Alexandrien, daß am Freitag eine große Kundgebung für
die Unabhängigkeit Egyptens abgehalten wurde. Es wurde
gerufen: „Weg mit Milner!" Die Polizei und Truppen
trieben die Ansammlung auseinander.

iü-zkpqn-ti«; M-iMUS einschl, TrvMic
msrmlick r.sv DU., ricrbüjährlich
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Tcr:;. Gchci-mmNLi«Ar.zeiqen w
»Rr. 22sr7. Tel.-Adr.

„Mehrarbeit überhaupt, als Arbeit über das Maß der ge-
gebenen Bedürfnisse sie war, muß immer bleiben. ... Es ist
eine (eine, also nicht die einzige) der zivilisatorischen Wirkungen
des Kapitals, daß es dieseMehrarbeit erzwingt in einer Wetze,
und unter Bedingungen, die der Entwicklung der Produktions-
kräfte, der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Schöpfung der
Elemente für eine höhere Neubildung vorteilhafter sind, als
unter den sürheren Formen der Sklaverei, Leibeigenschaft usw.
. . . Denn die Mehrarbeit kann, je nach der Entwicklung der
Produktivkrast der Arbeit, g/oß sein bei kleinem Gesamtarbeits-
tag, und relativ klein bei großen: Eesamtarbeitstag." (3. Band,
2. Teil, 48. Kapitel.)
In diesen Sätzen ist klar angezeigt, wie widersinnig es ist und
aller wissenschaftlichen Erkenntnis unserer großen sozialistischen
Vorkämpfer ins Gesicht schlägt, wenn man vom Kapital als einer
Sache spricht, deren Entwicklung für die Arbeiterklasse bedeutungs-
los fei, und daß es daher für diese gleichgültig sein könne, wie ihr
Verhalten in Forderungen und Aktion aus jenes zurückwirke. Tat-
sächlich gibt e sda immer eine Grenze, -cnscüs deren alles, was
das Kapital trifft, auch die Arbeiterklasse rocht unberührt läßt.
Was der Entwicklung des Kapitals ernsthaft Abbruch tut, fäll«
auch aus die Arbeiterklasse schädigend zurück, halt auch ihren Fort-
schritt auf. Darüber soll man sich gar keinem Zweifel hingeben.
Nun ist freilich diese Gefahr ost übertrieben worden. In den
Abschnitten über die Fabrikgesetzgebung gibt Marx eine große An-
zahl Beispiele dafür, daß Maßnahmen, öie vor ihrer Einführung
von Fabrikanten als tödlich für ihre Industrie bezeichnet wurden,
dieser nicht nur nicht geschadet, sondern sich bald als sehr vorteil-
haft erwiesen haben, indem sie Verbesserungen nötig machten, die
ihrem Fortschritt außerordentlich zugute kamen Nichts kann unser
eins ferner liegen, als sich zum Anwalt des interessierten Vorurteils
oder Schlendrians von Kapitalisten zu macyen. Dem Geschrei
gegenüber, daß diese oder jene Arbeiterforden ng, diese oder jene
Sozialreform, diese oder jene Finanzmaßnahme die Volkswirtschaft
lebensunfähig machen werde, werden wir stet, unsere kritische Ader
behalten.
Aber baß eine Gefahr übertrieben werden kann, bedeutet noch
nicht, daß sie überhaupt nicht besteht. Es gibt da immer Grenzen,
jenseits deren sie real zu werden beginnt, manchmal sehr real wird.
Als der K> ca die meisten von uns ne igte, ihre Ernährung ein-
zuschränken, da fand gar mancher, daß er rn Friedenszeiten eigenr-
lich zuviel gegesfen habe und bei der verringerten Kost ganz gut
oder sogar besser als vorher bestehe, und in einer Reihe von Fällen
traf das auch zu. Bei vielen zeigte sich aber nach einiger Zeit,
daß ihr Organismus an Widerstandskraft erh> blich eingebüßt hatte
und die geringste Störung, die sie sonst leicht überstanden hatten,
wurde ihnen jetzt verderblich . So kann es auch auf anderen Ge
bieten gehen. Die Widerstandsfähigkeit Liner Volkswirtschaft hat
ihre Grenzen, über die man nicht ungestraft sich hinwegsetzt.

ES die wsr-kMjge Myslkemug der Amtsbezirke HsLSelKsrg, Wiesloch, Gmsheim,,Eppirrgen, Eberbach, Mosbach, Büche», Mersheim, Boxberg,
Tauhsrbischvfsheim und Wertheim.

-Ä die Post

Derantwortk.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u.s
E. Kraus- filr Kommunales u. soziale Rundschau: I.Kakr
O. Deibel- für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich'
Druck und Verlag der tlnterbadischen Verlagsonstalt G. m. d. i
Geschäftsstelle: Gchröderstraße ZS. Fernsprecher
GeschäfisstuudeN: s-'-'zS tlhr. Sprechstunden der Redakklsi

Politische Übersicht
WiederaufbaunrnMer Dr. Gehler.
Berlin, 21. Okt. (Priv.-Tel.) Für den neugeschaffenen
Posten des Wiederausbauministers ist der Nürnberger Oberbür-
germeister Dr. Geßler ausersehen. Dr. Gehler hat den Mi-
nisterposten angenommen.

Ai
Das Kapital rmd die Arbeiter.
Von Ed. Bernstein
Es gibt kaum etwas Schädlicheres als Halbwahrheiten. Sie
küyrcn fast mit Notwendigkeit zu falschen Schlußfolgerungen und
au; Grund ihrer zu verfehlten Maßnahmen.
Leute glauben eins große marxistische Wahrheit auszusprechen,
wenn sie das Kapita! als den „Todfeind der Arbeiterklasse" hin-
»ellen. Es ist aber Marx niemals eingefallen/ einen solchen Satz
sttedcrzuschreibsn. Er Kat die gegensätzlichen Interessen von Kapi-
Miftcn und Arbeiter, die ausbeuterischen Tendenzen deb Kapitals
dßtt großer Schärfe gekennzeichnet, aber vergebens wird man in
estnen Schriften nach einem derartigen Ausspruch suchen. Und
M)t etwa, baß Marx nur cs nich tder Mühe für wert gehalten
'Ne. in b -ser Weife den gelennzeich -eten Gegensatz zusammen-
Waffen. Sondern weil eine solche Bemerkung im Widerspruch
Mode mit den grundlegenden Gedanken seiner Lehren von der
ßftchirhtlichen Rolle des Kapitals.
Aus fast al-en Gebieten der Geisteswissenschaften macht man
M gleiche Erfahrung. Was im großen Publikum ihren bahn-
frcchcnden Vertretern als deren epochemachende, Leistung nach-
Magr wird, sind gewöhnlich Feststellungen, die jene schon als Er-
kebnisse von Forschungen ihrer Vorgänger vorsanden, nicht aber
ron ihnen gefundenen und die betreffenden Feststellungen oft
wesentlich modifizierenden neuen Wahrheiten. In bezug auf Marx
''nd dessen Mehrwertkehre hat Friedrich Engels dies im Vorwort
Band 2 des „Kapital" gekennzeichnet. „Die Existenz des Pro-
^kten-Werttciis, den wir jetzt Mehrwert nennen," schreibt er da,
-War sestgcstellt lange vor Marx; ebenso war mit größerer oder
geringerer Klarheit ausgesprochen, woraus er besteht, nämlich aus
HM Produkt der Arbeit, für welche der Aneianer kein Aequivalent
'entsprechenden Gegenwert) bezahlt hat." Soweit seien die Vor-
gänger gekommen. Bis dann Marx austrat, und zwar, schreibt
Engels, „in direktem Gegensatz zu seinen Vorgängern". Wo näm-
M diese schon die wissenschaftliche Lösung gefunden zu haben
raubten, erkannte Marx, daß hier ein erst noch zu lösendes wis -
Mnschaftliches Problem vorlag. Der Lösung dieses
stnobsems und der Entwicklung ihrer Konsequenzen widmete er
M Arbeit eines ganzen Lebens, und von den Ergebnissen dieser
Pbeit weiß das große Publikum so gut wie gar nichts. Soweit
f überhaupt von Karl Marr etwas gehört hat, glaubt es schon
'9 zu wissen, wenn cs sagt: „Aha, der Mann, der den Mehrwert
(Merkt hat." Genau, wie es beim'Namen Kant sagt: „Aha, det
Mann, der die Geschichte Mit dem Ding an sich entdeckt hat."
Welche Geschichte aber tatsächlich schon vor mehr als zweitausend
'Oren entdeckt worden ist.
, Beim großen Publikum mag es nun hingehen. Man kann
wcma 'r r jedem verlangen, daß er t>n Marx studiert hat, wie
Mn rwir jedem verlangen kann, daß er sich durch Kants Kritik
M reinen Vernunft hindurchgearbeitet hat. Anders steht es mit
Miemgen Leuten, die sich als Marxisten ausgcben, vor Arbeitern
.N Marxschcn Schlagworten um sich werfen, aber von dem, was
Marx wirklich für die soziale Erkenntnis geleistet hat, ihnen auch
Mt mehr sagen; als daß der Arbeiter vom Kapital ausgebeutet
O''d, und daran Nutzanwendungen knüpfen, welche de' »Glauben
Mecken, daß die Erledigung des Kapitals nur vom Willen und
M Macht abhängen und in jedem Zeitpunkt von Vorteil für die
st'bcjjxvkiusse nb. Entweder sind sie über dcm Wefen der Marx-
jk Mn Lehre selbst im Unklaren und maßen sich dann eine Rolle als
Mehrer des Volkes an, die ihnen nicht zutommt oder aber sie
ist M.cn diese Lehre genauer, und dann erzählen sie dem Arbeiter
s" Mer besseres Wissen verderbliche Unwahrheiten. Auch von ihnen
M das Wort Lifsagarays, daß sie handeln wie der Geograpy,
dem Seefahrer falsche Karten auf den Weg gibt.
Das Bc-eutzäme ber Lehre von Marx ist, daß dieser nickt
M schärfer als irgendeiner seiner Vorgänger die Entstehung, die
M und die Wirkungen der Mehrwertancignung durch das Kapi-
MM-oßgelcgt, sondern daß er zugleich gezeigt hat, welch großen
M'gaben das Kapital für die gesellschaftliche Entwicklung im all-
Mnnen und für die Entwicklung der Arbeiterklasse im besonderen
Mtzt. Es ist keine llebertrerbung, zu sagen, daß Marx zwar die
Iss Meuterischen Tendenzen des Kapitals, wo sie sich nur zeigten,
sl (Mungslos gebrandmarkt hat, daß er aber gerabe es ist, der
n/ sMselegt bat, wie sehr der Fortschritt der Arbeiterklasse, die Schas-
Mä der Vorbedingung ihrer Befreiung, doch wieder an die Enl-
"Ung de , Kapitals gebunden ist.
L st. Zwei Sätze aas seinem Werk „Das Kapital" mögen das be-
/ ' Men.
MIm ersten Band lesen wir im Kapital über den Arbeitstag:
MM Kapital hat die Mehrarbeit nicht erfunden. Ueberall, wo ein
- ! M der Gesellschaft das Monopol der Produktionsmittel besitzt,
f Mb der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu keiner Selbsterhaltung
! stMendigen Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen, um die
M kOusmittel für den Eigner der Produktionsmittel zu gewinnen."
1, Kap. 8, zweiter Abschnitt.)
,<i In der , : > >, >n wir d-e Mehra e-n, d. h. die Ausbwtung.
M M Een E^ ieu dci geschichttichen E ttwicklung, den Zustank des
Os VManyten Urkommunismus ausgenommen, der aber nirgends
°ar wachsenden Dichtigkeit der Bevölkerung Stich hält. Nun
H »stMer D . . ch Aus testung von Megrabeit Nicht überall
MM heftig und grbässig auf. Er ist verhältnismäßig mild, wo
sst MEch für den Gebrauch produziert wird, während er, wo für
ÄAa». Usch produziert wird, die Tendenz hat, in Heißhunger aus-
V-MMr Aber auch in dieser letzteren Hinsicht ist das Kapital,
M Scheußlichkeiten es o-mentlich m br>'. Zeilen verübt hat no
s s'jM,M:-'- Dlbeiterbewega':.r und keine .-rbeiterschuh. rem-
, .entgegenstanden, nicht schlimmer ausgetreten als zum Bei-
Ä Sklavenhalter im Altertum denjenigen Sklaven gegenüber,
M MMr sie Tauschwerte produzierten, Feudalherren dem ihnen
Landvolk gegenüber usw. Marx zeigt das in schlagenden
! wielenk
W ss!P,Mer er zeigt noch mehr. Während den Arbeitssklaven der
t - Welt kein Hoffnungsstrahl leuchtete ber Leibeigene der
Men Seit keine Milderung des Loses seiner Klasse vör sich sah,
st kür im dritten Band des „Kapital":

*
Oberbürgermeister Dr. Geßler, der den Rus eines hervor-
ragenden Organisators genießt, wurde am 6. Februar 1875 in
Ludwigsburg geboren, studierte in Erlangen, Tübingen und Leipzig
Jurisprudenz und Volkswirtschaft und war längere Zeit im bay-
rischen Justizministerium und einige Zeit in der Staatsanwaltschaft
tätig, trat dann in die Verwaltungslsusbahn über, wurde Gewerbe-
richter in München, dann erster Bürgermeister in Regensburg und
1913 Oberbürgermeister von Nürnberg.
Diirerr und ferne Lehren. -' -
Bei den Stadtverordnetenwahlen in Düren im Rheinlanb
haben alle bürgerlichen Parteien ganz bedeutend an Stimmen ver-
loren, einzig und allein die Sozialdemokratie hat ihre Stimmen-
zahl gesteigert und damit in dieser schwarzen Domäne mit einem
Schlage elf Sitze in der Stadtverordnetenversammlung erobert.
Diese Wahl beweist deutlich ,daß man mit einem Ruck nach rechts
oder ganz links im Rheinland keinesfalls sprechen kann. Aller-
dings wird matt sich auch hüten müssen, eine sölche Einzelerschei-
nung zu verallgemeinern und zu übertreiben, wie das bei den Un-
abhängigen beliebt ist. Gerade im Rheinland behauptet sich die
Sozialdemokratie ausgezeichnet.
Und diese Tatsache gibt einen Fingerzeig, auf welcher Grund-
lage die Sozialdemokratie erfolgreich arbeiten kann. Wir haben
nicht den mindesten Grund, uns wegen unserer Haltung im Krieg
zu schämen oder zu entschuldigen. Sie war diktiert von der Ein-
sicht, daß, wenn auch noch die alten Gewalten herrschten, das
Schicksal der deutschen Zukunft doch das Schicksal der Arbeiterklasse
sei. Seitdem wir auch formell die Regierungsgewalt übernommen
haben, ist das natürlich in noch weit höherem Maße der Fall. Eine
Klasse kann in einem Staate nicht herrschen, wenn sie nur ihre
engsten eigenen Interessen verfolgt. Will sie die Herrschaft dau-
ernd behalten, muß fie sich vielmehr zum Träger des Staats-
gedankens und zum Träger der allgemeinen Interesten des ganzen
Volkes »lachen.
Bei der Uebernahme des Rektorats der Berliner Universität
hat der Lehrer der Alten Geschichte, Prof. Eduard Men er,
den nationalen Charakter der deutschen Sozialdemokratie zum
Schmerz der Rechtspresse in der ehrendsten Weise anerkannt. Das
ist um so bemerkenswerter, als Eduard Meyer während des
Krieges allen möglichen annexionistischen Unfug mitgemacht hat
und den U-Boot-Treibern nicht fern stand. Aber nach der Revo-
lution hat er sich besonnen, und jetzt hat er die einfache Wahrheit
ausgesprochen, daß nach menschlichem Ermessen Wilhelm 1. der
letzte Monarch gewesen ist, an den ein Monarchist hat glauben
können: die Wiederherstellung eines solchen Monarchismus, der auch
den prinzipiellen Monarchisten vernünftig erschiene, sei gegenwär-
tig nicht mehr vorstellbar. Staatliche Ordnung ist daher m
Deutschland für die Zukunft nur möglich, wenn sie getragen wird
von den Parteien der Verfassungstreue zur deutschen Republik.
Unter diesen hat die Sozialdemokratie das weitaus stärkste
Ansehen und die weitaus größte Anziehungskraft. Nur muß sie
eben wirklich die Partei sein, die den Staat und die Wirtschaft m
Ordnung hält.
Wir können an eiligem Radikalismus niemals mit den Unab-
hängigen konkurrieren. Wir können so radikal sein wie wir wollen
— es ist nicht schwer, immer noch etwas radikaler zu sein, wie das §
den Unabhängigen die Kommunisten und den Kommunisten die
Syndikalisten beweisen. Die Sozialdemokratie kann nur bestehen
und siegen, wenn sie in allem Ernst und mit vollem Verantwort»
lichkeitsbewnßlfein den deutschen Staat und das deutsche Wirt-
schaftsleben trägt und gesund macht. Dann strömen ihr die An-
hängermassen von selbst zu; das Rheinland ist dafür der glän-
zende Beweis.
Waldersee und Goltz.
Der General Graf Waldersee, der reaktionär-monarchi-
stische Unverschämtheiten gegen den verabschiedeten General-
stabschef Gröner verbreitete, ist von Noske kurzerhand aus
der Reichswehr herausgeworfen worden. Ihm folgt irr
großem Bogen der General v. d. Goltz, sobald es als wahr
erwiesen ist, daß er dem russischen Freischärler Bermcmdt
ein Glückwunschtelegramm geschickt hat.
 
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