Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI chapter:
No. 72 - No. 75 (4. Oktober 1866 - 25. Oktober 1866)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0057
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
589

auszusprechen, konnte aber keinen Ausschluß über die Stellung
der Regierung zu dieser Fruge erhalten, angeblich wegen der
Erkrankung Bismarck's. Jetzt heißt es, daß dem Landtage
bei seinem Wiedereintritt, neben dem Vertrage mit Oldenburg
über kleine Gebietsabtretungen in Holstein, eine Vorlage über
die Einverleibung Lauenburgs gemacht werden solle.
Wahrscheinlich konnte Bismarck damals die Aufhebung der
Personal-Union mit Lauenburg, die besser in ein Rari-
täten-Kabinet, als in den modernen preußischen Staat paßt,
noch nicht durchsetzen. —
Auch der Friede mit Sachsen soll nach den offiziösen
Blättern endlich abgeschlossen oder doch dem Abschluß nahe
sein. Ueber Sachsens künftiges Verhältnis; zum Norddeutschen
Bunde hört man noch nichts Bestimmtes. Die feudale „Zcidl.
Korr." lobt in etwas beunruhigender Weise die preußische
Großmuth, und daß ein eigenes, vom preußischen getrenntes
sächsisches Heer durch eine Militär-Konvention zngestanden ist,
scheint gewiß — in demselben Augenblick, wo Oesterreich ent-
schlossen sein soll, dem erbittertsten Feinde Preußens, Herrn
v. Beust, die Leitung seiner auswärtigen Politik zu übertragen,
wo also grade in Sachsen doppelte Vorsicht geboten wäre! —

Die Nmwiilzungen in Deutschland und das Genossen-
schaftswesen.^
I- Als die Träger der deutschen Genossenschaftsbewegung
unlängst zu ihrer Jahresversammlung in Kassel erschienen,
hatten sie alle Ursache, sich der in Deutschland eingetretenen
großen Umgestaltung der Dinge zu freuen. Die Ergebnisse
des Krieges haben ihnen ihr segensreiches Werk in verschie-
denen Beziehungen wesentlich erleichtert. Schon, daß sie über-
haupt in Kassel tagen konnten, einem so bequem gelegenen, so
mannigfach anziehenden und auf ihren Empfang ganz einge-
richteten Orte, verdanken sie den Ereignissen,.welche den letzten
Kurfürsten genöthigt haben, vom Thron seiner Väter herunter-
zusteigen. Damit aber erlangten sie die Gelegenheit, die Wir-
kungen ihrer nothwendig und erfahrungsmäßig belebenden
Nähe auf den im Genossenschaftswesen noch am meisten zurück-
gebliebenen Therl des Vaterlandes zu richten. Der Nordwesten
ist nicht etwa von Natur weniger geeignet, dem wissenschaft-
lichen Samen der Bolksbanken, Consumvereine u. i. f. frucht-
baren Boden darzubieten, als andere deutsche Länderstriche.
Es hat ihm auch keineswegs an entgegenkommendem Verständ-
nis; für die von Delitzsch ausgegangene einfache und doch so
wohlthätigc Lehre gefehlt. Während der ersten Jahre der Be-
wegung war, nächst ihrer Wiege, der preußischen Provinz
Sachsen, kein Land oder Landestheil so fruchtbar an Genossen-
schaften, als das Königreich Hannover. Aber dann kam über
die fröhlich aufsprießendc Saat der Mehlthau, der sie ver-
giftete. Graf Borries, der damalige Minister des Innern,
wurde durch einen in der Residenzstadt entstehenden Herein
darauf aufmerksam gemacht, daß dies am Ende Wohl gar eine
günstige Gelegenheit für seine liberalen Gegner sei, ihren Ein-
fluß im Volke zu erweitern, oder mindestens doch eine Art
Ersatz für den Spielraum, den der Staatsstreich von 1855,
sammt der daran sich schließenden strammen Praxis ihrer
eigentlich politischen Wirksamkeit entzogen hatte, — und mit
geübtem Scharfblicke entdeckte er auch alsbald die Gesetzbestim-
mung, welche ihm, mit Hülfe einer neuen Auslegung, hinrei-
chende Mittel an die Hand gab, dem umsichgreifenden Ver-
derben Einhalt zu thun. Sämmtliche Vorschußvereine des
Landes wurden belehrt, daß sie concessionspflichtig, nur miß-
bräuchlicher Weise von dieser Pflicht bisher entbunden, und sofort
um Concession einzukommen gehalten seien. Der in Hannover ent-
standene Verein, dessen Gründer dem Grafen Borries so übel
gefielen, wurde kurzweg unterdrückt. Die übrigen mußten sich,
ohne anders als inwendig widersprechen zu können, sagen
lassen, daß die von Schuize-Delitzsch herrührenden Statuten
eigentlich das Werk eines Pfuschers seien, die (nur in Neben-
sachen abweichenden) eines gewissen Herrn Halbbaucr in Mei-
ßen schon viel besser, am besten aber und unbedingt annehm-
bar, die des Referenten im Ministerium des Innern — man

weiß leider nicht genau mehr, ob des Regierungsrathes Nie-
meyer oder des Regierungsrathes Schow. Demgemäß wurde
dann dieses im Treibhaus der politischen Polizei gezogene Reis
mehr oder minder gewaltsam auf die gesunden Stämme des
freiwachsenden Genossenschaftswesens gepfropft. Als später
der allgemeine Verband der deutschen Genossenschaften ge-
gründet wurde, nnd Schulze-Delitzsch dessen Anwaltschaft über-
nahm, konnte den hannoverschen Vereinen natürlich nicht er-
laubt werden, sich anzuschlicßen, so wenig wie in Brasilien
oder Euba ein Herr seinen Sklaven in einen Club freier
Männer eintreten lassen kann; die Verbindung ist eben auf
die Voraussetzung begründet, daß jeder Theilnehmer mündig
sei und sich selbst bestimme. Dieses beispiellose Verbot ist aber
eben so wenig wie die Conccsstonspflicht nebst den darauf ge-
stützten Zwangöstatuten mit dem Grafen Borries gestürzt;
seine sogenannten liberalen Nachfolger, die Herren Windthorst,
v. Hammerstein, Lichtenberg und Erxleben haben die schwere
Verantwortlichkeit ihres Fortbestandes auf sich geladen, wie
so manche andere Schuld, nicht sowohl aus bösem Willen, als
aus Schwäche, Trägheit und Feigheit, aus sträflicher Scheu,
ihr Pflichtbewußtsein gegen die Launen eines Souveräns in
die Wagschale zu werfen, oder aus unerlaubter Unterschätzung
des den Genossenschaften und ihrer freien Entwickelung bei-
zumessenden öffentlichen Werthes, fließend aus Unkcnntniß und
eitler Vornehmheit.
Indem aus diese Art das Land Hannover dem befruch-
tenden Strome der Genossenschaftsbewegung so gut wie ver-
schlossen und nur kümmerliche und ungesund isolirte Exemplare
der edlen Pflanze innerhalb seiner Grenzen geduldet wurden,
sperrte man den ganzen Nordwesten von einem lebendigen Zu-
sammenhang mit der Entwicklung ab. Bremen und Olden-
burg kounten nicht leicht, über den breiten Leib des Nachbar-
landes hinweg, der Anwaltschaft und dem allgemeinen deutschen
Verbände die Hand reichen; sic konnten wenigstens keinen
eigenen Nnterverband stiften, und so die heilsamen Wirkungen
des Verkehrs mit Ihresgleichen vervielfältigen. Diesen Bann
hat die Einverleibung Hannovers in Preußen auf der Stelle
hinweggenommen. Dem Anschluß an die gemeinsamen natio-
nalen Institutionen, wie Anwaltschaft und Gesammtverband,
steht nicht länger etwas im Wege; der Unterverband für den
niedersächsischen Nvrdwesten kann alsbald gebildet werden; und
sobald an die Stelle der schlechten hannoverischen Gewerbe-
ordnung das immerhin doch weit bessere preußische Gewerbe-
recht getreten sein wird,'kann auch der ärgste bureaukratische
Schlendrian die einzelnen hannoverschen Vorschußvereine nicht
länger an polizeiliche Genehmigung gebunden halten.
Aber mehr. Die Nachfolger der sogenannten liberalen Mini-
ster, Bacmeister an der Spitze, hatten der Stäudcversammlung
einen eigenen Genoffenschaftsgesetzentwurf vorgclegt, der noch
etwas wenigcr'werth war, als der der preußischen Regierung; und
es bestand alle Aussicht, daß derselbe, nur dürftig verbessert, Ge-
setzeskraft erlangen werde. Damit wäre der Anfang gemacht wor-
den zu einer Buntscheckigkcit des Genossenschaftsrechts, die der Ein-
heit der dasselbe fördernden volksthnmlichen Bewegung schlecht
entsprochen und wahrscheinlich nur die Fehler vervielfältigt hätte.
Es ist daher erwünscht, daß die neulichen Einverleibungen
diesem ungesunden gesetzgeberischen Drange Einhalt thun. Ist
es nicht zu erre chen, daß der Reichstag das Genossenschafts-
wesen unter seine Fittige nimmt, so thun die kleineren Staaten
in jeder Hinsicht am besten, wenn sie das demnächst in Preu-
ßen zu erwartende Gesetz einfach annchmen. Für dieses aber
haben sich die Aussichten durch die veränderte politische Lage
doch auch wohl wesentlich geklärt. In der Stellung, die das
qreußischc Ministerium als ein Ganzes nach den Leistungen
dieses Sommers einnimmt, sollte es dem Grafen Jtzenplitz
nicht viel kosten, zu erklären, daß er die Lorbeeren des Gesetz-
gebers auf dem Gebiet des Genossenschaftsrechts Schulze-
Delitzsch und dessen Mitarbeitern überlasse. Zieht der Mini-
ster aber seinen Entwurf zurück und acceptirt er denjenigen der
Commission des Abgeordnetenhauses, so ist die Renitenz des
Herrenhauses kaum zu fürchten. Nöthigenfalls könnte man cs
zähmen mit der Drohung, die Angelegenheit dem norddeutschen
 
Annotationen