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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 5
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Rüttenauer, Benno: Paul Heyse
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0187

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aul Heyse f.

Wenn ein Kronprinz den Ehrgeiz hat, sich zu
seinen vielen glänzenden Prädikaten auch noch
das eines Schriftstellers zu errverben, so sollen gerade
wir Berufsschriftsteller, auch wenn sein Talent nicht
ganz so eminent ist wie sein Rang, darüber am wenigsten
spötteln, sondern sollen in Dankbarkeit sein Trachten
als eine, wenn auch vielleicht garnicht gewollte Ehrung
unseres Standes empfinden. Oder sollte ich unrecht
haben? Und wenn die repräsentativen Vertreter des
Volkes oder Spitzen der Behörde, wie man auch sagt,
vom Kaiser und Kanzler bis zum Bürgermeister und
Stadtverordneten nebst vielen andern vornehmen Herr-
schaften sich bei der Leichenfeier eines Dichters ver-
treten lafsen, wobei dann im Namen aller möglichen
Körperschaften Kränze niedergelegt und Reden gehalten
werden (nur gerade nicht im Namen der deutschen
Schriftsteller): so mögen diese sich doch ehrlich freuen;
denn alle dabei erwiesenen Ehren wird in Wahrheit
ihnen erwiesen und weit entfernt von jeglichem kläg-
lichen Neid sollten sie Gott danken, daß die in solchen
Dingen etwas trägblütige Nation doch alle hundert
Jahre einmal Einen entdeckt, der sich dazu eignet, alles
das, was man den andern an Ehrung schuldig geblieben
ist, und seien wir ehrlich, naturgemäß schuldig bleiben
muß, mir Anstand auf sich zu nehmen und so den Schulden-
bock abzugeben, der zu den eigenen auch die Guthaben
der anderen zu ihren Gunsten einkassiert. Nun mag
sich wohl der oder jener in seinem verborgensten Herz-
kämmerlein für eine solche Rolle — die ihm nur leider
niemand zumutet — für ebenso oder besser geeignet
halten; dieser soll sich aber sehr prüfen, ob er sich nicht
in einem bedauerlichen Jrrtum befindet, denn sehr
Vieles und sehr Verschiedenartiges muß zusammen-
treffen, um diese Rolle zu ermöglichen, und selten
werden sich die gedachten Erfordernisse so gtücklich ver-
einigt finden wie bei — bürgerlich gesprochen — dem
Glückskind Paul Heyse.

Ganz selbstverständlich — oder ist es nicht selbst-
verständlich? — sind diese Erfordernisse nicht alle künst-
lerischer Natur. Aunächst gehören dazu achtzig Jahre.
Sie werden nicht jedem geschenkt. Dann wird erfordert
eine korrekte bürgerliche Existenz in Verbindung mit
gesellschaftlichem Rang, anders gesagt ein gewisser Grad
von äußerlich sichtbarer Vornehmheit. Nicht jeder ist
darauf kapriziert. Und die Hauptbedingung — diesmal
künstlerischer Natur — ist damit zwar noch nicht genannt,
aber doch angedeutet, nämlich Korrektheit und Sauber-
keit des Werks; sie ist wenigstens in unserem Sinn dien-
licher als Genialität. Es gab in der Aeit, die hier allein
in Frage kommt, den oder jenen heimlichen Kaiser, so
was wird immer nur mit vielem Sträuben anerkannt;
wer aber wie Paul Heyse sehr früh als prünus luter
pares wirkt, dem fallen leicht alle Herzen zu, und man
stellt ihn hoch, gerade weil er von selber wohl einiger-
maßen aber nichl allzusehr über unser Gesicht emporragt,
besonders aber, wenn sein Werk jene Korrektheit aufweist,
die durch Uberlieferung schon geheiligt ist, ja welche Vielen
als schönstes Ziel früherer Bestrebungen gelten mag.

Aber natürlich eine Korrektheit und Sauberkeit muß
es sein, die den Volksgenossen der höheren Kulturstufe

imponiert, oder wenigstens einmal sehr imponiert hat,
und diesen Ruhm wird dem jüngern und mittlern Heyse
niemand ableugnen.

Und zwar wird man, wie ich es früher an dieser
Stelle schon gesagt habe, sein wirksamstes Verdienst
in seiner Meisterschaft der metrischen Sprachbehandlung
zu suchen haben. Ja ich glaube fast, daß dies seine
eigene Meinung war.

Ganz nach romanischer Auffassung hat er wohl im
geheimsten Jnnern die Dichterwürde nur dem Be-
herrscher der gebundenen Form zuerkannt, und hat
gewiß seinen Novellen in Versen eine ganz absolut
höhere Bedeutung beigelegt als seinen Prosa-Erzählun-
gen. Dieser nach deutschem Gefühl bis zur Überschätzung
gehenden Hochschatzung der metrischen Form entsprach
seine Begabung dafür.

Nicht als ob er in seinen metrischen Werken ewige,
oder sagen wir menschlicher, bleibende Werte geschaffen
hätte. In diesem Sinn läßt sich sogar von seinen Prosa-
schöpfungen Günstigeres sagen. Aber er war im Vers,
als Form genommen, ein wirklicher Meister, und wenn
auch nicht die Werke an sich, so wird doch die erzieherische
Wirkung, die davon ausging, für immer unverloren
bleiben. Es gab eine Aeit, wo Heyse die sormalen
Forderungen, die man an den Vers stellen darf, in
einem Grad erfüllte, wie kaum ein deutscher Dichter
vor ihm. Keiner, vielleicht Platen ausgenommen, aber
gewiß nicht Goethe, hat es mit den Gesetzen des Wohl-
lauts so ernst genommen, was wohl nichts anderes
heißen will als: Keiner hatte dafür ein so feines und
kultiviertes Ohr. Besonders die Formen, die wir aus
der Fremde genommen haben, die antiken und roma-
nischen, hat Heyse zu einer Vollkommenheit gebracht,
die man vor ihm nicht geahnt hätte. Unter seiner Meister-
hand bekamen so schwierige und fremdartige Gebilde
wie etwa das Distichon oder die Terzine eine Geschmei-
digleit, die erstaunlich war. Und das ist charakteristisch
für Heyse, daß er diesen widerstrebendsten Formen,
die soviel Kunst verlangen, vor den einfachern und
unserm deutschen Gefühl natürlicheren rhythmischen Ge-
bilden so auffallend den Vorzug gab. Es reizte ihn
eben in erster Linie die spielende und elegante Uber-
wältigung formaler Schwierigkeiten. Und kan» man da
nicht sagen, er ging bewußt von dem aus, was beim Dichter
(wie wir ihn verstehen) des Bewußlseins Letztes ist?

Mit dieser Veranlagung aber wurde Heyse zwar
nicht wesentlich ein Mehrer des Reiches (der deutschen
Sprache und Mchtung), aber ein pietätvoller Bewahrer
und Erhalter eines überkommenen Schatzes, ein Hüter
des Heiligtums vor Barbarenhänden, ein Wächter vor
allem der guten Sitten und des geheiligten Herkommens
im Tempeldienst. Jn diesem Sinn ist die deutsche
Kultur ihm zu Dank verpflichtet. Auch gewisse Dichter
von heute, deren kalte Pracht im Licht des Tages keinen
geringeren Glanz um sich verbreitet, und die es am
wenigsten Wort haben wollen, verdanken ihm mehr als
gemeinhin zu betonen beliebt ist.

Was wir Deutschen jedoch — vielleicht im Gegensatz
zu den Romanen, vielleicht, ich weiß nicht genau — das
eigentlich Dichterische nennen, ist in Heyses Versen und
nicht weniger in seinen Prosa-Dichtungen eine nicht
sehr starke Seite.
 
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