Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Antiquitäten-Zeitung — 2.1864

Citation link: 
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/antiquitaeten_zeitung1894/0109
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
— — —

Berbiükgte


und Alterthumskunde.

— —



Auflage 3000.



Abonuement:
Deutſchland u. Oeſterreich A 2.50
viertelfährlich, Ausland M S. .

YNr. 14.

Stuttgart, 1. April 1894,

Erſcheint wöchentlich.)

Anzeigen:
Die Nonpareillezeile oder deren
Raum 20 Pfennig.

2. Jahrgaug.


Die Bezugsbedingungen ſind auf der letzten
Seite in jeder Nummer abgedructt. Erfuͤllungsort für
die Lieferung und für die Zahlung: Stuttgart.

Der Mäuſethurm bei Bingen
am Rhein.

Üuterhalb der Stadt Bingen erhebt ſich aus den
braufenden Waſſern des Rheinſtroms ein altersgrauer
Thurm. Mäuſethurm wird er genannt, und an ſein
Gemäuer Inüpft ſich eine alte Sage, die auf einer dem
Vainzer Erzbiſchof Hatto II., der zur Zeit des Kaiſers
Otto des Großen (936—9783) lebte, angedichteten Grau-
ſamkeit beruht. Dieſe Ueberlieferung iſt aber nichts
weiter als eine Erfindung des zum Märchenglauben ge-
neigten Mittelalters, denn die alten Urkunden berichten
uns daß genannter Erzbiſchof Hatto ein menſchen-
frenndlicher und würdiger Geiſtlicher geweſen, den der
* ſinr hoch ſchätzte und deßhaͤlb immer um ſich ge-
habt hat.

Die Sage ſelbſt ſei hier in der Weiſe eines mittel-
alterlichen Volksliedes, das ſich bis auf unſere Tage er-
halten hat, mitgetheilt.

(Nachdruck verboten.)

Fürwahr es iſt kein Zweifel dran,

Daß die Maus gar wohl ſchwimmen kann.
Denn als Hatto, Biſchof zu Menz [Mainz],
Das Korn jammelt in ſeiner Grenz,

Und arme Leut kamen gelaufen,

Um für ihr Geld ihm Korn abzukaufen,
Verſperrt er die in einer Scheu’r

Un ließ ſie verbrennen im Feur.

Als aber die gefangenen Mann

Ihr Jammergeſchrei fingen an,

Lacht der Biſchöf von Herzensgrund,

Sprach mit jeinem gottlojen Mund:

Wie ſchön können die Kornmäus fingen;

Kommt, tommt, ich mil Euch mehr Korn bringen!“
Von Stund an ſah er AWbentewr,

Die Mäus liefen zu ihm vom Feuwr

So häufig, daß Niemand konnt' wehren,

Sie wollten ihn lebend verzehren.

Darum baut er mitten im Rhein
Einen hohen Thurm von rothem Stein,
Den Euer viel haben geſehen

Darauf den Mäuſen zu entgehen.

Aber es war verlorine Sach,

Sie ſchwummen ihm mit Haufen nach,
Stiegen muthig den Thurm hinauf,
Fraßen ihn ungebraten auf.“

Um dieſe Neberlieferung nach ihrem vollen Werth
beurtheilen zu können, ſei Folgendes mitgetheilt:

Hatto II. war, bevor er Erzbiſchof zu Mainz wurde,
Abt zu Fulda; dort regierte er nicht allein zwölf Kahre
lang ſehr löblich, ſondern er ſtand auch in großem An-
ſehen bei Kaiſer Otto dem Großen, dem er durch ſeine
Aeisheit faſt unentbehrlich geworden war; auf allen
Reiſen des Kaiſers waͤr er deſſen Begleiter, So ging
er mit ihm auf den Reichstag zu Regensburg und dann
im Jahre 961 auf jenen beruͤhmten zu Worm8, wo der

Kaiſer ſeinen Sohn Otto mit Zuftinumung- der Reichs-
ſtände zum Nachfolger im Reiche erklärte. Hatto wohnte
hierauf im folgenden Jahr der Kaijerfrönung in Aachen
bei und wurde als Keichsmarſchall nach Italien ge-
ſchickt, um dort die Zubercitungen zum kaiſerlichen Hoͤf—
lager zu beſtellen. Bei der darauf erfolgten Krönung

Mäuſethurm.


in Mailand und Kaiſerkrönung zu Rom war Hatto
ebenfalls gegenwärtig und unterzeichnete nebſt auͤdern
Vornehmen des Reiches jene merkwuͤrdige Urkunde, in
welcher der Kaiſer dem Papſte Johann XII die Erb-
ſchaft des heiligen Petrus beſtäligte. Im Zaͤhre 965
kam Hatto mit dem Kaiſer aus Italien zuͤruͤck, war

abor noch kein Jahr in ſeinen Aloſter als er abermels
mit dem Kaiſer und deſſen Sohn, dem römiſchen Könige,
nach Rom reiſen mußte. Von letzterem nicht weniger
geehrt und geliebt, als von dem Vater ſelbſt, erhielt
er von demſelhen den glänzendſten Beweis feiner Ach-
tung und die Belohnung für ſeine treuen Dienſte. Denn
als im Jahr 968 der Erzbiſchof Wilhelu von Mainz,
ebenfalls ein Sohn Otto's des SGroßen, geſtorben war,
erhielt Hatto durch Verwendung des Königs Otto II.
die erzbiſchöfliche Würde zu Mainz, welche er jedoch
keine zwei Jahre bekleidete! Sr ſtarb im Jahrẽ 970
eines ſanften Todes und wurde zu Mainz in der Alba-
nuskirche begraben.

Ebenſo wie das Leben dieſes Mannes, das doch
wahrlich fern von gemeiner Grauſamkeit war, enthält
die Geſchichte des Mäuſethurms ſelbſt, wie ſie ſich aus
Vergleichungen und alten Nachrichten ergibt, eine Wider-
legung der Mäuſethurmiſage.

Der Mäuſe⸗ oder Mausthurm war ſeiner ur-
ſprünglichen Beſtimmung nach nichts anders als ein
zur Sicherheit und Beſchützung der Kheinfahrt und zur
Durchſuchung der vorbeifaͤhrenden Schiffe (wegen des
Zolls) angelegter und ſpäter mit Mujerie, d. H. mit
Leſchůtz verſehener Mujethurm. In der gothiſchen
Sprache wird unter dem Mort Mus, Muſa ein Har-
niſch verſtanden, die Deutſchen erweiterten den Begriff
noch, daher z. B. Muſemeiſter ſo viel als Aufſeher des
Geſchützes bedeutet.

Was die Zeit der Erbauung des Mäuſethurms
betrifft, ſo haben Einige, weil e& mit Hatto II doch
nicht mehr recht gehen wollte, dieſe beim Erzbiſchof
Willigis, dem zweiten Nachfolger Hatto's geſucht, der
in den Jahren von I75—1011 regierte.” Allein auch
damals iſt noch nicht an dieſen Thuͤrm gedacht worden.
Er iſt vielmehr wahrſcheinlich ein Werk des 13. Jahr-
hunderts und mit dem Schloſſe Ehrenfels, welches von
dem Rheingauer Sitzthum Philipp II von Bolanden
auf Koſten des Erzbisthums Mainz erbaut wurde, ganz
gleichzeitig, mithin um s Jahr 1219 entſtanden! Schon
die bloße Vergleichung der Bauart, beſonders der an
dem Thurm beſindlichen Zierathen mit jenen des gegen-
überſtehenden Schloſſes Ehrenfels, müßte jeden mit der
alten Baukunſt nur einigermaken Vertrauten überzeugen,
daß beide Gebäude zu gleicher Zeit, vielleicht von ein
und demſelben Meiſter ihr Daſein erhalten haben und
keinerlei Merkmal der Baͤukunſt des 10. Jahrhunderts
an ſich tragen. Der Mäuſethurm ward ſtets als eine
Vormauer von Ehrenſels betraͤchtet, daher derſelbe auch
gewöhnlich, beſonders in Kriegoͤzeiten, mit Mannſchaft
und Geſchütz beſetzt und verſehen war. Sein Schick-
ſal ward auch ſtets an das jenes Schloſſes gekeltet;
ſobald dieſes in Verfall fam, ging es dem Thurme
nicht beſſer.

Limesforſchung.

Ueber den Fortgang der Limesforſchung berich-
ten die Stredenkommifjare Baumeiſter Jacobi-Homs
burg, Profeſſor Löſchke Bonn, Rentner Kofler-Darm-
ſtadt, Profeffor Wolff-Frankfurt a. M., Dr. Karl

4
 
Annotationen