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Antiquitäten-Zeitung — 2.1864

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Verbürgte



—S —— —⏑⏑—⏑⏑— —

HL

Verbürgte

Auflage 3000.


Abonuement:
Deutſchland u. Oeſterreich A 2.50
vierteljährlich, Ausland M 3. .

Nr. IS.

Stuttgart, 2. Mai 1894.

Erſcheint wöchentlich.)

Auzeigen:
Die Nonpareilezeile oder deren
Raum 20 Pfennig.

2. Jahrgang.


Seite in jeder Nummer abgedruckt, Erfullungsort für
die Lieferung und für die Zahlung: Stuttgart.

Der Tag des Glücks.

Hiſtoriſche Novellette
von
Eduard Braunfels.


MNachdruck verboten.)

Nach den großen Umwälzungen der Julitage von
1830, die den Thron Karls X, zertrümmert und Louis
Philipp von Orleans plötzlich auf den Gipfel der Macht


gewöhnten Pa-
riſer raſch wie-
der auf. Man
hatte Vertrauen
auf die neue
Ordnung der
Dinge, erhoffte
ein Aufblühen
des Handels und
der Induſtrie
und ſang das
Lob des Bür-
gerkönigs? in
allen Tonarten.

Ueberall ſah
man daher faſt
nur vergnügte
Sefichter hoff-
nungsfreudiger
Menſchen, uur
ſelten ein ernſtes
oder düſteres.
Dennoch gab es auch deren noch immer genug in dem
großen Paris, ja es ereignete ſich in der Rue dır Bac
der ſeltſame Fall, daß mitten in der allgemeinen freu-
digen Stimmung ein bisher immer heiterer junger
Mann, der Beſitzer eines zwar kleinen, aber immerhin
gut ſituixten Hutgeſchäftes, plötzlich tief melancholiſch
wurde. Warum pfeift er nicht mehr ſein munteres
Liedchen, warum grüßt er nicht mehr vergnügt zu unZ
herüber, fragten die mehr neugierigen als theilnehmen-
den Nachbarn und blickten zu dem Laden Hinüber, über
dem in großen Buchitaben: „Claude Lard, Chapelier“
ſtand und in deſſen Schaufenſtern alle Sorten von
ſchmucken Hüten prankten. Aber die Antwort blieb vor-
läufig au38, denn der Kummer des jungen Claude war
noch in ein tiefes Geheimniß gehüllt; freilich nur für
die Leute da draußen; er jelbit war ja vollſtändig im
Reinen, ihn plagten nicht die geringſten Zweifel über
jeine Lage mit entſetzlicher Klarheit ſtand es bei ihm
feſt: es iſt aus mit Deinen Hoffnungen, mit Deinen
jüßejten Träumen. Da haſt Du Dich nun geplagt Tag
und Nacht, haſt endlich unter Aufopferung aler übrigen

Lebensfreuden Dir ein kleines hübſches Geſchäftchen in
Gang gebracht, dachteſt nnn ür algemeinen guͤbel Dir
den Preis zu erringen — und mußteft {tatt deſſen mit
den bitterſten Enttäuſchungen wieder hHeimkehren. Daß
der alte George Herjage, ein auf feine Wohlhabenheit
ſehr ſtolzer und bisweilen auch fehr hHochfahrender Yros
prietaire war — er hatte ſich in feinen jungen Jahren
eben auch alles mit ſeiner Häude Arbeit verdient —
das hatte er wohl ſchon längft gewußt, und auf einen
gewiſſen Widerſtand hatte er ſich auͤch gefaßt gemacht,
wenn er kecklich vor den Alten hintreten und um die
Hand ſeiner liebreizenden Tochter Juliette bitten würde,
daß er aber eine ſolche, für alle Zeit abſchlaͤgige Ant-
wort erhalten würde, das hatte er nicht gedacht, und
darum kam er ſich wie vernichtet, wie zerſchmettert vor
Mit aller Lebensfreude wax es nun bei ihm vorbei,
denn wie konnte er ſich ein Leben denken ohne die holdẽ
Juliette, die ſein ganzes Denken erfüllte! Sie Hatte ihn
zum Glücklichſten der Sterblichen gemacht, als fie ihn
thränenfeuchten Auges ihre kleine weiße Hand gereicht
— am erſten Pfingſtfeiertage Nachmittags in einem
ſchattigen Seitenwege des Paͤrks von Verfailles wäh-
rend der Vater vorn an einer Bude ein Glas Limonade
mit Eis getrunken — und er haͤtte ihr ſchuell einen
heißen Kuß auf die roſigen Lippen gedrückt, den erften
Kuß der innigſten Liebe, der ihre Herzen auf ewig ber-
band und der nun auch für immer der letzte ſein ſollte!

Aber auch den Nachbarn blieb dieſe Urfache ſeines
Kummers, ohgleich kein Wort dapon über feinẽ Lippen
kam, doch nicht aͤllzulange ein Geheimniß! Die aͤlte
Magd Monſienr Herjage’3, die Rofine, hatte den Herrn
Claude Lard fommen ſehen und ſofort, nachdem er in
die Wohnung eingetreten war, ihr Ohr an das Schlüſſel-
loch gelegt. Die ganze Bewerbung und den Wortwechſel,
der darauf gefolgt, hatte ſie auf's Genaueſte vernominen
und darauf unter dem Siegel der Verſchwiegenheit einer
alten Freundin erzählt. Dieſe hatte die intereffante
Neuigkeit wieder sub rosa einer Tante mitgetheilt und
durch dieſe hatte es nach und nach die ganze Rue du
Bac erfahren. Ganz genau wußte man nach einigen
Tagen, daß der alte Herr George im höchſten Graͤde
indignirt über die Werbuͤng geweſen, daß er dem Herrn
Claude vorgeworfen, er ſei ja nicht einmal ein geborener
Pariſer, ſondern ein aus der Bretagne Eingewanderter,
man wiſſe ja nicht einmal, weß Leute Kind er ſei; er
könne ſeine Tochter nur in eine anſtändige : Familie
geben, das ſei er ſchon ſeinem guten Namen ſchuldig.
Darauf hatte Herr Claude geantwortet, er ſtamnie aus
einer, wenn auch nicht wohlhabenden, ſo doch durchaus
achtbaren Familie, ſein Vatex ſei Sergeant unter dem
Laiſer Napoleon geweſen und bekleide jetzt eine kleine
Stelle beim Gericht in Morlais, Monſteur Herſage könne
ſich daher dort des Weiteren erkundigen und werde nur
Gutes hören. Alsdann aber hatte Herr George Herſage
weiter gemeint, er könne auch ſeine Tochter nicht in fo
geringe Verhältniſſe geben, was könne denn ein ſo kleiner
Hutmacher heutzutagẽ verdienen, wo die großen Geſchaͤfte
alle Kunden anzögen? Außerdem ſcheine Herr Claude
auch wenig Geſchick zu beᷣſitzen, durch geſchmaͤckvolle
Waare ſich in die Höhe zu bringen, er verliere ſich in

allerlet Kurioſitäten und Abſonderlichkeiten und habe
da zum Beiſpiel wieder ſo eine neue Axt von weiß-
grauen Filzhüten gemacht und in ſein Schaufenſter ge-
ſtellt, über die die Leute nur lachten. Los werde er
einen ſolchen Hut wohl ſein Lebtag nicht werden und
ſein Geſchäft fönne bei ſolchen Experimenten nur zurück-
gehen. Darauf habe der Herr Claude erſt einen Augen-
blick geſchwiegen, dann aber (es ſeien ihm dieſe Borwürfe
wohl gar zu ſehr an die Ehre gegangen, haͤtte die alte
Roſine gemeint) ſei doch ſchließlich der Zorn zum Durch-
bruch gekommen und er habe dem Herrn George rund
herausgeſagt, daß er eben nur ehrlich geſtehen ſolle, er
wolle nur einen reichen Schwiegerſohn und vergeſſe da-
hei, daß er doch auch ehedem ein armer Burſche gewefen.
Das habe nun aber der Herr George doch gewaltig
übelgenommen und das Ende vom Liede ſei dann ge-
weſen, daß man in bitterer Feindſchaft auseinanderge-
gangen.

So wurde im Allgemeinen die Geſchichte des armen
Claude erzählt.

Dieſer ſelbſt kümmerte ſich um das Geſchwätz der
Leute nicht im Gexringſten, die Liehe zu Iuliette faß
ihm viel zu tief im Herzen. Nachdem er den erften
bitteren Schmerz überwunden, ſuchte er ſeinen Kummer
in der anſtrengendſten Arbeit zu erſticken; bis ‚in die
ſpäte Nacht hinein war er in feiner Werkſtatt thätig;
daun überkam ihn aber wieder ein Gefühl unſäglicher
Oede, er warf die Werkzeuge in die Ecke und ging ruhe-
103 und düfter umher, oder ſtand ſtundenlang ſtärr vor
ſich hinblickend, in ſeinem Laden und war froh, wenn
ihn kein Käufer ſtörte.

In dieſer traurigen Gemüthsverfaſſung lehnte er
auch eines Vormittags an ſeinem Ladentiſche, als einer
ſeiner Lehrbuben zu ihm hereinſtürzte und rief:

„Der König kommt in einem Wagen die Rue dır
Bac herab, er war in der Militärſchule und wird uun
gleich vorüberfahren!“

Dieſes Geſchrei der Zungen weckte Claude ſo jäh
aus ſeinen Grübeleien, daß er unwillig verſetzte? Was
geht mich der König an!“ Schon im nächften Momente
hörte er aber bereits den königlichen Waͤgen heranrollen,
und nun wurde er doch neügicrig, zu ſehen, wie fich
wohl der ehemalige Herzog von Orleans als Beherrſcher
Frankreichs ausnehme, und trat in die offene Laden-
thüre, In demſelben Augenblick kam auch die Cquipage
daher, alle Leute ſchwenkten die Hüte und verſchiedene
Enthuſiaſten riefen: „Es lebe Ludwig Philipp!“ . Das
mochte aber die Pferde etwas ſcheu gemacht haben, fie
zogen erſchrocken etwas heftiger an, dabei ſchleuderte der
Wagen ein wenig und das eine Hinterraͤd glitt vom
Fahrdamm in den ziemlich tiefen Rinnftein, Gleich dar-
auf, juſt als ſich der Wagen vor der Thür des Lard'ſchen
Ladens befand, gab es einen. Krach und der Fond des
Wagens kippte nach dem Bürgerſteige hinüber.

Dies ſehen und zu Hülfe hinüberſpriugen, war bei
Claude eins/ er am aud) gerade im rechten Moment,
denn eben wollte der König einen für ihn gewiß nicht
unbedenklichen Sprung wagen; der gewandte Hutmacher
aber erfaßte ihn ſofort mit ſeinen kräftigen Armen und
hob ihn ſchnell, indem er ihm einen Schwung gab auf
 
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