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Antiquitäten-Zeitung — 2.1864

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n Zentral⸗Organfir Zammelweſen Sn
g : und Alterthume kunde. uflage 7
— Aedaille Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Udo Beckert in Stuttgart, Böblingerſtr. 2. Siuttgart 1894.
Yı ] Mbonnement : Stuttgart, 12. Oktober 1894, a Anzeigen ;
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Die Bezugsbedingungen ſind auf der letzten
Seite in jeder Nummer abgedruckt. — Exfüllungsort für
die Lieferung und für die Zahlung: Stuttgart.

Neue Urnenfunde im Magde-
burgiſchen.

Nachdem auf den von Plötzky nach Leitzkan und
Büden hin ſich erſtreckenden Feldmarken ſchon früher
rheim Pflügen einzelne Urnen zum Vorſchein ge-
kommen waren, hat man in neuerer Zeit dort
ganze Urnenfelder entdeckt. Theils frei im Boden
ſtehend, theils durch länglichẽ Steinplatten oder
durch runde Feldſteine angezeigt, erſcheinen dort
Urnen von ſehr verſchiedenen Formen (Topfform,
bauchige Form/ Kannenform, Flaſchenform u. ſ. w.)
von meiſt ſehr rohen Material, mit Deckeln oder
ſelbſtſtändigen, als Deckel dienenden Gefäßen ver-
ſehen, in unregelmäßigen Lagern, oft in großer
Zahl beiſammen, oft zerſtreut, zur Hälfte mit
Knöochen, zur Hälfte obenauf mit Erde oder Sand
angefüllt. Die Metallfunde aus dieſen Urnen
haden alle etwas Gemeinſchaftliches. Unter den
nur wenig angekohlten, mitunter blendend weißen
Knochenreſten finden ſich häufig Gegenſtände der
Kleinkunſt von Bronce und Eiſen: charakteriſtiſche
Fibeln (unſeren Sicherheitsnadeln entſprechend),
Schnallen, Gürtelhaken, Ringe, Spiralhaken, Ei-
ſennadeln mit Bronceköpfen am häufigſten aber
Ohrringe aus Bronce. Dieſe Gegenſtände ge-
hören einer Kultur an, in dex neben der Bronce
die Bearbeitung des Eiſens bereits eine gewiſſe
Vollendung erlangt hatte und nach dexen Verlauf
das Eiſen zum herrſchenden Material wurde, der
ſogenannten Ia Tene-Kultur. Es iſt dies die Zeit
von etwa 400 v. Chr. bis zum Beginne unſerer
Zeitrechnung, eine Zeit, in der die Kunſtfertigkeit
der Völker diesſeits der Alpen noch frei iſt von
römiſchem Weſen, wo ſie hingegen etruskiſchen und
namentlich keltiſchen Einfluß erkennen läßt.

Noͤrdlich von den angegebenen Orten im
Magdeburgiſchen erweitert ſich das Ia Toͤne⸗Gebiet,
wie fernere Ausgrabungen ergeben haben, und zwar
auf der Linie Hohenwarthe:-Schermen-Hohenjeeden. In
lüngſter Zeit hat man weſtlich von der Elbe bei Büift-
ringen, unweit Neuhaldensleben, ein Ia Tene:Feld ent-
deckt. In der Altmark (Arneburg) und vor aͤllem in
der Prignitz läßt ſich die Ia Toͤne⸗Spur weiter ver-
folgen.

In der genannten Kultur werden drei Perioden:
eine frühe, eine mittlere und eine ſpätere nach den
Fornien der Schwerter (Waffen ſind in den Ia Toͤne-
Urnenfeldern im Magdeburgiſchen bisher nicht gefunden
worden), und nach den Formen der Fibeln unterſchieden.
Auf Grund von einzelnen Funden aus den bei uns

ausgegrabenen Urnen (nicht jede Urne hatte Metallin-
halh das Alter der verſchiedenen Felder beftimmen zu
wollen, wäre gewagt; höchſtens könnte ſich aus Neben-
funden eine Uebergangsperiode zum römiſchen Zeitalter,
alſo die ſpäteſte Ia Toͤne⸗Zeit, mit Sicherheit beſtimmen
laſſen! Auf dem Leitzkauer Felde, das neben dem Bü-
den ſchen Felde viele eigenartige Verzierungen an den
Gegenſtänden, die dort gefunden ſind, aufweiſt, hat man
Broͤnce⸗ und Sijenfibelm mit umgebogenem , frei aus-
laufendem Fuße gefunden; dieſe Form der Gegen-
ſtände ſoll der frühen Ia Tene-⸗Periode angehören.
Von den Feldern bei Schermen und Hohenwarthe befibt
man Eiſenfibeln, bei denen ſich der umgebogene Fuß

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Cert Seite 334.)

mit dem Bügel bereinigt (mittlere Ia Tene⸗Periode),
und wiederum eine Art Knopffibel aus Eiſen (ganz
frühe Form). Aus Büden ſind mir zwei Paar gegoſ-
ſene Bronzearmbänder bekannt, die, ſogar noch an die
letzte Periode der Hallſtattzeit (Bronzezeit, 500 bis 400
v. Chr.) erinnernd, auf anderen Feldern in unſerer Ge-
gend niemals vorgekommen find. Ferner hat ſich die
dreieckige Form der Ohrringe bisher bei Leitzkau und
Plötzky nicht auffinden laſſen, während bei den Leitz-
kauer Ohrringen wieder eine ganz eigenartige Form
und MVerzierung der Vollohrringe hervorzuheben ift.
Dieſe Unterſchiede beweiſen jedoch, wie gejagt, nichts.
Nun auch ein Beiſpiel von Feldern, deren Alter mit

Sicherheit beſtimmt worden iſt! Am Pietzpuhler Wege
bei Schermen war es, wo ich mitten zwiſchen Ia Tene-
Urnen ein Gefäß mit Stempelverzierung (die Verzierung
iſt mittelſt Stempels in den Thon eingedrückt, alfo nicht
mehr mit dem Finger oder dem Fingernagel eingekerbt
oder auf ſonſtigẽ Weiſe Hergeftellt) mit entſchieden römi-
ſchem Inhalt (eine Laͤnzenſpitze, zwei Fibeln mit Rollen,
ein rundes Meſſer, Jämmtliche Gegenſtaͤnde von Eiſen)
ausgegraben habe! Hier iſt alſo betreffs der dabei vor-
gefundenen Gefäße mit la Tene-Charakter eine Ueber-
zangsperiode zur roͤmiſchen Zeit, alſo die ſpäteſte Ia
Tone⸗Foriu, anzunehmen, wofür auch die in den dort
gefundenen Ia Tene-Urnen gemaͤchten Metallfunde Eiſen-
nadeln mit zierlichen Einkerbungen) ſprechen.

Allen Ia Tene-Urnen gemeinſam iſt ein Fund-
objekt, das, ſo unhedeutend es auch erſcheinen mag,
doch keineswegs überſehen werden darf, weil es
viele Verſchiedenheiten in Form und Verzierungs-
weiſe aufweiſt. Faſt in jeder dritten Urne, die auf
den oben bezeichneten Feldern zum Vorſchein Lonımt,
findet man die ſogenannten Ohrringe, d. ]. auf-
gerollte, dünne, getriebene Bronzebleche, meiſt von
länglich viereckiger Form (Länge 2—2,5 cm, Breite
etwa 1 cm) mit eingezogenen Seiten, hin und
wieder mit kleinen Löchern an den Räudern ver-
ſehen, unten breit, oben ſpitz und dort zugleich in
längere Haken auslaufend, auf die nicht ſelten blaue
Glas⸗ oder Thonperlen aufgeſchoben ſind. Solch
ein zierlicher Ohrring ijt, Schild und Haken, ganz
aus einem Stück Bronze gefertigt.

Woher ſtammt dieſe Kunſt? Mit der Ia Toͤne-
Zeit beginnt nach der Annahme der Forſcher der
erſte dalirbare Einfluß der klaſſiſchen Kultur auf
den Norden. Auf einem jener bekannten alten
Handelswege vom Süden nach dem Norden iſt die
Kleinkunſt eines bereits mitten in der Kultur
ſtehenden Volkes zu den Germanen gekömmen, die
an den Gegenſtänden Gefallen fanden. Unter ihnen
fanden ſich mit der Zeit, namentlich nachdem das
Bronzematerial unſeren Altvordern zugängig ge-
worden war, geſchickte Leute, die die Sache naͤch-
ahmten und ſelbſt arbeiten lernten. Dieſe lang-
ſame ſelbſtſtändige Entwicklung der Kunſtfertigkett
bei den Germanen, auf die wir auch auf Grund
anderer Funde ſchließen können (jo hat man in
beſtimmten deutſchen Landſtrichen eigenartige, dort
immer wiederkehrende Verzierungsweiſen an vor-
geſchichtlichen Gegenſtänden von größerer Bedeutung
mwahrgenommen, die bereits von eigenem Geſchmack der
älteften Bewohner dieſer Landſtriche Kenntniß geben),
dieſe langſame Entwicklung der Kunſtfertigkeit mag der
Grund dafür jein, daß die im urſprünglichen Herſtel-
lungsgebiete, im Süden, mit der Zeit bexeits „unmodern
gewordenen“ Gegenſtände, die früheren Formen, ſich im
Norden länger erhalten hHaben. Es darf mithin das
Erſcheinen von Gegenſtänden, die die Formen früherer
Verioden tragen, auf den verſchiedenen norddeutſchen
Feldern nicht ohne Weiteres als Zeichen einer älteren
Kultur der betreffenden Felder überhaupt angenommen

werden.
 
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