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Antiquitäten-Zeitung — 2.1864

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Verbürgte

Auflage 3000.


und Alterthumskunde.


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Verbürgte

Auflage 3000.


Abonnement:
Deutſchland u. Oeſterreich A 2.50
vierteljährlich,

Nr. 24.


Stuttgart, 13, Juni 1894,

Erſcheint mödentliq.)

Anzeigen :
Die Nonpareilezeile oder deren
Raum 20 Pfennig.

2. Jahrgang.

Die Bezugsbedingungen ſind auf der letzten
Seite in jeder Nummer abgedruckt. — Erfüllungsdrt für
die Lieferung und für die Zahlung: Stuttgart!

Zur Geſchichte des
Schachſpiels.

Nachdruck verboten).
— —

Das Schachſpiel war in Europa bis auf die Zeit
der Kreuzzüge unbekannt. Es iſt
ein morgenlaͤndiſches Spiel. Die
erſten abendländiſchen Schriftſteller,
welche deſſen erwaͤhnt haben, ſind
die Verfaſſer der Rittergeſchichten
von der Tafelrunde, und unter den
Griechen iſt die berühmte Prinzeſſin
Anna Komnena die erſte, die da-
von unter dem Namen Zatrikion
(von dem arabiſchen Worte Za-
dreng, d. h. hundert Sorgen) als
von einem Spiele ſpricht, das von
den Perſern zu den Griechen ge-
bracht worden ſei. Aber auch die
Perſer geſtehen, daß ſie nicht die
Erfinder desſelben ſind, ſondern es
erſt in den Zeiten des großen
Khosru, oder Kosroes, alſo gegen
die Mitte des 6. Jahrhunderts aus
Indien erhalten haben. Ungefähr
um dieſe Zeit, nämlich unter der
Regierung des Wu--ti, haben es
auch die Chineſen, laut ihres eigenen
Bekenntniſſes, von den Indiern er-
halten. Unter dieſen ſoll es zu
Anfange des fünften Jahrhunderts
unſerer Zeitrechnung ein Bramine,
Namens Naſſir, Daher's Sohn, er-
funden haben, um einen damaligen
jungen und mächtigen König von
Indien, Namens Beüb oder Beh-
ran, der in den ſo gewöhnlichen
Fehler, von ſich ſelbſt zu groß und
von Andern zu gering zu denken,
gefallen war, mit guter Art von der Wahrheit zu über-
zeugen: daß ein König matt werden muß, ſobald er
von ſeinen Unterthanen verlaſſen wird, oder keine mehr
hät. Hundert andere wackere Leute, Rajas und Braͤ—
minen, hatten dies dem jungen Fürſten geradezu ge-
ſagt: aber er hatte es auch ſo übel genommen, daß alle
die guten Leute, die es gewagt, ſeine thranniſche Re-
gierung zu mißbilligen, und ihm dagegen Vorſtellungen
zu thun, ihre Freiniüthigkeit mit dem Leben hatten be-
zahlen müſſen! Die naͤtürlichen Folgen einer ſolchen
Art, zu verfahren, blieben nicht lange aus. Die unter-
drückten Völker gaben bereits durch gefährliche Zeichen

zinabaren Fürſten kehrten ſches Anſtalten vor, ſich dieſen
Umſtand zu Nutze zu machen, — als Naſſtr, der Sohn
Dahexls — die Araber nennen ihn Siſſa — gerührt von
dem Elend, worunter ſein Vaterland ſeufzie, und von
dem noch größern, als ihm bevorſtand, auf den Gedanken
kam, ſeinem König über die unglücklichen Folgen, welche
ſein Betragen unfehlbar nach ſich ziehen würden, die
Augen zu öffnen. Aber die Beiſpiele ſeiner Vorgänger
belehrten ihn, daß ſeine Lektion auf keine andere Weiſe
von gutem Erfolg ſein würde, als wenn der Fürſt ſich
ſolche ſelbſt zu geben, und nicht, ſie von einem andern zu

zu erkennen, daß ihre Geduld erſchoͤpft war, und die

empfangen, glauben würde. Zu dieſem Ende erſann
er das Königſpiel: wo der Schach oder König, wiewohl

Todtenbaum.


der wichtigſte unter allen Steinen, und der, zu deſſen
Beſchützung alle übrigen da ſind, zum Angriff weder ge-
ſchickt iſt, noch ſich ſelbſt gegen ſeine Feinde beſchützen
kann, wenn ſeine Unterthanen nicht das Beſte, und die
gemeinen Soldaten die wichtigſten Dienſte dabei thäten,
und eben deswegen auch auf alle mögliche Weiſe ge-
ſchont werden müſſen, weil der unzeitige Verluſt eines
Einzigen genug iſt, den Untergang des Königs nach ſich
zu ziehen oder zu beſchleunigen. — Das neue Spiel
wurde bald überall bekannt. Der König hörte davon
ſprechen, und bekam bald Luſt, es von dem Srfinder
ſelber zu erlernen. Der Bramine wurde nach Hof be-
rufen, und hatte, unter dem Vorwande, dem König die

Regeln des Spiels zu erklären, Gelegenheit genug, ihm
auf eine feine und ſeine Eitelkeit nicht beleidigende Art
alle die großen Wahrheiten beizubringen, die er aus
dem Munde der hofmeiſternden Rajas und Braminen
nicht hatte annehmen wollen. Kurz, der Fürſt, dem es
weder an Verſtand noch an Anlagen zu edlen Geſinn-
ungen fehlte, machte die Anwendung der Spiel⸗Lektionen
des Braminen Naſſir auf ſich ſelbſt, änderte ſein Be-
tragen, gewann die Herzen ſeiner Unterthanen wieder,
und wendete dadurch all’ das Unglück ab, das ſich über
ihn zuſammengezogen hatte.

So erzählen die arabiſchen Autoren die Geſchichte
der Erfindung des Schachſpiels; und man muß geſtehen,
wenn es auch nur ein Mährchen ſein
ſollte, ſo iſt es wenigſtens gut er-
funden, und die ganze Beſchaffenheit
dieſes edlen Spiels ftinımt auf das
Vollkommenſte mit dem Endzweck
überein, der dem Erfinder beigelegt
wird. — — Die Belohnung die
dem Braminen Naſſir oder Siſſa
von dem König von Indien für
dieſe ſchöne Erfindung zu Theil
ward erzählt Hyde in ſeinem Werke:
„de Ludis Orientalium,“ aus dem
Munde eines ungenannten Rabbi-
nen folgendermaßen: „Sohn Da-
her's“, fagte Behram zu ihm, „ich
erkenne, daß Du ein Mann biſt,
in welchem der Geiſt der Wahrheit
wohnt; begehre nun frei, was ich
Dir geben foll, es ſei ſo tief oder
ſo hoch Du willſt, fordere bis zur
Hälfte meines Reiches; es ſoll Dir
werden.“ Siſſa, der Weiſe, beugte
ſich mit ſeinem Antlitz zur Erde,
und antwortete dem König: „Herr!
wenn ich Gnade finde in Deinen
Augen, ſo gewähre mir, was ich
von Dir bitten will. — Siehe, ich
habe die Tafel meines Spiels, die
hier vor Dir liegt, in 64 Felder
abgetheilt. — So befiehl nun Dei-
nen Knechten, welche über Deine
Getreide⸗Häuſer geſetzt ſind, daß ſie
auf das erſte Feld legen Ein
Weizen⸗Korn, auf das andere Zwei,
auf das dritte Vier, und ſo immer auf das nächſtfol-
gende noch einmal ſo viel, als auf das vorhergehende,
bis zum letzten der 64 Felder; und der Herr, mein
König, laſſe dies meine Belohnung fein.“ Wie der
König das hörte, gerieth er in Zorn, und verachtete
den Braminen in ſeinem Herzen, ſprechend: „Du haſt
nicht gefordert wie ein weiſer Mann, ſondern wie ein
Thor. Meinſt Du etwa, daß ich nicht Macht genug
habe, Dir etwas Großes zu geben, daß Du etwaz ſo
Geringes von mir verlangft?“ Aber der Bramine blieb
dabei, daß ihm an der erbetenen Belohnung vollkommen
genüge, und ſetzte hinzu: wenn e& Sr. Hoheit ja zu
wenig dünke, ſo möchte er ihm doppelt ſo viel geben
 
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