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Antiquitäten-Zeitung — 2.1864

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Verbürgte

Auflage 3000.


l
E

l

1


und Alterthumskunde.


II

F7

1

UTTE




Abonuement:
vierteljährlich,

Nr. 35.


Stuttgart, 29. Auguſt 1894,

Erſcheint wöchentlich.)

Anzeigen:
Die Nonpareillezelle oder deren

*
Raum 20 Pfg., Auttionen 30 Pfg. 2 Jahrgans.

Die Bezugsbedingungen ſind auf der letzten
Seite in jeder Nummer. abgedruckt. — Erfüllungsort für
die Lieferung und für die Zahlung: Stuttgart.

— — —

Der Archävlvgen⸗Kougreß in
Sarajewo.

Die in Sarajewo tagende Verſammlung von Ar-
chäologen und Anthropologen hielt am 17. Auguſt ihre
erſte Sitzung ab. Der Landeschef, General der Kaval-
lerie Baron Appel, eröffnete die Sitzung mit einer kurzen
Anſprache. Den Vorſitz führte Geheimrath Virchow.
Als Gäſte, welche der Einladung der bosniſchtherzego-
winiſchen Landesregierung Folge leiſteten, nahnien an
der Konferenz theil: Praf Dr. Johannes Ranke (Mün-
chen), Prof Sabriel de Mortillet (Vari8), Hofrath Dr.
D, v. Benndorf (Wien), Dr. Munro (Edindourah),
Prof. Luigi, Kom. Pigorini (Rom), Dr. Albert Voß
GBerlin), Prof. Dr. Oskar Montelius (Stockholm), Prof.
Dr. Eugen Bormann (Wien), Prof. Dr. Joſef Hampel
Peſt) Salomon Reinach (Paxis), Dr. Verneau (Baris),
Dr. Ed. v. Fellendorf (Bern), Dr. Jakob Heierli (Zürich),
Kuſtos Joſef Szombathy (Wien), Dr. Anton Weißbach
(Sarajewo), Vizekonſul Pisko (SJanina) und Dr. Moritz
Hörnes (Wien), der als Schriftführer fungirt.

Die Fragen, welche die Gelehrtenverſammlung zuerſt
behandelte, beziehen ſich auf eine neolythiſche Station
bei Butmir, in der Naͤhe des Bades Hidze! Die Fund-
ſtelle, ein flach erhabener Hügel von etwa 10,000 Quad-
ratmeter Flächeninhalt, liegt im Hofraume der land-
wirthſchaftlichen Station von Butmir; vor zwei Jahren


die erſten Funde entdeckt und die Lokalität feitdem auf
Veranlaſſung des Landesmuſeums ausgegraben Die
bisher durchforſchte Fläche beträgt 2500 Quadratmete
und ergab über 12,000 Fundobjekte. Die unter

40—60 Zentimeter ſtarken Humus liegende Kulturſchicht
hat eine Mächtigkeit von 110—140 Zentimeter und iſt
in abwechſelnden Lagen dicht von neblythiſchen Gegen-
ſtänden durchſetzt. Wir finden hier in oſen Exem-
plaren Beile, Meſſer, Meißel, nd andere
Steingegenſtände in allen FabrifationS{tadie, vom rohen
Werkftück bis zur höchſten Bollendung, Ddie dieſen Er-
zeugniſſen einer Jahrtauſende alten Zibtliſation durch
Schliff und Politur ertheilt wurden. Daneben fanden
ſich alle zur Erzeugung dieſer Kunſterzeugniſſe erforder-
lichen Geräthe und Werkzeuge, ſowie bedeutende Vor-
räthe von unverarbeitetem Rohmaterial vor. Die Kno-
chenfunde ſind zum kleineren Theile Speiſereſte, zum
größeren aber Werkzeuge, die theils bei der Erzeugung
der Steingeräthe, theils bei der Herſtellung und Ver-
zierung von Thongefäßen verwendet werden. Als be-
ſonders merkwürdig ſind einige Thonidole hervorzuheben,
die eigenthümlich gebildete Köpfchen darſtellen und der
Ausfuͤhrung nach jünger zu ſein ſcheinen als die übrigen

Funde Intereſſant hei dieſen iſt die Schädelbildung:
die Stirn platt gedrückt, das Hinterhaubt nach dem
Nacken zurückgeſchoben. Der daͤdurch hervorgebrachte
Eindruck erinnert an ſemitiſchen Typus, was zu der
Annahme Anlaß gab, daß es phöniziſche Smportjtücke
jeien, noch mehr aber erinnert er an jene künſtlichen
Deformationen, die in einzelnen Fundorten Ungarnz
an Schädeln nachgewieſen werden und in Amerika unter
einzelnen Indianerſtänimen noch gegenwärtig künſtlich
herborgebracht werden.


Stelle Gelegenheit hatte die Situation zu ſtudiren und
dabei einzelne abweichende Anſichten ausgeſprochen wur-


(Text Seite 276.)

den, geſtaltete ſich die Erörterung äußerſt lebhaft und
intereſſant. Ihr Verlauf war in Kurzem der folgende:

Brof, Dr. Pigorini ergreift das Wort, um in län-
gerer feſſelnder Rede die Anlage italieniſcher Pfahl-
bauten zu veranſchaulichen und das Bild zu entwerfen,
das ſie in zerſtörtem Zuſtande, nachdem ZJahrtauſende
darüber hingegangen ſind, gegenwärtig bieten. Die
Situation in Butmir erinnere ihn an dergleichen ita-
lieniſche Terramaren, und aus dem Umftande, daß die
Kulturſchichte aus horizontalen neben einander liegenden
Sehm- und mit Kohlen durchſesten Fundjhichten beſteht,
ſchließt Pigorini, daß eine ſolche Bildung nur durch

Einwirkung von Waſſer entſtanden ſein kann und ſomit
lägen hier die Ueberreſte eines Pfahlbaues vor, obwohl
bisher keine Pfähle nachgewieſen wurden.

Nachdem Berghauptmann Radymsfki, der die Aus-
grabung in Butmir leitete, eine kurze Situationsſkizze
vorgelegt haͤtte, ergriff Herr Munro (Edinboursh) das
Wort, um ſich der Anſicht Pigorini’3 anzujhlieken. E3
käme häufig in Terramaren vor, daß keine Pfahlreſte
vorgefunden werden, doch kann ihr einſtiges Vorhanden-
ſein bei genügender Vorficht und bei genauer Beobach-
tung leicht nachgewieſen mwerden. In die Eindrücke,
welche die in den Urboden getriebenen, im Laufe der
Zeit durch Fäulniß zerftörten Pfähle zurückließen, lagern
fich angeſchwemnite Kohlenſtuͤcke, Artefalte oder Kies
und der urſpruͤngliche Standort der Pfähle zeichnet ſich
in exaktem Querſchnitte durch eine von der des Urbodens
verſchiedene Färbung und Zuſammenſetzung aus. Er
glaubt, daß dies au in Butmir bei genauerer Beo-
bachtung feſtzuſtellen ſein wird.

Nach einigen kurzen Bemerkungen Pigorini’3 und
Reinach's ( Paris) erhebt ſich der Neſtoͤr der franzöſiſchen
Prähiſtoriker, H. Gabriel de Mortillet, um ſeine abwei-
chende Meinung vorzutragen. Er zollt vor Allem ſeine
Anerkennung dem GSifer, womit die Ausgrabung be-
trieben, die Funde angeſammelt und geſichtet wurden.
In Bezug auf die urſßrüngliche Bedeutung der Fund-
flelle findet er in der Zuſammenſetzung des Fundinben-
tars nicht jene Kriterien, die für Anſtedlungen was auch
die Terramaren waren chaͤraͤkteriſtiſch ſeien.! Er ſieht
ſehr wenig Speiſereſte, und die zu Tage geförderten
Knochen rühren zum größten Theil von Hausthieren
und nicht von Wild Her, woraus folgt, daß deren Be-
wohner keine Jäger, wie die Terramarenbewohner waren.
Das verarbeitete Steinmaterial ſtammt aus der nächſten
Umgebung des Fundortes und auch die Thongefäße ſind
im Großen und Ganzen aus gleichem Material gefer-
tigt. Es fehlt ſomit jene Mannigfaltigkeit, die für
AnfiedlungSfunde charakteriſtiſch ift. Abgeſehen Ddavon,
daß ſchon die Geſammtheit der Funde die Idee nahe
lent! ſoräche die erwähnte Gleichheit des verarbeiteten
Materials, die regelmäßige und häufige Wiederholung
derjelben Formen dafür daß hier eher eine Fabrika-
tionsſtätte von Stein und Thongeräthen ſei, als eine
Anſiedlung.

Auch Geheimrath Virchow meint, daß Herr Pigo-
rini zu weit gehe, indem er italieniſche Verhaͤltniſſe auf
die Balkanhalbinſel anwendet. Man müſſe den Begriff
„Terramara“ genau präziſiren, das heißt, wir muͤſſen
die Form, den architektoniſchen Aufbau von jenen Be-
griffen trennen, die wir von der Kultur der Terramaren
haben. Es laſſe ſich im Aufbau zwiſchen italieniſchen
Terramaren und Butmir vielleicht eine große Aehnlich-
keit erkennen, Pfähle können noch entdeckt werden, aber
die Funde ſelbſt ſeien hier wie dort ſo grundverſchieden,
daß ein Zuſammenhang gar nicht erſichtlich iſt. Virchow
frägt, welches Intereſſe wohl vorhanden ſei, ob hier
eine Terramara vorliege oder nicht, wenn die ganze
Geſanimtheit der Funde von der in italieniſchen Terras
maren üblichen grundverſchieden iſt. Die Fragen, die
Pigorini aufgeworfen hat, können erſt dann erledigt
 
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