Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Antiquitäten-Zeitung — 2.1864

Zitierlink: 
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/antiquitaeten_zeitung1894/0181
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— — — — —

IIIIII

Verbürgte

Auflage 3000.


und Alterthumskunde.



JI

— Z
S






Abonnement:
Deutſchland u. Oeſterreich M 2.50
vierteljährlich, Ausland M 8. —.

Nr. 23.

Stuttgart, 6. Juni 1894,
Erſcheint wöchentlich.)

Anzeigen:
Die Nonpareillezeile oder deren
Raum 20 Pfennig.

2. Jahrgang.

Die Bezuasbedingungen ſind auf der letzten
Seite in ieder Nummer abgedruckt. — Srfülungsort für
die Lieferung und für die Zahlung: Stuttgart.

Lüneburger Kuchenfornien

aus dem Zeitalter der Renaiſſance.
(Mit 4 IWuftrationen.)
Von

G. Heuſer.

Nachdruck verbotem.
ü —

Der ſüße Mehlteig muß ja in künſtleriſche
Form gebracht werden; die bildſame Maſſe for-
dert dazu auf, und ſo üben ſie wirklich bildende
Kunſt, die Herren Bäcker. Bei Architekten aber
und Kunſtäſthetikern ſtehen ſie gerade deßhalb im
Verruf. Wenn wir eine Facade ſehen mit recht
Lielen angeflebten Schnörkeln, pflegen wir einen
Vergleich zu ziehen mit den phantafiereichen Bau-
werken im Schaufenſter des Könditors. Profeſſor
Treitſchke ſagte im vergangenen Winter einmal,
das Reichstagsgebäude von P. Wallot ſei Zucker-





Lüneburger Kuchenformen.

]
bäckerarbeit. Nun, eine ſolche könnte man ſich ſchon
gefallen laſſen; ich kann auch unſerm Hiſtoriker ſagen
— und darüber wollte ich jetzt Näheres mittheilen —
daß früher einmal die Bäckerformen von guter Abkunft
waͤren, wenigſtens in Norddeutſchland. Ob ſie überall
gerade da ſo ſchön, ſo ſtilpoll waren, wo der Marzipan
für den „guten Geſchmack“ ſorgte, wie in Hamburg,
Lüneburg, Lüheck, Danzig, Königsherg und ſo weiter,
weiß ich nicht anzugeben. Ich eſſe zwar gern ſüße
Speiſen, habe mich aber eigentlich nur um die in Lüne-
burg und Hamburg mir zu Geſicht gekommenen Kuchen-
formen befümmert, damals ſogar mehr, als für meinen

4

(Tert oben)

*

ſpeziellen Zweck nöthig mar, Als ich nämlich vor mehre-
ren Jahren für ein Werk über deütſche Renaiffance in
Lüneburg Aufnahmen machte, zeichnete ich auch Kuchen
der Rendiſſance. Sie wurden aber für das Werk nicht
akzeptirt; die Redaktion behandelte die Zuckerbäcker-
arbeit“ mit der üblichen Geringſchätzung. Thue mir
aber den Gefallen, lieber Leſex, die hier abgebildeten
Kuchenantiquitäten auf einen flüchtigen Blick hin nicht
gleich „ganz abſcheulich? zu finden. Sie wollen eingehend
mit archaologiſchem Intereſſe betrachtet ſein. Studiren

Er iſt ſchon geſchnitzet worden Anno Domini 1618,



Text oben.)

von einem gewiſſen H. P. Ob das nun ein Bildhauer
war, der aud) Bäckerformen ſchnitzte, oder ein Bäcker,
der auch Bildſchnitzer war, kann ich nicht mittheilen.
Genug, der Mann hat etwas verſtanden. Das präch-
tige Koß erinnert entſchieden an diejenigen, welche
Abrecht Dürer vor ſeinen Siegeswagen des Kaiſers
Marimilian I. geſpannt hat. Eine ebenſo ſtiliſirte
Mähne, deyſelbe wallende Schweif, dasSjelbe breite Gurt-
geichirr. Sebtere3 iſt hier an beiden Seiten mit Blätt-
Hen gefäumt, ein rundes, ein ſpitzes, ein rundes, ein
ſpitzes. Dieſes bekannte architektoniſche Ornament wurde
bei der Lüneburger Drechslergilde ſtehend und iſt noch

im Anfang dieſes Jahrhunderts in Gebrauch geweſen.
Man fieht es neben andern gehräuchlichen Zierathen
faſt immer bei Gewürzdoſen, Schaͤchſpielen Spinnradern,
und ſo weiter, welche ja als Meiſterſtücke nordiſcher
Drechfelkunſt bekannt find. Durch das Innungsweſen
vererbten ſich die Kunſtformen, ſie murden handwerks-
mäßig; es entſtand die ſogenannte, Bauernrenaiſſanee!
Auch unſer Kuchenritter iſt ſo ein bischen verbauert oder
verbäckert. Die eigenthümlichen Kerbſchnitte, die wie
ſchräg gereihte Fruͤchtkoͤrner ausſehen, müſſen unjerent
ehrfamen Bildſchnitzer recht geläufig geweſen ſein, weß-
halb er wohl auch in aller Eile die Finger der ritter-
lichen Hand auf dieſe Weiſe geſtaltete. Man er-
kennt überhaupt leicht, daß er ſchon viele ſolcher
Kuchenformen geſchnitzt hat. Beſſere Figuren habe
ich indeß nicht entdecken können; ſo etwas von
Roß und Reiter ſah ich niemals wieder.
Intereſſant iſt es, daß dieſe Kuchenformen
noch jetzt bei den Lüueburger Bäckermeiſtern in
Gebrauch ſind. Des Schickſals Mächte bewahrten
die Stadt vor großen Bränden, die Häuſer waren
meiſt feuerſicher aus Ziegeln gebaut, und da konn-
ten die Kuchenformen nicht leicht zu Grunde gehen.
Die Erhaltung ſeiner Alterthümer verdankt aber
Lüneburg beſonders ſeiner klugen Politik im Dreißig-

1

Lüneburger Kuchenformen. ext oben)

jährigen Kriege. Es wußte ſich alle Feinde vom Leibe
zu halten. So war Lüneburg denn auch die einzige
Stadt in Deutſchland, welche ihr Rathsſilberzeug be-
wahrt hatte; jetzt hat ſie es freilich nicht mehr, ſondern
das Berliger Gewerbemuſeum. Kopien dabon kamen
zu jener Zeit in Lüneburs an, als ich mich dort auf-
hielt, Goldglänzend ſtanden die herrlichen Prunkgefäße
in der alten, holzbraunen Rathsſtube, dem Meiſter-
werke des Albert von Soeſt. Sie machten einen groß-
artigen Eindruck, dieſe üppigen Renaiſſanceformen, dieſe
güldenen Bokale vor dem dunkeln Hintergrunde des
reich geſchnitzten Wandgetäfels. Ich ging damals ſo im
 
Annotationen