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Antiquitäten-Zeitung — 2.1864

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(

Verbürgte

Auflage 3000.


und Alterthums kunde.



Verbürgte

Auflage 3000.



Abonnemeut:

Nr. 44.

viertellährlich,


Stuttgart, 31. Oktober 1894.
Erſcheint woͤchentlich.)

Auzeigen:
Die Nonpareilezeile oder deren
Raum 20 Pfg., Auttionen 30 Pfg.

2. Jahrgang.

Die Bezugebedingungen ſind auf der lesten
Seite in jeder Nummer abgedruckt. — Erfullungsort für
die Lieferung und für die Zahlung: Stuttgart.

Papyrus Erzherzog Rainer.

Seſterreichiſches Muſeum in Wien)

Wien iſt in aller Stille um ein merkwürdiges
Muſeum reicher geworden.

Seit Februar. finden die Gebildeten eine Menge
der iutereffanteſten Stücke aus den ſogenannten Pa-
phrus Srzherzog Rainer (1400 Nummern) in orga-
nijchem Zujammenhang zur Schan geftellt. Die
ehemalige Dienftwohnung Sitelberger’3 im Oeſter-
reichifchen Mujeum ift der Schanplaß dieſer nun-
mehr bleibenden Auzitelung. Die trefflihen Künſtler
des Kunftgewerbemunfeum8 (Profejjor Karger , Pro-
feffor Klog u. YM.) hHaben dieſe Räume ſtylgemäß ge-
{Omickt; befonder3 reich den ägyptiſchen Saal, deffen
Wandgemälde und Schnigereien die wiſſenſchaftlichen
Schaͤtzẽ auch im Lichte einer künſtleriſchen Stimmung
erſchelnen laſſen. Ein beſchreibender Katalog von
300 Seiten größten Quartformats , reich und be-
zieNungsvoll illuftriet, tiypographifch ein Meijterwerk
der £ £. Oof- und Staatzdruckerei, dient als Führer
durch diefe räthfelvolle Schagfammer. Dieſes meijter-
haftẽ Druckwerk macht ſeinen Berfafjern, den rüym
lih bekannten Forjherm Profeſſor I. Karabacet,
IKrall und K. Wefjely ale Ehse; e8 'gibt —
außerhalb England3 wohl keinen foldhen „Führer”
durch eine wiffenſchaftliche Spezialjammlung ſpeziell-
ſter Art, Denn eine ſolche bilden ja ohne Zweifel
die Paphrus Rainer, allerdings eine ganz unver-
gleichlidhe. Seitdem durch die Bemühungen Theodor
Srafs dieſer unſchätzbare Schaß nach Wien kam
(1884) und durch die Hochherzigkeit eines erleuchteten
Priuzen für Wien erhalten blieb, arbeitet ein Lorps
von Gelehrten unausgeſetzt daran , ihn wiſſenſchaft-
lich zu heben. Band um Band erfeheint, mit den
überraighendften Ergebniſſen dieſer Forjhung; auf
den verſchiedenſten Gebteten der Wiſſenſchaft werden
neue Faͤckeln aufgeſteckt, dunkle Jahrtauſende er-
ſcheinen plötzlich in hellerem Lichte. Die drei Ur-
fundengruppen der erzherzoglichen Sammlung be-
{tehen aus über 100,000 Stücen in nicht weniger
als zehn Sprachen. . Sie umfaſſen einen Zeitraum
von 2700 Jahren, nämlich vom Pharao Ramies II
Seſoſtris) bis zum tſcherkefſiſchen Nammelukenſultan Bar-
kuͤl, alſo bom 14. Jahrhundert vor bis Ende des 14.
Jaͤhrhundertsen ach Chrifto. Jedes Stück dieſes Archivs
iſt ein Unifum, jedes ſcheinbar noch ſo geringfügige hat.
feinen felbſtſtändigen Werth.

Schon die Geſchichte der „Beſchreibſtoffe? wird
durch die hier gewonnenen Aufſchlüſſe ganz weſentlich
herichtigt. Wir ſehen hier Papyrus, Pergament und
Papierſtoffe von allen Datirungen und können die ganze
Entwicklung bequem verfolgen! Für die Geſchichte des

Papieres insbeſondere bebrutet die erzherzogliche Samm-
Iung einen volljtändigen umſchwung Bis-
her hHatte man das Hadernpapier als deutfche oder
italienijche Srfindung betrachtet; nın zeigt eS fich, daß
der Srient e8 ſchoͤn um viele Jahrhunderte früher be-
reitet hat. Bisher haͤtte man alz Vorläufer des Ha-
dernpapier3 das Baumwollpapier aufgeſtellt; nun wird
e3 flar, daß e& Baumwollpapier uͤberhaupt niemals
gegeben hHat. Die mikroſkopiſchen Unterfuchungen des
Miener Pflanzenphoyfiologen Prof. Julius Wiesner er-


(Text Seite 348.)

gänzten ſich mit den hiſtoriſchen Forſchungen Karabacel’s
und Anderer, um hier volle Klarheit zu fchaffen. Im
Sult 751 wurde der chineſtſche Feldherr Khao Hſien⸗Fa
dei Kangli am Tharagfluß von den Arabern geſchlagen
Unter den chinefiſchen Gefangenen befanden ſich auch
einige Papierarbeiter, die den Siegern ihre Kunſt mit-
theilten. Von Samarkand hat im Jahre 751 das neue
Papier ſeinen Weg über die islamitiſche Welt angetreten.
Taͤlifende von Schriftſtücken aus diejem „Samarkander
Faͤpier? finden ſich in der erzherzoglichen Sammlung;

ſie ſind ein halbes Jahrtauſend älter, als die angeblich
europäijche Erfindung fein ſoll. HQarun-al-Rafjcdhid ließ
(794—95) in Bagdad die zweite Neichzpapierfabrik er-
richten — gleichfals eine neueutdeckte Chatjache — und
von da an ging das Papier auch in’z Abendland. Neber-
al im arabijchen Weltreich entſtanden nun Papierfab-
rifen. Die zu Hierapolis oder Wambidſch (auch Bams
byce) in Nordfyrien verurfachte die uralte europäiſche
Gelehrien-Fabel von Baummwollenpapier, die Hun durch
MWiesner’3 Mikrojkop auch gefallen iſt; die Gelehrten
hatten nämlih den Stadinamen Bambyce mit dem
griechifhen „Bombyr“ (Baumwolle) vermengt und
„bambycijhe8 Papier“ mit Baumwollpapier überfeßt.
Sn Negypten war die Papierfabrikation ſchon im
10. SJahrhundert ſo {tark, daß man im Bazar von
Altfairo bereit3 jeden gekauften Gegenſtand, Eß-
waaren nicht ausgenomunien, in grobes Papier einz
gewickelt befam, Der ägybtiſche Papierverbrauch
im fruͤhen Mittelalter mar überhaupt ein ungeheurer
Aeghvlen deckte einen großen Theil des enormen
Bedarf8 an Kanzlei- und Aktenpapieren. Zu Zehn-
taufenden weift die erzherzoglighe Sammlung ſolche
Urkunden auf; fie gehen durch die Jahrhunderte,
feitge/chloffen, von ZJahr zu Jahr. Wie bei den
Rapyrus , Lonnte man au bei dem Papier genau
alle offiztellen Kanzleiformate, bis auf das für die
Taubenpoft fahrizirte „Bogelpapier“ herab; ſowie
alle vorfchriftsmäßigen Arten der Faltung, Rolung,
Bindung und Siegelung (mittelit ThHonfiegel) feſt
{tellen. MNeberhanpt geftattete das unvergleichliche
Material, die ganze mittelalterliche Papierbereitung
erfennnen zu laffen. Schon die Araber hatten auch
geleinites und auf der Drahtform geſchzoftes, alſo
geripptes Papier; ſie kannten allexlei Modepapiere,
die fie ſchon genaw ſo faͤrbten wie wir, Ddarunter
auch „antififirte8“ von vergilbter oder gebräunter
Farbe. Mancdhe Farben halten beſondere Berwen-
dungen. G3 gab blaue Papiere, die nur zum Ein-
ſchlaͤgen der Arzneien und zur Ausfertigung von
Todesurtheilen (der „blaue Bogen“ !) verwendet
wurden. Rothes Papier wurde in den Kanzleien,
mwie auch zum Briefwechſel der Großen mit dem
Herrſcher benützt u. | Ww.

Sn der Ausftelung der Papheus Rainer iſt
dafüt geiorgt, daß man alle8 für dieſe Dinge Cha-
rakreri{tijche {yftematifch zufammengeftellt findet, Da
kaͤnn fich z. B. Jedermann die Natur eines Paph-
rusfundes und die an deſſen Lesharmachung gewenz
dele Arbeit bergegenwärtigen. Da ſieht man Ur-
fundenhaufen aus zerknitterten, zerknüllten, zerquetſch-
ten und zerfranſten Bapyrus, zujammengebalt oder
gerollt, untennbar. vor Schmutz und Staub, oftmals
vom „Bapyrusichwamm“ oder von kryſtalliſteten Mine-
raljalzen halb zeritört; dann wohnt man gleichſam ihrer
Reinigung, Entwickung und Wiederherſtellung bei. Man
lernt die Schreibrequifiten kennen, auch die verſchiedenen
Beſchreibſtöffe!; wird doch auch auf Holz- und Wachs-
täfelchen, Thoͤnſcherben, Leinwand und Leder geſchrieben
Sin Holztäfeldhen enthält ſogar 60 undekannte Berſe
des Kalinachos. Sine Wachstafel enthält frühariechiſche
 
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