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Baumeister: das Architektur-Magazin — 7.1909

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Schliepmann, Hans: Alfred Messel
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https://doi.org/10.11588/diglit.52602#0095

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HERAUSGEBER: oooöoooo
HERMANN JANSEN,
WILLIAM MÜLLER,
ARCHITEKTEN, BERLIN
ALLE ZUSENDUNGEN AN DIE SCHRIFT-
LEITUNG: BERLIN W 35., STEGLITZERSTR. 53
VII. Jahrgang

MONATSHEFTE
CS? FÜR ARCHITEKTUR
3S UND BAUPRAXIS.
Mai 1909


VERLAG UND EXPEDITION: ..
GEORG D. W. CALLWEY
MÜNCHEN, FINKENSTR. 2
BERLIN W. 57. KURFÜRSTEN-
STRASSE 8

Heft 8

INHALT: Hauptblatt: Alfred Messel j-. Von Kgl. Brt. Hans Schliepmann, Berlin. — Handelshochschule in Köln a. Rh. Arch. Prof. Dr. ing.
E. Vetterlein, Darmstadt. (5 Abb.) — Synagoge in Darmstadt. Arch. Prof. G. Wickop, Darmstadt. (9 Abb.) — Ein neues Arbeiterinnenheim
in Berlin. Arch. Heinr. Schweitzer, Berlin. (4 Abb.)
Beilage: Geschäftshaus der Posen’schen Landesgenossenschaftsbank, Posen. Arch. Hartmann & Schlenzig, Berlin. (6 Abb. i. Hauptbl.) —
Reichsgerichtsentscheidungen. — Bücherbesprechungen. — Verband Deutscher Kunstgewerbevereine. — Chronik. — Verschiedenes.
Tafeln: 57/58: Arbeiterinnenheim in Moabit-Berlin. Arch. Heinr. Schweitzer, Berlin. — 59/60: Geschäftshaus der Posenschen Landes-
genossenschaftsbank, Posen. Arch. Hartmann & Schlenzig, Berlin. — 61/62: Handelshochschule in Köln a. Rh. Arch. Prof. Dr. ing.
Ernst Vetterlein, Darmstadt. — 63/64: Synagoge in Darmstadt. Arch. Prof. G. Wickop, Darmstadt.
Suppl.-Tafeln: 15: Entwurf einer Kirche für Nürnberg. Arch. Otho Orlando Kurz, München. — 16: Strassenbilder aus Klausen-Meran.
Aufgen. Arch. O. Lietz, München.

Alfred Messel f.

In der dissonanzenreichen und nur allzu oft unverständ-
lichen Symphonie des Gegenwartslebens ist mit schrillem
Klang eine Saite gerissen, die nur Wohllaut getönt hat, die
nur von Glück zu singen schien. Schnell hatte sie alle Hörer
bestrickt, schon hatte sie die Oberstimme gewonnen, um in
dem Satze „Berlins bauliche Kultur“ eine feste klangvolle
Melodie anzuheben: Das Lied ist aus! Alfred Messel ist hin-
gerafft, nur 56 Jahre alt, als er eben sein grösstes Werk an-
gelegt hatte!
Es ist eine trübselige Aufgabe, die Summe eines Lebens zu
ziehen, das nicht zum natürlichen Abschluss gekommen, und
aller Jammer unseres Pygmäendaseins überkommt uns, wenn
mit einem neuen Beispiel die Schar der Grossen an unserem
Geiste vorüberzieht, die mitten aus
ihrer Bahn hinweggerafft wurden:
Rafael, Schiller, Mozart, Schinkel
und erst neuerdings unter den nicht
ganz so Grossen: Eckmann, Otto
Schmalz, Olbrich, Leistikow und
nun Messel! Keiner von diesen un-
seren Zeitgenossen hat einen grösse-
ren Einfluss auf unser Kulturleben
gehabt als Alfred Messel, obwohl
seine Begabung am wenigsten eine
spezifisch genialische war. Er ist
von jenen Künstlern, die niemals
Sturm und Drang kannten, niemals
sich verstiegen, die eine harmonische
sonnige Menschlichkeit, doch im-
merhin kein olympisches Leuchten
ausstrahlten, ähnlich Felix Mendels-
sohn oder Paul Heyse, doch von
stärkerer, monumentalerer Männ-
lichkeit des Wesens als diese beiden.
Aber, wenn er nicht ganz neue
Bahnen erschloss, so hat er doch
für sein Gebiet eine Vollendung der
Gegenwart herbeigeführt, hat ge-
zeigt, wie Grosses ein unbeirrbarer,
reiner Wille, ein unermüdliches Ar-
beiten an sich selbst und ein reiner
Idealismus zu schaffen vermag —
wenn ein wenig Sonne des Erfolges
hinzukommt. Diese Sonne hat ihm nie gefehlt, und wenn uns
etwas mit seinem allzu frühen Hinscheiden versöhnen kann, so
ist es das Bewusstsein, dass keine seiner Fähigkeiten jemals
brachgelegen, dass der Erfolg ihn nie verlassen. Das liegt guten
Teiles daran, dass er eben ein Meister der Gegenwart, kein
erst für die Zukunft Schaffender gewesen, dass man ihn darum
sofort verstand und bewertete. Es liegt doch aber auch daran,
dass ihn der Erfolg immer nur zu grösseren Anforderungen
an sich selbst anspornte. Und daraus ergab sich, dass er
denn doch ein gewaltiges Stück in die Zukunft hineinführte,
indem er der Gegenwartsbaukunst die ideale Form gab. Ohne
das Genie der Jahrhundertgrössen ward er doch ein sehr
Grosser, kein Wendepunkt für die Entwicklung, aber einer
ihrer Höhenpunkte. Sprechen wir das aus, um uns des
Künstlers Wesen klar zu machen, so bleibt dadurch die
Freude an seinem Werk doch ganz ungeschmälert, denn ob
dies in eisernem Ringen oder aus dem Feuer der Eingebung
erwachsen, ist hinterdrein gleich. Ja, wir dürfen sagen, dass
das reifere Werk meist nicht das des intuitiven Genies ist.
Lauterste Reife aber ist die Signatur der Werke Messels. In
unerreichter, innerlicher Verarbeitung wuchs alles aus starkem,
Persönlichen Empfinden und untrüglicher Selbstkritik hervor.
* Messels letzte Werke erscheinen im Juliheft.

So wurden die überkommenen Formen, die er bewunderte
und als unseres Volkes Eigen empfand, wirklich wieder sein
Eigen. Man darf ihn nicht Eklektiker heissen, denn er war eben
nicht Anempfinder, sondern Weiterbildner. Er schmiegte sich
nicht in den Floskelapparat ein, wie es durch Jahrzehnte
Brauch war, sondern er schuf ihn sich zu eigener Sprache
um. Den grossen Unterschied zwischen Münchener und
Berliner Architektur, zwischen gefühlter und gelernter, lehrt
auch jedes Messelsche Werk in seiner Umgebung. Bei ihm
ist immer, immer eine schöne Musik in allen Linien bis in
die letzten, von ihm stets mit besonderer Liebe gepflegten
Einzelheiten, ja, jedes Profiles. Und diese Musik wurde immer
ruhevoller, einfacher aber auch gewaltiger in jedem neuen
Werke, bis in dem Loggia-Eckbau
des Wertheimhauses Berlin gerade-
zu einen neuen Massstab der Monu-
mentalität erhielt Nichts ist be-
zeichnender für Messels innere Echt-
heit, als dass er hier der Versuchung
widerstand, einen Eck-Dachaufbau
zu bilden. Der Begriff des „Hauses“
wäre ihm übertrieben worden. So
setzte erzürn Schrecken aller „Land-
läufigen“, zur Andacht aller Sehen-
den das grosse, ruhige Dach über
seine Front von florentinischer
Hoheit. Vielleicht noch etwas er-
drückend für die Nachbarschaft:
aber erdrückt nicht die Anwesenheit
wirklicher Grösse stets alles Kleine
umher? Es gilt, dass dieses nach-
wachse, nicht dass jenes sich ducke!
Man kann zweifelhaft sein, ob
Kaufen und Verkaufen eine des
Idealisierens würdige Tätigkeit ist,
ob also das Warenhaus ein würdiges
Objekt für ein Zeitmonument ist.
Unzweifelhaft aber bezeichnet es
baulich unsere Zeit wie höchstens
noch der Bahnhof. Der Zeit also
bleibt höchstens die Schuld, dass
wir nichts Höheres kennen, als
Handel und Verkehr. Aber so gut
dem Römer die Basilika ein Monument geworden war, so
sicher musste die Zeit ihren Sinn eines Tages prägen. So
schuf Messel im älteren Teile des Wertheimhauses zunächst
das logisch und gross gedachte Kaufhaus als neuen Typ; und
zuletzt fand er dessen Idealisierung zum wirklichen Baudenkmal.
Damit gab er seiner Zeit eine kaum vergängliche Signatur.
Er zeigte, dass auch hier Grösse herauszuholen war.
Und wo nicht unmittelbar Grösse aus einer Architektur-
aufgabe herauszuholen war, beim Privatbau, da wusste er doch
immer wieder und mit immer wachsendem Erfolge dem Vor-
nehmen und dem Einfachen zum Siege zu verhelfen. So ist
er ein Geschmackserzieher ersten Ranges geworden. In der
schmählichen Verwilderung der Berliner Strassenbilder stehen
seine sinnigen und abgeglichenen, zurückhaltenden und doch
liebenswürdigen Schöpfungen, deren Reichtum nie aufdringlich,
deren Abgeglichenheit nie „Eleganz“ wird, wie die Zeugen
eines Geistes aus jenem ganz engen Kreise, der unsere Kultur
noch trägt und hoffentlich einst doch noch zum Siege führt. Auf
baulichem Gebiete wirkt Messels Vorbild schon weiter; vor allem
die Bauten der Stadt Berlin sind oft seines Geistes; aber auch
eine Anzahl von „Messeischülern“ sucht auf seinen Wegen zu
gehen. Unabsehbar aber bleibt doch noch der Schaden fürunsere
 
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